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Gingerbread
Man
Die
Filme nach den literarischen Vorlagen von John Grisham könnte man als ein
eigenes Hollywood-Sub-Genre zusammenfassen. Als Around-the-Courtroom-Drama
erzählen sie von Anwälten und Anwältinnen, die im Umfeld mehr
oder minder spannender Gerichtsverfahren Abenteuer und Selbsterfahrungskrisen
zu bestehen haben. Daran hat sich auch diesmal nichts geändert - das einzige,
worin sich THE GINGERBREAD MAN von diesem Erfolgsrezept fundamental unterscheidet,
ist das Zugpferd der PR-Strategie. Denn anstelle von Namen wie Tom Cruise und
Julia Roberts verläßt man sich nun auf den Slogan „Robert Altman
verfilmt John Grisham".
Das
Versprechen einer neuen, ambitionierteren Form des üblichen Grisham-Plots
gibt auch die Titelsequenz. Altmans THE GINGERBREAD MAN beginnt mit einer Perspektive,
die zunächst schwer zuzuordnen ist. Vielleicht aus dem Weltraum oder von
einem Flugzeug aus gewaltiger Höhe folgen wir dem Verlauf eines mächtigen
Flusses von seinem Anfang in den Bergen bis hin zu zu seinen gewaltigen Ausmaßen,
die er bei Savannah, Georgia, erreicht hat. Dieser Flug, mit dem wir zugleich
der Erde stetig ein wenig näher kommen, wird von einem Gemurmel begleitet,
das nach Radiostörungen oder Funkspruchfetzen klingt. Manchmal sind einzelne
Worte wie „nicht schuldig" zu verstehen. Erst als die Kamera über
einem roten Sportwagen angelangt ist, klärt sich der Zusammenhang von Bild
und Ton: Wir sind nicht nur dem Flußlauf bis zu einer Straße bei
Savannah gefolgt, sondern auch den Signalen des Handys von Rick Magruder, der
aus seinem Wagen einen soeben verhandelten Prozeß bespricht. Der Zusammenhang
von Auto, Handy und Verfolgung wird am Ende des Films noch einmal kurz in den
Mittelpunkt rücken. Vor allem aber ist schon in dieser Eröffnung eine
Identifikation zwischen dem Anwalt Magruder und seinem Auto eingeführt,
die THE GINGERBREAD MAN bis zum Ende nicht verlassen wird; mehr noch - sie wird
den ganzen Film strukturieren.
Der
Rahmen sieht folgendermaßen aus: Der geschiedene Lebemann Magruder beginnt
eine Affäre mit der Aushilfskellnerin Mallory Doss (Embeth Davidtz). Weil
sich ihr offenbar psychotischer Vater Dixon (Robert Duvall) zu einer lebensgefährlichen
Bedrohung für Mallory zu entwickeln scheint, bringt Magruder ihn mit seinen
Möglichkeiten hinter Gitter. Dabei bleibt es natürlich nicht, Dixon
wird von seiner sektenähnlichen Bruderschaft aus dem Irrenhaus befreit,
und von nun an weiten sich die Todesdrohungen auch auf Magruder und seine Kinder
aus. Magruder gerät in Panik; er verläßt gegen das Gesetz und
den Willen seiner ExFrau Leanne (Famke Janssen) mit seinen Kindern die Stadt.
Erst seine Flucht jedoch hat die Entführung der Kinder zur Folge, und so
findet sich Altmans Held schließlich im klassischen Hitchcock-Dilemma
wieder, Opfer eines Verbrechens zu sein und doch zugleich keine Hilfe vom Gesetz
oder der Polizei erwarten zu können.
Die
Spannung, die hier entstehen könnte, verlagert sich dabei nahezu gänzlich
von der Geschichte hin zu einer gar nicht mal so verborgenen Meta-Ebene, auf
der Magruder und sein roter Sportwagen die Hauptrollen spielen. So unglaubwürdig
Kenneth Branagh als gerissener Anwalt Magruder wirkt und so schleppend sich
THE GINGERBREAD MAN auf seine dramaturgischen Höhepunkte zubewegt, um so
deutlicher rückt diese Nebenerzählung in den Blick, die auf diese
Art fast zum eigentlichen Inhalt wird.
Jede
Sequenz des Films, die mit einem Wechsel des Handlungsortes einhergeht, wird
durch Rick Magruders roten Mercedes eingeleitet oder vorbereitet. Mit ihm beginnt
THE GINGERBREAD MAN, ihn verfolgend fahren wir zum Haus von Mallory, zum Anwesen
von Leanne oder erreichen das Versteck Dixons. In Establishing-Shots von Bürogebäuden
und Wohnungen zeigt er als Symbol Magruders dessen Anwesenheit an, und erst
nachdem der seinen Wagen verloren hat, ist Magruder tatsächlich für
Momente rat- und hilflos: Als die Polizei ihn wegen der Flucht mit den Kindern
und des Todes von Dixon festgenommen hat, bricht der straffällig gewordene
Anwalt genau einen Schnitt nach einem normalerweise wenig erschütternden
Satz zusammen - „wir haben seinen Wagen beschlagnahmt", war die lapidare
Bemerkung eines Officers gewesen. Die nächste
Einstellung - zum ersten Mal sehen wir Magruder nicht am Auto-Steuer, sondern
auf der Rückbank - besiegelt gleichsam die Hitchcock-ähnliche Entmachtung
des Helden.
Am
Ende freilich wird Magruder die Drahtzieher der Intrige erkennen. Auf der Höhe
des Geschehens angekommen, wird er seinen Gegnern eine Falle stellen und folgerichtig
auch seinen Wagen wiederhaben, der ihn schließlich zum Ort des Showdowns
bringt. Daß dieser ausgerechnet ein Schiff während eines herannahenden
Orkans sein wird, erklärt das Ende gleich auf zweifache Weise zum Eintritt
in die Höhle des Löwen.
So
gesehen erzählt THE GINGERBREAD MAN von nichts anderem als dem Besitz,
Verlust und der Wiedergewinnung des Autos, das bekanntlich nicht nur im Film
eine weitreichende Zeichenfunktion innehat. Angesichts der Ikonographie des
Autos gerade in der jüngeren USamerikanischen Kulturgeschichte werden hier
eine ganze Reihe von Interpretationen möglich, von denen nicht wenige mit
Machtverlust und der Störung, bzw. Vergewisserung von männlicher Identität
zu tun haben. Sie im einzelnen zu verfolgen, ist mit Sicherheit spannender als
selbst die wenigen packenden Momente von THE GINGERBREAD MAN.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
THE
GINGERBREAD MAN
USA
1998. R: Robert Altman. B: AI Hayes (basierend auf einer Originalstory von John
Grisham). P: Jeremy Tannenbaum. K: Changwei Gu. Sch:
Geraldine Peroni. M:
Mark Isham. T:
John Pritchett. A: Stephen Altman, Jack Ballance. Ko:
Dona Granata. Pg:
Island Pictures/Enchanter Entertainment. V: Concorde. L: 112 Min. St: 21.5.1998.
D: Kenneth Branagh (Rick Magruder), Embeth Davidtz (Mallory Doss), Robert Downey
Jr. (Clyde Pell), Daryl Hannah (Lois Harlan), Tom Berenger (Pete Randle), Famke
Janssen (Leeanne), Robert Duvall (Dixon Ross) Mao Whitman (Libby).
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