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Ghost Dog - Der Weg des Samurai
"The end is important in all things"
"It is a good viewpoint to see
the world as a dream. When
you have something like a nightmare,
you will wake up and tell
yourself that it was only a dream.
It is said that the world we live in
is not a bit different from this."
Ghost Dog - Nomen est Omen. Er
ist Schwarzer, er ist Samurai, er arbeitet in Anonymität selbst in Bezug
auf seine Auftraggeber, gealterte Mafiosi, die sich im Fernsehen Comics anschauen
und mehr oder weniger einer untergehenden Art angehören. Für jeden
sichtbar, und doch in den entscheidenden Momenten unsichtbar verrichtet Ghost
Dog seine Arbeit: Töten im Auftrag. Die minimalistische Art, in der Forest
Whitaker diesen Samurai in Amerika spielt, scheinbar zur falschen Zeit, am falschen
Ort, mit der falschen Hautfarbe, ständig die Anweisungen und Sprüche,
vermeintlichen Weisheiten aus seiner "Bibel" "Hagakure - The
Way of the Samurai" zitierend, verschlägt einem schon die Sprache.
Was ist das für ein unzeitgemäßer, ja man könnte meinen:
nicht realistischer Typ, der Tauben züchtet, Tauben liebt und Tauben als
Postboten für seine Aufträge einsetzt? Was ist das für eine Welt,
in der er lebt, und wer ist er, der in dieser Welt lebt?
"Der Weg des Samurai",
liest Ghost Dog vor, "findet sich im Tod." Ghost Dog geht den Weg
dieses Buches - warum, weiß keiner. Wozu auch? Andere gehen andere Wege.
Alles scheint schräg in Jarmuschs
Geschichte, in der dieser Ghost Dog einem Mann namens Louie (John Tormey) dient,
der ihm einst das Leben rettete und dem er als Samurai ewige Treue geschworen
hat. Sein Herr und Meister versorgt ihn seither per Brieftaube mit Mordaufträgen
der örtlichen Mafia, drei mehr oder weniger alten Männern, die ebenfalls
in einer vergangenen Welt zu leben scheinen, finanzielle Probleme haben - genauer
gesagt: total verschuldet sind - und deren Realitätssinn angesichts ihrer
althergebrachte Ehrbegriffe behände geschwunden zu sein scheint.
Ghost
Dog soll Handsome Frank (Richard Portnow) töten. Er erledigt diesen Auftrag auch, wie immer gemäß einer
Art Ritual: Er stiehlt ein Auto, nicht irgendeines, ein teurer Wagen muss es
schon sein. In seinem Aktenkoffer, den er ständig mit sich führt,
befindet sich auch ein Gerät, mit dem er alle elektronischen Türschlösser
knacken kann. Er geht immer den direkten Weg, wie es sich für einen Samurai
gehört, auch wenn dieser Weg der gefährlichste sein sollte. Er tötet
schnell, nur dieses Mal gibt es eine Zeugin, Louise (Tricia Vessey), die Tochter
Ray Vargos (Henry Silva), der zusammen mit Sonny Valerio (Cliff Gorman) und
dem alten Consigliere (Gene Ruffini) sozusagen das Triumvirat der örtlichen
Mafia bildet. Die drei sind sauer auf Louie. Es sollte keine Zeugen geben, Louise
sollte im Bus sitzen, während Frank ermordet wird. Sie befragen Louie nach
Ghost Dog und beauftragen Sammy the Snake (Vinny Vella) und Joe Rags (Joseph
Rigano), Ghost Dog ausfindig zu machen und zu töten. Doch die stellen sich
nur blöd an, schießen einem Tauben züchtenden Indianer fast
über den Haufen und töten dann einen ebenfalls Tauben züchtenden
Schwarzen, ohne zu wissen, ob es sich überhaupt um Ghost Dog handelt.
Als Louie Ghost Dog vor dem Triumvirat
warnt, erschießt Ghost Dog den Schwager Sonnys. Louie ist verzweifelt,
alles hat sich in seiner Welt verändert, er bittet Ghost Dog, ihn zu töten,
denn sonst würde das eh Sonny übernehmen. Doch Ghost Dog darf seinen
Gebieter nicht töten, statt
dessen schießt er ihm in die Schulter,
damit Louie erzählen kann, Ghost Dog habe auf beide geschossen.
Als die Mafiosi Ghost Dogs Dach
entdecken und seine Tauben erschießen, steht für den Samurai fest,
was zu tun ist. Er geht seinen Weg, seinen direkten Weg ...
"In the words of the ancients,
one should make his decisions
within the space of seven breaths.
It is a matter of being determined
and having the spirit to break right
through to the other side."
Nun könnte man meinen, Jarmusch
pflege hier in dramatischer, ja tragischer Weise den Ehrenkodex der Samurai
oder der untergehenden Welt der alten Mafiosi. Man könnte überhaupt
denken, es gehe hier um eine bierernste Geschichte, die lediglich an einigen
Stellen mit subtil-ironischen Schmankerln garniert wurde, die jedoch weiter
nichts zu bedeuten hätten. Man könnte Jarmusch gar den Vorwurf machen,
es gehe ihm um eine fast zweistündige Ehrenrettung der Ehre oder irgend etwas
in dieser Richtung. Doch diese Interpretation würde nicht nur bedeuten,
dass der Film aus dem Gesamtwerk des Regisseurs ziemlich herausfallen würde
- was ja nicht unbedingt unmöglich wäre. Entscheidender für mich
ist, dass ich in "Ghost Dog" eher eine bittere Komödie sehe,
in der Jarmusch seinen spezifisch ironischen Stil, den er in fast allen seiner
Filme anbringt, vollendet hat.
Nun, Ghost Dog züchtet nicht
nur Tauben und killt Mafiosi und andere. Ghost Dog hat einen Freund, einen Eisverkäufer
namens Raymond (Isaach de Bankolé), der nur französisch spricht,
während Ghost Dog nur des Englischen mächtig ist. Beide, könnte
man meinen, reden aneinander vorbei, aber dem ist nicht so. Merkwürdigerweise
- und das gehört zu den humorvollsten Seiten des Films - verstehen sie
sich trotzdem, weil sie in den verschiedensten Situationen dasselbe denken.
Es ist dieses subtile Verständnis, das auch über Körpersprache,
Gesten, Blicke, Mimik zustande kommt, das ganz im Gegensatz steht zum "Unverständnis"
Ghost Dogs, was seine Umgebung und seine Rolle in dieser Umgebung angeht. Was
den Mann letztlich dazu getrieben hat, sich als Samurai in einer dieser Rolle
nicht analogen Welt und Zeit zu begreifen, lässt der Film letztlich offen
und ist letztlich auch völlig unwichtig. Auch die Motivationsstrukturen
der Hauptfiguren in Jarmuschs anderen Filmen bleiben dem Betrachter oft verborgen.
Insofern steht da die Figur des Ghost Dog nicht allein.
Noch etwas anderes zeigt die Zwiespältigkeit
des Ghost-Dog-Charakters: seine Beziehung zu einem Mädchen, mit dem sich
der Killer auf eine unproblematische Weise verständigt. Pearline (Camille
Winbush) heißt das Mädchen. Sie spricht Ghost Dog auf einer Parkbank
nahe der Eisbude Raymonds an, zeigt ihm ihre Bücher, darunter "Frankenstein",
"Nachtschwester" und "Die Seele der Schwarzen" - Bücher,
die Ghost Dog schon gelesen hat. Er gibt ihr ein Buch mit dem Titel "Rashomon",
das ihm Louise gegeben hatte, als er gerade Frank erschossen hatte. Pearline
verspricht Ghost Dog, das Buch zu lesen und ihm ihre Meinung dazu zu sagen.
Alles scheint verschoben in dieser
Welt, die von der Musik RZAs begleitet wird. Aber es ist genau dieser Schein,
der trügt. Die personellen Strukturen sind doch ziemlich eindeutig und
interessant. Ghost Dog folgt einem Ehrenkodex einer vergangenen (japanischen)
Welt. Doch er weiß, dass er diese Regeln seines Buches in einer veränderten
Welt auch verändert anwenden muss. Als einsamer Samurai lebt er einsam,
eben auf einem Dach, von dem aus er die Welt überblicken kann. Er versteht
sich mit einem Mann, seinem einzigen Freund auf eine nicht-verbale Art, er versteht
sich mit einem Mädchen, weil beide auf eine bestimmte Art seelenverwandt
sind (Bücher), er versteht sich mit seinen Tauben, und sie scheinen ihn
zu verstehen, und last but not least versteht ihn ein Hund, der sich vor ihn
setzt und anschaut, ihm sogar auf Anhieb gehorcht. Diese Welt des Ghost Dog
scheint wie ein Traum. Aber, wie es im Buch steht, die Welt, in der er lebt,
scheint nicht besonders unterschiedlich zur Welt des Traums. Schließlich
hat Ghost Dog eine Aufgabe, die, seinem Lebensretter, wie es sich für einen
Samurai gehört, zu gehorchen.
Diese Welt Ghost Dogs ist in sich
abgeschlossen, aber auch in sich logisch strukturiert - wie die Welt der Mafiosi,
diese miese, kleinkarierte und lächerliche Welt von Mördern, Erpressern
und Dieben. Und wie lächerlich sind ihre Protagonisten: Der eine, Vargo,
schaut alte Zeichentrickfilme en masse, ohne auch nur das Gesicht zu verziehen,
der andere, Sonny, liebt Rap, obwohl "Nigger", "Rothäute"
usw. für ihn zum Abschaum gehören, und der dritte, Old Consigliere,
ist schon mehr als scheintot. Jarmusch desavouiert diese Clique einer untergehenden
Epoche, diese verschuldeten Mafiosi, die nicht einmal ihre Miete mehr zahlen
können, nach Strich und Faden. Und doch erweisen sich gerade diese Mafiosi,
nicht als einzelne Personen, sondern in ihrer strukturellen Bedeutung als Teil
der Wirklichkeit, als überlebensfähig, wie der Schluss des Films zeigt,
in dem Louise, die Ghost Dog zweimal verschont hatte, mit dem letzten überlebenden
Mafiosi, Louie, das Geschäft fortsetzt.
Was steht sich da also gegenüber:
Die auf eine merkwürdige Art funktionierende Kommunikationsstruktur zwischen
Ghost Dog, Raymond und Pearline hier, die miesen Mafiosi dort.
"Even if a samurai's head were
to be suddenly cut off, he should
still be able to perform one more
action with certainty. If one becomes
like a revengeful ghost and shows great
determination, though his head is
cut off, he should not die."
Jarmusch unterlegt, wie schon
gesagt, die Geschichte mit dem ihm eigenen Sarkasmus, etwa in einer Szene, die
mit der Geschichte scheinbar nichts zu tun hat: Nach der Exekution einiger Mafiosi
trifft er unterwegs zwei Männer in Militärkleidung, die gerade einen
Bären getötet haben. Er fragt sie, ob gerade Jagdsaison für Bären
sei. Sie antworten, es gebe nur noch wenige Bären, und daher sei es ein
Glück, wenn man auf einen treffe. Ghost Dog erschießt die beiden
mit der Bemerkung, in älteren Kulturen wären Bären von Menschen
als gleichwertig angesehen worden. Als der eine Bärentöter im Sterben
röchelt: "Wir leben nicht in einer alten Kultur", antwortet Ghost
Dog: "Manchmal schon."
Es ist dieses "Manchmal",
das Jarmusch in gewisser Weise in die Gegenwart über Ghost Dog hinüberrettet.
Es ist nicht die Samurai-Kultur als Ganzes, aber - so paradox das klingen mag
- es ist das Ehrenhafte, das Wahrhaftige des Buches, das sich in Ghost Dogs
Sicht der gegenwärtigen Welt breit macht - mit dem fatalen Irrtum, wenn
es denn einer ist, dass Louie, der, dem Ghost Dog die Rolle seines Herren, dem
er dient, zugedacht hat, diese Rolle eben nicht verkörpert.
In der Schlussszene, in der Louis
im Auftrag Louises und im Kontext des Ehrenkodexes der Mafia Ghost Dog niederstreckt,
sagt der Sterbende: "Ich habe alles gesehen, was nötig ist."
Louise und Louie setzen das Werk der Mafia fort. Ghost Dog hat sich mit seinem
Schicksal abgefunden, bevor ihn Louie niederstreckt. Er übergibt Louie
"Rashomon" mit der Bemerkung, er und Louie gehörten zwei aussterbenden
Spezies an. Und Pearline sitzt in der Küche und liest in "Hagakure":
"Das Ende ist wichtig in allen Dingen."
Einmal mehr erweist sich Jarmusch
in diesem für sein Werk scheinbar so außergewöhnlichen Film
als jemand, der zweierlei vollbringt: Er stellt den den Ehrenkodex der Mafia
klammheimlich oder offen feiernden Gangsterfilm bloß, auch indem er den
Ehrenkodex Ghost Dogs dagegen stellt. Und er desavouiert die Strukturen der
Gegenwartsgesellschaft, indem er uns durch die "Brille" eines "exzentrischen",
der Samurai-Ideologie folgenden Mannes auf diese Welt blicken lässt. Er
zeigt aber auch, dass das streng hierarchische Element der Samurai-Ideologie
und die damit verbundenen Morde dieser Welt nichts anhaben können, weil
sie ihr wesensverwandt sind, und das Schicksal des Samurai im Tod besiegeln
- etwas, was die Samurai-Ideologie als wesentliches Element bereits enthält.
"Der Weg des Samurai findet sich im Tod."
Was wird Pearline aus der Lektüre
des "Hagakure" lernen? Was wird sie damit anfangen?
• D V D •
Die von Arthaus
und Kinowelt in der Jim Jarmusch Collection editierte DVD zeichnet sich durch
eine exzellente Bild- und Tonqualität aus. Der Film ist in Englisch oder
Deutsch (Dolby Digital 5.1) zu hören. Untertitel sind nur in Deutsch auf
der DVD. An Bonusmaterial bietet man neben einem Trailer deleted scenes (5 Min.)
und das Musikvideo "Cakes" - sonst leider nichts zum Film direkt.
Wertung Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat: Besonders wertvoll.
Wertung DVD: 9 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text
ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film
gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Ghost Dog - Der Weg des Samurai
Ghost Dog: The Way of the Samurai
Regie: Jim Jarmusch
Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: RZA
Kamera: Robby Müller
Schnitt: Jay Rabinovitz
Darsteller: Forest Whitaker (Ghost Dog), John Tormey (Louie),
Cliff Gorman (Sonny Valerio), Richard Portnow (Handsome Frank), Tricia Vessey
( Louise Vargo), Henry Silva (Ray Vargo), Victor Argo (Vinny), Raymond (Isaach
De Bankolé), Camille Winbush (Pearline), Richard Portnow (Handsome Frank),
Gene Ruffini (Old Consigliere), Victor Argo (Vinny), Vince Viverito (Johnny
Morini), Vinny Vella (Sammy the Snake), Joseph Rigano (Joe Rags)
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