zur startseite
zum archiv
Die
Girls von St. Trinian
Möglicherweise überlebt die
feine englische Art ohnehin nur noch in der Pfefferminzplätzchen-Werbung.
Und mit Zucht und Ordnung können adoleszente Britinnen und Briten gewiss
weit weniger anfangen als die Vorgängergenerationen. Trotzdem birgt der
Lehrplan des Mädcheninternats St. Trinian für Außenstehende
manche Überraschung, darunter das Wodkabrennen statt Chemieunterricht,
eine „Aggressionstherapie", während der Schülerinnen mit Sturmgewehren
auf Quietscheentchen schießen und Sonderlektionen über die „Sieben
Gesetze des Verbrechens" - bei Bedarf. Und der besteht, denn irgendwoher
müssen die 50.000 Pfund ja kommen, welche die unkonventionelle Lehranstalt
der Bank von England schuldet. Würde St. Trinian die Pforten schließen,
müssten die Girls woanders und wirklich die Schulbank drücken. Lieber
nicht, also sind sie zu allem bereit, etwa dazu, ein Vermeer-Gemälde aus
der National Gallery zu stehlen. Während die drei garantiert bestgestylten,
aber nicht unbedingt hellsten Mädels an einem live im Fernsehen ausgestrahlten
Schulquiz im Museum teilnehmen, üben sich ihre Mitschülerinnen zeitgleich
im Kunstraub.
Jugend von heute? Ach wo, das fiktive
Internat St. Trinians inklusive der rauchenden, saufenden, zündelnden Zöglinge
ist eine britische Institution seit den 40er-Jahren. Die Satire stammt aus der
spitzen Feder des Zeichners Ronald Searle und inspirierte auch eine Reihe englischer
Filmkomödien, deren Popularität in England mit der Beliebtheit der
deutschen „Paukerfilme" in den 60er- und frühen 70er-Jahren vergleichbar
ist (wobei man die Gemeinschaftsarbeiten von Frank Launder und Sidney Gilliatt,
unter anderem schrieben sie für Hitchcock „Eine
Dame verschwindet",
nicht mit deutschen Routineproduktionen in einen Topf werfen sollte). Der Theo
Lingen der Engländer hieß Alastair Sim, der sowohl die exzentrische
Anstaltsleiterin Millicent Fritton als auch deren Bruder Clarence kreierte.
In der Neuversion wurde die Direktorin in „Camilla Fritton" umbenannt und
mit Überbiss versehen, was unschwer als Hinweis auf die jetzige Ehefrau
von Prince Charles zu erkennen ist. Ein Glücksfall für den Film ist
Rupert Everett in der Doppelrolle des Kunsthändlers und potentiellen Vermeer-Abnehmers
Carnaby und seiner sich zwischen Sorge, Schnaps und Lebenslust durchlavierenden
Schwester Camilla. Everett
spielt die Rektorinnenrolle nicht etwa als alternde Drag-Queen, sondern als
Frau mit Stil und Verstand, die sogar ein Hermès-Tuch zu pinkfarbenem
Hosenanzug mit Würde zu tragen versteht. Unbedingt eine Erwähnung
wert ist das Cameo des Schriftsteller-Schauspielers Stephen Fry als frustrierter
Quizmaster, der nach einer kräftigen Dosis Muntermacher nicht nur die Fernsehkameras,
sondern auch sich vergisst. Und neben lauter gut aufgelegten Lehrerinnen und
Schülerinnen, darunter zwei Bond-Girls (Caterina Murino und Gemma Atherton)
bewegt sich auch Colin Firth als Bildungsminister Geoffrey Thwaites stilsicher
durch die Second-Hand-Klamotte. Der Minister will mit der Schließung St.
Trinians Entschiedenheit demonstrieren und scheitert mit diesem Vorhaben, als
die Presse von seiner peinlich vertuschten einstigen Affaire mit der burschikosen
Camilla Wind bekommt.
„Jetzt weiß ich, warum Colin Firth
sie flachlegen wollte", kommentiert eine Schülerin jenes Vermeer’sche
„Mädchen mit dem Perlenohrring", das Scarlet Johansson im gleichnamigen
Kostümdrama so gleicht (oder war es doch andersherum?). Ungeachtet einiger
Pannen wird der Coup in der National Gallery ein voller Erfolg und das Gemälde
für das exakt auf 50.000 Pfund festgesetzte Lösegeld in einer Kaufhaus-Umkleidekabine
„gefunden". Der unsympathische Galeristen-Bruder wird mit einer nahezu
perfekten Vermeer-Imitation mit der Signatur der schwesterlichen Hobbymalerin
abgespeist, statt mit dem echten Raub der Trinianerinnen. Höchste Erwartungen
kann freilich auch das „Sittengemälde" nicht ganz einlösen. Vieles
in „St. Trinian" ist allzu dick aufgetragen und das Drehbuch ideenüberladen
wie ein unübersichtliches Tafelbild. Schade, dass komische Seitenhiebe
auf die Doppelmoral britischer Würdenträger und auf mit Überwachungskameras
gespickte Städte in diesem Tohuwabohu fast untergehen.
Jens Hinrichsen
Dieser Artikel ist zuerst
erschienen in: film-Dienst
Die
Girls von St. Trinian
Großbritannien
2007 - Originaltitel: St. Trinian's - Regie: Oliver Parker, Barnaby Thompson
- Darsteller: Rupert Everett, Colin Firth, Caterina Murino, Lena Headey, Antonia
Bernath, Tamsin Egerton, Amara Karan - FSK: ab 12 - Länge: 101 min. - Start:
7.8.2008
zur startseite
zum archiv