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Das
Glücksprinzip
Der
Grenzbereich des Kitsches ist ein fruchtbarer Boden für allgemein sehr
bewegende Themen. Dort ist auch "Das Glücksprinzip" angesiedelt.
Ist es eine simple Geschichte vom Gutmenschentum? Oder ein großer humanistischer
Entwurf in Unterhaltungsform? Diese Diskussion wird den Film lange begleiten
und macht ihn jenseits persönlicher Vorlieben interessant.
Die
erste Stunde des neuen Lehrers. Mr. Eugene Simonet (Kevin Spacey) mit dem vernarbten
Gesicht stellt in einem nahezu magischen Moment den jungen Schülern eine
Aufgabe von philosophischen Dimensionen: "Entwickle eine Idee, die unsere
Welt verändert und setze sie in die Tat um." Der elfjährige Trevor
(Haley Joel Osment, der Junge aus "The 6th Sense" und „AI
– Künstliche Intelligenz“)
erfüllt diese Hausaufgabe mit einer simplen und zugleich überzeugenden
Vision: Wenn jeder als Dank für eine Hilfe oder einen wichtigen Freundschaftsdienst
drei weiteren Menschen hilft, die jeweils wiederum drei andern einen Gefallen
tun, würde es besser aussehen auf dieser Welt. Glück im Schneeballsystem!
Da Trevor ein selbstsicheres, sehr erwachsenes Kind ist, verfolgt er sein Ziel
energisch, lässt er nicht locker. Es gibt einiges zu tun, hier am Rande
von Vegas. Trevors Mutter ist Alkoholikerin, gibt aber bis zur Verzweiflung
alles, um ihrem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen. Der Lehrer Eugene
ist ein kluger, aber einsamer Humanist, dessen Narben ein grausames Geheimnis
vermuten lassen. Und direkt hinter den Prachtbauten der Stadt hausen die Oberdachlosen
mit ihren Schicksalen. Nicht zufällig ist dieser utopische Versuch, das
Angesicht unserer Gesellschaft zu verändern, in der zynischen "Stadt
des Glücks" Las Vegas angesiedelt.
Die
exzellent melodramatische Geschichte mit toller Besetzung (Kevin Spacey, Helen
Hunt) verbindet gute, bewegende Unterhaltung mit tiefgründig gezeichneter
Sinnsuche. Bis auf das unerträglich rührselige Finale gelang Mimi
Leder ("Peacemaker", "Deep Impact") nach dem Bestseller
von Catherine Ryan Hyde ein bemerkenswerter Film. "Das Glücksprinzip"
wird im Rückblick, von einer seltsamen Begegnung in der Nacht ausgehend,
erzählt. Der Journalist Chandler verfolgt eine erstaunliche Kette der Hilfsbereitschaft
zu ihrem Anfang.
Es
geht - wie so oft im US-Film - immer um Familie. Im Bösen mit Inzest, Gewalt
(Jon Bon Jovi als gewalttätiger Vater) und Alkohol, wie im Guten mit Liebe,
Geborgenheit und Glück. Daraus ergeben sich rührende Momente voller
Vergebung bis zum unmöglichen Finale, das maßlos Gefühlskitsch
ausgießt. Trevor beeindruckt als sehr erwachsener Junge, der viel (er-)
tragen kann und muss: Seiner Mutter macht er heftigste Vorwürfe, wenn sie
wieder mal trinkt. Gleichzeitig hält er Ausschau nach einem Mann für
sie. Und welcher Junge nimmt sich ernsthaft vor, die Welt freundlicher zu machen?
Man kann sich aber auch über den kleinen, moralischen Besserwisser aufregen.
Und kritisieren, dass Elend und Leid letztlich oberflächlich geschildert
werden. Thomas Newmans Musik klingt nach "Magnolia" und "Das
Glücksprinzip" hat ähnliche Qualitäten, räumt der Botschaft
und dem Sentiment allerdings zu viel Raum ein, der (freien) Form hingegen zu
wenig.
Auch
in seiner Kernaussage zeigt sich "Das Glücksprinzip" problematisch:
Führt Trevor Altruismus in der religionsfreien Nachfolge Jesu vor? Oder
ist es eine umständlich verhüllte Variante des Egoismus, denn letztendlich
sollen die Wünsche ja wieder bei Trevor ankommen und auch sein Leben einfacher
machen. Der Film an sich macht es sich jedenfalls einfach, in dem er sich für
letztere Alternative entschied. So ist der Originaltitel "Pay it Forward"
unzutreffend, der übersetzt bedeutet: Gib es weiter! Das letztendliche
Glücksprinzip dieses Films lautet: "Pay it back" - Gib es (mir)
wieder!
Günter
H. Jekubzik
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Das
Glücksprinzip
USA
2000 - Originaltitel: Pay it Forward - Regie: Mimi Leder - Darsteller: Kevin
Spacey, Helen Hunt, Haley Joel Osment, Jay Mohr, James Caviezel, Jon Bon Jovi,
Angie Dickinson, David Ramsey, Gary Werntz, Colleen Flynn, Marc Donato - Länge:
123 min. - Start: 5.4.2001
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