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Gier
In Billy Wilders „Sunset Boulevard“
spielt Erich von Stroheim Max, den Butler und früheren Regisseur einer
Stummfilm-Diva. An einer Stelle sagt er, dass es in den 20er Jahren drei große
Regisseure in Hollywood gab: D. W. Griffith, Cecil B. de Mille und ihn. Dies
ist ein Selbstportrait. Denn in der Tat ist Stroheim einer der großen
Stummfilmregisseure, einer der wie Griffith und de Mille übergroße
epische Werke auf die Leinwand brachte. Im Gegensatz zu den beiden anderen blieb
ihm der große Erfolg und Ruhm aber versagt. Nicht weil seine Filme schwächer
wären, ganz im Gegenteil. Aber Stroheim weigerte sich Konzessionen an den
Publikumsgeschmack zu machen. Dies gilt für keines seiner Werke mehr, als
für „Greed“, Stroheims Meisterwerk. Der Film war monströs in jeder
Hinsicht, sowohl vom Umfang her, da Stroheim zunächst eine Fassung von
neun Stunden erstellte, als auch vom Inhalt. Das Bild, das Stroheim hier von
der menschlichen Natur und vom menschlichen Zusammenleben präsentiert,
ist so düster und zynisch, das es schwer wird eine Entsprechung zu finden.
Der Film steht absolut quer zu Hollywoods Gesetzen des Unterhaltungskinos.
Das Studio MGM verlangte mehrere
Kürzungen, die zunächst von Stroheim selbst, dann aber gegen seinen
erklärten Willen durchgeführt wurden, bis zuletzt eine Fassung von
140 Minuten übrig blieb. Die geschnittenen Teile sind definitiv verloren
und wurden pathetisch als „Heiliger Gral des Kinos“ bezeichnet. Ein wirkliches
Urteil werden wir uns leider nie mehr bilden können, doch eine Ahnung des
Werkes können wir erhalten. Der Restaurateur Rick Schmidlin, der eine Sammlung
von Standbildern vom Set und das Originaldrehbuch fand, machte daraus eine vierstündige
Fassung des Films, in der die Rumpffassung mit Standbildern und Texttafeln erweitert
wurde. Der Film steht so als Ruine da und verlangt vom Zuschauer viel Aufmerksamkeit
und Vorstellungskraft, da in mehr als der Hälfte des Films die Bilder sich
eben nicht bewegen und durch die vielen Texttafeln eine starke Textlastigkeit
entsteht. Der ursprüngliche Rhythmus des Films muss mehr erahnt als erlebt
werden. Doch der Aufwand lohnt sich allemal.
Als Vorlage diente Stroheim der Roman
„McTeague“ von Frank Norris, den er werkgetreu verfilmen wollte. Stroheim erreichte
einen bis dahin unerreichten Realismus. Dazu trug sicher auch bei, dass er an
Originalschauplätzen drehte, in einer echten Goldmine etwa und im echten
Death Valley. Bemerkenswert ist, wie Stroheim auf den Texttafeln die realistische
Sprechweise der Personen transportiert. Neben Slang-Ausdrücken wird auch
der deutsche Akzent einiger Hauptfiguren orthographisch vermittelt. Ein weiterer
Effekt ist der geschickte Einsatz von Farbe. Gold und Geld sind die Fetische
der handelnden Figuren und Gold und Münzen werden konsequent in gelber
Farbe gezeigt, wodurch der Film ein hohes Maß an Symbolkraft gewinnt.
Erzählt wird die Geschichte
von McTeague (Gibson Gowland), der aus einer kaputten Goldgräber-Familie
stammt. Sein Vater, der sich mit abgehalfterten Huren zu Tode säuft wird
auf den Bildern mit abscheulicher Hässlichkeit gezeigt. Seine halbverweste
Nase bekommt man nie mehr aus dem Gedächtnis. McTeague wird Assistent eines
Quacksalbers und erwirbt sich so die Kenntnisse für eine eigene Praxis
als Zahnarzt. Die eigentliche Geschichte des Films handelt von der Ehe McTeagues
mit Trina (Zasu Pitts), der Tochter deutscher Einwanderer. Diese Ehe wird uns
gezeigt, von ihren unbeholfenen Anfängen bis zu ihrem erbärmlichen
Ende.
Es gibt im ganzen Film keine einzige
sympathische Figur. Stroheim führt uns die Menschen in aller Schäbigkeit
und Kleinlichkeit vor. Seine Darstellung ist nicht nur realistisch, sondern
naturalistisch. Die Personen sind beherrscht von Gier und Neid und kaschieren
das oberflächlich durch die konventionellen Rituale der Gesellschaft. Es
ist kein Wunder, dass das Kinopublikum nicht in diesen Spiegel blicken wollte.
Da ist zunächst McTeague, der
unbeholfene Prolet mit Riesenkräften, dessen Vorstellung von Glück
sich darauf beschränkt, in der Ecke zu sitzen und Pfeife zu rauchen. Dann
gibt seinen Freund oder besser Kumpanen Marcus Schoeler (Jean Hersholt), einen
bösartigen Kleinganoven, der McTeagues Existenz vernichten wird. Und schließlich
Trina, Marcus’ Cousine und ursprüngliche Freundin. Marcus bringt sie zu
McTeague für eine Zahnbehandlung und McTeague verliebt sich in sie, als
sie chloroformiert auf seinem Behandlungsstuhl sitzt, und küsst die Bewusstlose.
Nach einem trostlosen Ausflug nimmt Trina McTeagues Heiratsantrag an. Von Anfang
an gibt es keine Leidenschaft zwischen beiden. Die Hochzeitsfeier zeigt alle
Beteiligten und Trinas Familie in all ihrer Gewöhnlichkeit. „Dann fraßen
sie sich zwei Stunden lang voll“, teilt uns eine Texttafel mit.
Ein Leitmotiv des Films ist Trinas
Geiz, der harmlos beginnt und sich langsam ins Krankhafte steigert, v.a. nachdem
sie mit einem Lotterielos 5000 Dollar gewinnt. Trina legt dieses Geld an, doch
alle gieren danach. Marcus bereut nun, dass er sie ziehen ließ und zeigt
aus Rache McTeague an, der ohne Studium und Zulassung praktiziert und seine
Praxis schließen muss. Äußerst sich Trinas Geiz zunächst
in Kleinigkeiten, zum Beispiel, dass sie bei einem Ausflug darauf besteht, jeder
müsse sein Ticket selbst kaufen, so beginnt die Gier sie zunehmend zu beherrschen.
Sie will ihrer Mutter, die dringend Geld braucht, nichts schicken und als McTeague
arbeitslos wird und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten muss,
verweigert sie ihm fünf Cent für ein Busticket. Er muss durch den
Regen zum anderen Ende der Stadt laufen. McTeague und Trina müssen ihre
Wohnung aufgeben und leben jetzt in einer Art Schuppen. Sie verwahrlosen zusehends
und machen sich mit gegenseitigen Demütigungen das Leben zur Hölle.
Dabei hortet Trina heimlich Kleingeld und spart jeden Penny vom Haushalt ab.
McTeague findet dieses Geld, nimmt es weg und verlässt Trina, die jetzt
als Putzfrau arbeiten muss. Sie hebt ihre gewonnen 5000 Dollar ab, nur um das
Geld in ihrem Bett zu verstecken und im wörtlichen und übertragenen
Sinne damit zu schlafen. Als sie McTeague, der eines Nachts an ihrem Fenster
um Essen bettelt, abweist, lauert dieser ihr auf und prügelt sie zu Tode.
Stroheim erzählt uns diese Geschichte
mit verschiedenen Nebenhandlungen, die die Haupthandlung kontrastieren und teilweise
vorausdeuten. Da gibt es ein von Gier zerfressenes Gaunerpaar, das in Mord endet
und da gibt es auf der anderen Seite die Geschichte eines alten Pärchens,
das sein beschauliches Glück findet. All dies fiel der Schere zum Opfer
und ist nur in Standbildern vom Set erhalten. Ein immer wieder kehrendes Bild,
das leitmotivisch den Film durchzieht, zeigt
uns zwei abgemagerte Arme, die in einem Haufen Gold wühlen.
Im letzten Teil des Films kehrt McTeague
zum Goldgräberleben seiner Jugend zurück. Mit seinem Gold flieht er
durch das Death Valley, eine menschenfeindliche Wüste, wohin Marcus den
steckbrieflich Gesuchten verfolgt. Stroheim färbt in diesen letzten Szenen
die Leinwand gelb ein, um die Hitze bildlich zu vermitteln. Die Maultiere sind
tot und das letzte Wasser verloren. Doch McTeague und Marcus führen ihren
letzten Kampf ums Gold. McTeague kann den ewigen Konkurrenten zwar erschlagen,
doch dieser hatte vorher mit Handschellen seinen Körper an McTeagues Arm
gefesselt.
Es gibt einen Vogel im Käfig,
den McTeague sein Leben lang bei sich führte. Zur Hochzeit schenkte er
seiner Frau einen ebensolchen Vogel, und das Motiv der zwei Vögel im Käfig
illustrierte die Ehe McTeagues und Trinas. Als sie verarmten, weigerte sich
McTeague, den Vogelkäfig zu verkaufen. Dies war das einzige, was ihm etwas
bedeutete. Jetzt im Angesicht des sicheren Todes lässt er den Vogel frei,
der jedoch nicht mehr fliegen kann und nach wenigen Metern zu Boden stürzt,
um zu verenden. Der Film endet so mit einem Symbol der Hoffnungslosigkeit. Die
letzten Bilder zeigen uns goldfarbene Münzen aus McTeagues Satteltasche,
befleckt mit rotem Blut.
„Greed“ ist kompromisslos und schonungslos.
Zu kompromisslos für das Publikum, wie das MGM-Studio befand. Deshalb wurde
der Film verstümmelt und fast zerstört. Ob er zu einer anderen Zeit
mehr Erfolg gehabt hätte, kann bezweifelt werden. Vielleicht liegt dies
daran, dass der Film auf seine Art mehr Wahrheit enthält, als wir ertragen
können.
Siegfried König
Gier
Greed
USA 1924, Regie:
Erich von Stroheim, Buch: June Mathis und Erich von Stroheim, Kamera: William
Daniels, Ben Reynolds, Ernest B. Schoedsack, Musik: Carl Davis, Produzent: Erich
von Stroheim, Samuel Goldwyn. Mit: Gibson Gowland, Zasu Pitts, Jean Hersholt,
Dale Fuller, Tempe Pigott, Chester Conklin, Sylvia Ashton, Joan Standing
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