zur startseite
zum archiv
Glück
im Spiel
Irgendwann in diesem Film, dessen Soundtrack mit „All American Classics“ von George Jones, Roy Orbison (oder den Travelling Wilburys) bis Bob Dylan unterfüttert ist, ist ein Song zu hören, in dem es darum geht, was man macht, wenn man nachts nicht einschlafen kann. Demnach steht man auf und schaltet das Fernsehgerät oder das Radio ein und sucht den gewohnten, Labsal versprechenden Sender. Geschieht dies weit nach Mitternacht, gerät man mittlerweile unvermittelt in die Übertragung eines Poker-Turniers, was spannend sein mag, aber völlig unverständlich ist, wenn einem die elementaren Regeln des Spiels nicht vertraut sind. Da gilt es dann, die Zeichen zu lesen. Nicht nur, um die Bedeutung zweier Asse und zweier Könige einschätzen zu können, sondern auch, um die Rituale der merkwürdigen Pokerfaces angemessen würdigen zu können.
Auch in Curtis Hansons Film wird viel, sehr viel
gepokert, und häufig bekundet die Raffinesse eines bestimmten Spielzugs
einen Sinneswandel, eine charakterliche Veränderung der Figur, die ihn
ausführt. Pokern, so lernt man, sei die reinste, reduzierteste Form des
Wettbewerbs, wo man sich allein auf seine „Skills“ verlassen kann und muss,
man aus rein gar nichts etwas machen kann, wenn man denn zu bluffen versteht.
In Las Vegas (und nicht nur dort) existiert eine ganze Subkultur professioneller
Pokerspieler, die von morgens bis abends am Spieltisch sitzen und zocken, sich
Zweikämpfe liefern, sich moralische Lektionen erteilen, in ihrem bescheidenen
Rahmen fürs Leben lernen.
Wie bei jedem Spieler- und Sportfilm dreht sich auch
„Glück im Spiel“ um die Frage, ob die Qualitäten, die gerade den Erfolg
am Spieltisch befördern, auch im „richtigen Leben“ taugen. Huck Cheever
ist ein professioneller Spieler, ein charmanter, risikofreudiger Hazardeur,
der bewusst bindungslos von Partie zu Partie lebt. „Neues Spiel, neues Glück!“,
scheint sein Lebensmotto. Doch Huck, der in einer komplett leeren Wohnung lebt,
hat ein großes Problem – seinen Vater L.C., der auch professioneller Spieler
ist, sogar ein höchst erfolgreicher; zweimal gewann er die „World Series“,
bevor er sich nach Frankreich absetzte. L.C. ist ein Mensch, der sich komplett
dem Spiel verschrieben hat. Dass er einst den Ehering im Pfandhaus versetzte,
um Geld zu bekommen und damit die Mutter zutiefst verletzte, hält der unversöhnliche
Huck dem Vater nach all den Jahren immer noch vor. Dabei teilt er diese Charaktereigenschaft
sogar mit dem Vater, wie Billie recht früh erkennen muss. Billie kam aus
der Provinz nach Las Vegas, um hier eine wahrscheinlich eher bescheidene Karriere
als Sängerin zu machen.
„Glück im Spiel“ will sehr viel gleichzeitig
sein: Hommage an die Szene der professionellen Spieler (offenbar haben allerlei
prominente Spieler in dem Film Cameo-Auftritte) und ihr Spiel, Vater-Sohn-Geschichte,
die ein verzögertes Coming-of-Age ist, Liebesgeschichte, die zugleich ein
Lehrstück über moralische Prinzipien ist – und dann auch noch Americana
reinsten Wassers. Sämtliche Handlungsfäden werden durch das Pokerspiel
hindurch entwickelt; jedem Charakterzug entspricht eine bestimmte Konstellation
im Spiel. Wer sich (wie der Verfasser) mit den Spielregeln des Pokerns nicht
auskennt, wird gewiss einige fein ziselierte Pointen verpassen; andererseits
ist der Film selbst sich nicht so sicher, wie bekannt die Spielregeln und die
Choreografie des Pokerspiels beim Publikum sind, weshalb die Dramaturgie in
zwei Richtungen driftet. Zum einen müssen zumindest Grundzüge des
Spiels „vermittelt“ werden; hierzu dienen einige Lektionen, die Huck Billie
verpasst, sowie die ganz aktuelle Präsenz der kommentierenden Medien am
Spieltisch. Zum anderen muss der Film tongue-in-cheek mit dem Spiel und der
Szene sein, damit der Bildungsroman dramaturgisch funktioniert.
Letztlich geht es in „Glück im Spiel“ ums Bluffen
auf jeder Ebene – und um die Frage, wie man unter solchen Bedingungen die Basis
für emotionale Beziehungen schafft. Niklas Luhmann hat dafür den Begriff
der „Erwartenserwartung“ geprägt: Man kommuniziert mit dem Gegenüber,
indem man dessen Reaktion auf das Gesagte bereits in seiner Handlung zu antizipieren
versucht und dabei weiß, dass das Gegenüber Gleiches tut. Die paradoxe
Grundkonstellation dekliniert der Film in allerlei Varianten durch, sei es in
der Eröffnungsszene im Pfandhaus, sei es in der Vater-Sohn-Beziehung, sei
es in der Liebesgeschichte – Huck weiß, dass er weiß, was sein Gegenüber
hören will –, sei es in den diversen Pokerpartien, die man miterlebt. Am
Schluss hat Huck gelernt, dass man auch einmal ein gutes Blatt sausen lassen
muss, wenn man Erfolg bei seiner Persönlichkeitsbildung erzielen will.
Was eine etwas magere Lektion für einen solch langen Film ist.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Glück
im Spiel
USA
2005 - Originaltitel: Lucky You - Regie: Curtis Hanson - Darsteller: Eric Bana,
Drew Barrymore, Robert Duvall, Debra Messing, Horatio Sanz, Charles Martin Smith,
Saverio Guerra, Jean Smart, Kelvin Han Yee, Robert Downey Jr. - FSK: ab 6 -
Länge: 123 min. - Start: 28.6.2007
zur startseite
zum archiv