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Glengarry Glen Ross
Es sind zehn ganz besondere Minuten
schauspielerischer Maßlosigkeit, die David Mamets vielgepriesenes Theaterstück
auch in der filmischen Adaption von James Foley mit einem genialischen Augenblick
mitten hinein stürzen lässt in die drohende Eskalation des Plots,
die Krisis aller beteiligten Figuren und das satirische Auseinanderbersten kapitalistischer
Grundfesten. Als Blake (Alec Baldwin) das kleine Büro verlassen hat, entsteht
urplötzlich eine Melange aus existenzieller Angst und rasender Wut, bei
manchem ist es pure Verzweiflung, beim nächsten pikierte Verwirrung. Keiner
der anwesenden Geschäftsmänner, allesamt Gründstücksspekulanten
oder einfach "salesmen", bleibt ungerührt, niemand zeigt sich
unbeeindruckt von der stakkatoartigen Salve verbaler Tiefschläge, dieser
melodischen Aneinanderreihung von Beleidigungen und der öffentlichen Präsentation
ihrer eigenen Inkompetenz. Niemand kann sich jener untrüglichen Demonstration
von Macht, von Geld, von Einfluss und erworbener Arroganz völlig entziehen,
so theatralisch sie auch sein möge, gleich wie schonungslos Blake, der
Mann in dem Designeranzug - in Vertretung der Geschäftsleitung des Hauptsitzes
dieser Immobilienfirma, die sich nun mit den unzureichenden Quartalszahlen ihrer
ländlichen Niederlassung beschäftigen muss - die Anwesenden zusammenfaltet
und ihnen, den Versagern, denen, die keinerlei Kaufverträge mehr abschließen,
die anscheinend den richtigen Biss verloren haben, ein Ultimatum stellt. Nichts
könnte in diesem Moment imponierender sein als der sprachliche Rhythmus
mit dem eine Schmähung auf die andere folgt, wie sich der unaufhaltsam
in Rage agierende Alec Baldwin zum symbolhaften Mittelsmann kapitalistischer
Kulturparadigmen mausert, während er sein ABC des Erfolgs eindrücklich
vermittelt und ein Wort nach dem anderen den schmalen Grat zwischen Karikatur,
Satire und Respektsperson bezeugt.
Die Regeln sind fortan festgelegt:
Wer nicht verkauft, fliegt raus. Und im bürointernen Wettbewerb sieht es
zumindest für drei der angestellten Verkäufer äußerst bescheiden
aus. Denn abgesehen von Ricky Roma (Al Pacino), der nach eigenem Bekunden zurzeit
so etwas wie eine Glückssträhne sein Eigen nennt - selbstredend handelt
es sich dabei um eine verniedlichende und generöse Untertreibung der eigenen
Fähigkeiten und des privaten Selbstverständnisses - , läuft es
für den hitzköpfigen Dave Moss (Ed Harris), den scheinbar gleichmütigen
George Aaronow (Alan Arkin) und vor allem für den alternden Shelley Levene
(Jack Lemmon), dessen Spitzname "the machine" nur noch ein Zeugnis
vergangener Tage als Verkäufer ist, alles andere als glatt, und erst Recht
nicht im Sinne der Firma. Blake stellt mindestens einem das gesellschaftliche
Aus in unmittelbare Aussicht, als Inkarnation der Firmenphilosophie, während
zeitgleich John Williamson (Kevin Spacey) als aufstrebender Protegé der
Geschäftsführung die Leitung der Zweigstelle inne hat und den alltäglichen
Wahnsinn mit karrieristischer Kleinkariertheit koordiniert.
Moss, Aaronow und Levene sollen
bewerkstelligen, was Roma scheinbar mühelos gelingt. Verträge abschließen,
Grundstücke verkaufen, Kunden becircen, wenn es sein muss lügen, betrügen,
solange die Unterschrift auf den entscheidenden Papieren trocken ist, sind sie
im Recht. Wesentlich einfacher wäre dieses Unterfangen mit den frischen
"glengarry-leads", Adressen, die sich wirklich lohnen, wo man tatsächlich
Interessenten finden könnte, wo es nicht ausschließlich auf merkantilische
Höchstleistungen ankäme, um geschäftliche Abschlüsse zu
erzielen. Doch Williamson rückt sie nicht raus, dieses Premiumgut ist ausschließlich
für echte Verkäufer. Wie Roma. Ein denkwürdiges Kammerspiel nimmt
seinen Lauf, im Fokus bewegt sich in erster Linie Shelly Levene, der allmählich und sehendes Auges an seiner Erfolglosigkeit zu Grunde geht. Lemmons Darstellung
ist nur einer von vielen schauspielerischen Glanzpunkten dieses brillant besetzten
Films. Sein Levene sieht sich dabei in vielerlei Hinsicht vom undankbaren Schicksal
der Verkäufer bedroht; so fürchtet er neben dem Verlust seines Gesichts,
der finanziellen Absicherung und der eigenen Lebenssituation auch um das gesundheitliche
Wohl seiner Tochter, deren offensichtlich ernste Erkrankung sie zu einem längeren
Krankenhausaufenthalt zwingt. Der Wechsel zwischen Aufgabe und Selbsttäuschung
ist fließend, das kaufmännische Einmaleins wringt er bis zum Letzten
aus, doch viel mehr als entschlossene Ablehnung und ein müdes Lächeln
seiner potenziellen Kunden bleibt ihm kaum noch übrig.
Wahrheit und Lüge gehen in
James Foleys Inszenierung Hand in Hand, doch kein Element kann derart verführerisch
zwischen beiden Polen umherirren wie das gesprochene Wort (das englische Original
ist Pflicht!), das sich Dank David Mamets Vorlage zu einer scharfsinnigen und
bestialisch präzisen Waffe entwickelt. Glengarry Glen Ross ist voll von grandiosen Dialogen und kühnen Monologen, die
womöglich mit zum Besten gehören, was man diesseits aus dem filmischen
Übersee erwarten darf. Es ist ein Schauspielerfilm, ein imposantes Ensemble
agiert hier allemal. Der Plot beschränkt sich dabei auf ein minimalistisches
Grundgerüst, dessen entfesselte Wirkung jedoch kaum Zeit zum Nachdenken
lässt, denn sobald sich am Morgen nach Blakes linguistischem Gewitter herausstellt,
dass die begehrten Glengarry-Adressen in der Nacht gestohlen wurden, schnappt
die Falle kapitalistischer Gier endgültig und unbarmherzig zu. Dann bleibt
längst keine Zeit mehr, sich aus der Sache herauszureden, spätestens
jetzt hat jemand alles verspielt.
DVD
Die deutsche DVD ist zwar verhältnismäßig
schwach ausgestattet, Tonoptionen und zusätzliches Material betreffend,
wer aber dennoch mal in den Genuss dieses Films im englischen Original kommen
möchte, sollte darauf zurückgreifen. Es scheint mir unmöglich,
diesem Film, irgendwo, irgendwas abziehen zu können, daher gibts die volle
Punktzahl. Aus. Ende.----
Patrick Joseph
Dieser Text ist
zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Glengarry Glen Ross
USA 1992
Regie: James Foley
Drehbuch: David Mamet
Schauspieler: Jack Lemmon, Al Pacino, Ed Harris, Alan Arkin, Jonathan
Pryce, Kevin Spacey, Alec Baldwin, Bruce Altman, Jude Ciccolella, Paul Butler,
Lori Tan Chinn, Neal Jones, Barry Rossen
Dt. Start: 04.02.1993
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