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Glue
Alexis dos Santos gibt der Ereignislosigkeit
einer Jugend im Nirgendwo Patagoniens in "Glue" überzeugende
Form.
Ein
Jugend in einem Kaff in Patagonien. Darum herum Wüste. Lucas (Nahuel Perez
Biscayart) und Nacho (Nahuel Viale) und Andrea (Ines Efron) versuchen, der äußeren
Ereignislosigkeit ein wenig Pubertätsdramatik abzugewinnen. Lucas liebt
die Verzweiflungssongs der Violent Femmes und schreibt für seine Band selber
solche. Über Russinnen und Russen, die sich ausziehen. Über Sex. Ein
Thema, mit dem er jetzt nicht die ganz große Erfahrung hat.
Aber er probiert herum. Mit Nacho, mit
dem er rangelt, von dem er sich angezogen fühlt und den er auch einmal
küsst. Und mit Andrea, die meist eine sehr große Brille auf der Nase
trägt, verstohlen die Zahnspange rausnimmt, als die beiden einmal unangekündigt
vor der Tür stehen - und nicht daran denkt, sich für einen der beiden
zu entscheiden. Darum geht es aber auch nicht. Eher ums Ausprobieren, ums Einander-Berühren,
eher ums Sehen, was möglich ist, was der eigene Körper und überhaupt
das eigene Wollen so will. Darum, dass bei
aller furchtbaren Ereignislosigkeit doch viel bisher Ungewagtes vor einem liegt.
Selbst am Ende der Welt.
Einmal fahren Lucas und Nacho in eine
andere Stadt. Andrea hat nachzukommen versprochen, aber dann warten die beiden
am Bahnhof vergeblich. In der Wohnung von Lucas' abwesendem Vater finden sie
eine Dose mit Leim. Die ziehen sie sich, Pornos guckend, rein. Dieser Art ist
das titelgebende Ereignis des Films. Am nächsten Tag kommt der Vater, die
Hände der Jungs sind total verklebt. Kleinlaut ziehen sie von dannen.
Regisseur und Drehbuchautor Alexis dos
Santos kommt aus dem patagonischen Kaff, in dem "Glue" spielt. Er
macht aus der Ödnis kein Drama. Er setzt auf das Improvisieren seiner Darstellerinnen
und Darsteller, die sehr ausdrucksvoll sprachlos sind, in Bruchstücken
und Satzfetzen reden, die fern davon sind, das ganze aufregende Elend pubertärer
Verzweiflung auf Begriffe zu bringen. Mit Ausnahme von auf Super-8-Material
gefilmten Sequenzen, die mit existenziellen Banalitäten unterlegt sind:
Was wäre, wenn mich meine Eltern etwas früher gezeugt hätten.
Wäre ich dann ich? Dann der Ausbruch in den Gesang mit seinen in ihrer
Dämlichkeit sehr wahren Song-Texten.
Natasha Breier gibt mit ihrer wahnsinnig
unruhigen Kamera, die immer nah dran ist, in alles andere als abgeklärter
Weise dem Zittern, dem Nichtwissen um das, was mit einem passiert, eine Form.
Wenn sich die drei zusammenkuscheln, kuschelt sie mit. Wenn Andrea vor dem Spiegel
steht und ihre in nicht zufriedenstellender Weise wachsende
Brüste betrachtet, dann ist ihre Betrachtung vollkommen solidarisch. Die
Intimität, die sich zwischen Laiendarstellern und Kamera herstellt, hat
die schönste Selbstverständlichkeit. In ihrem Zusammenspiel stimmt,
wie im ganzen Film, einfach der Ton. Keinem, der jung war, wird dies Patagonien
fremd sein.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Glue
Argentinien 2006 - Regie: Alexis Dos Santos - Darsteller: Nahuel Pérez Biscayart, Inés Efron, Nahuel Viale, Verónica Llinás, Héctor Díaz, Florencia Braier - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 105 min. - Start: 1.5.2008
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