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Glut
unter der Asche
Brüchige Fassaden
Douglas Sirk wusste sehr genau, dass in den 50er
Jahren über bestimmte tabuisierte Themen in Hollywood nicht geredet - es
sei denn hinter vorgehaltener Hand -, geschweige denn über solche Tabus
gefilmt werden durfte. Sirk thematisierte in seinen Filmen, wie Verhalten, das
nicht in die sozialen Normbereiche integriert ist, mit aller Gewalt bestraft
wird. In seinem 1955 entstandenen Film "All That Heaven Allows" (mit
Jane Wyman und Rock Hudson in den Hauptrollen) etwa erzählte Sirk die Geschichte
der reichen Witwe Scott, die sich in einen viel jüngeren Mann verliebt,
einen Gärtner. Nachbarn, Freunde, Bekannte, ihre ganze soziale Umgebung
reagieren mit Aggression, Intrige, Druck. Erst Todd Haynes "durfte"
2002 in seinem Melodrama "Dem
Himmel so fern", einem Remake
des Films von Sirk, die "wahre" Geschichte erzählen, in der es
um die Homosexualität eines verheirateten Mannes geht.
Zwei Jahre nach Sirk inszenierte Mark Robson eine
ganz ähnliche Geschichte um die Konflikte in einer Kleinstadt in New England
in der Zeit um den japanischen Angriffs auf Pearl Harbor. Auch "Peyton
Place" gehört zu jenen Melodramen, die gemeinhin als schwülstig
und emotionsüberladen dargestellt werden. Manche meinen gar, dieser Film
sei eine Art Vorläufer heutiger Soap Operas. Doch diese Meinung verkennt,
in welcher Zeit und unter welchen Umständen solche Filme entstanden sind.
• I N H A L T •
"Peyton Place" nach einem Roman von Grace
Metalious erzählt die Geschichte zweier Freundinnen, Allison MacKenzie
(Diane Varsi), die bei ihrer Mutter Constance (Lana Turner) lebt und ohne Vater
aufgewachsen ist, der zwei Jahre nach ihrer Geburt gestorben war, und Selena
Cross (Hope Lange), die bei ihrer Mutter Nellie (Betty Field) und ihrem alkoholabhängigen
und gewalttätigen Stiefvater Lucas Cross (Arthur Kennedy) lebt. Nellie
arbeitet als Haushälterin bei Mrs. MacKenzie. Allison und Selena sind seit
Kindesbeinen beste Freundinnen und besuchen das College. Sie stehen kurz vor
dem Abschluss.
Robson lässt Allison die Geschichte der beiden
Freundinnen im Rückblick erzählen. Er zeigt eine dieser typischen,
auf den ersten Blick friedfertigen amerikanischen Kleinstädte, in satten
Technicolor-Farben, in denen die Kinder noch auf ihre Eltern hören, jedenfalls
meistens, in denen die Straßen noch sauber und die kleinen Vorgärten
gepflegt sind, eine Stadt im von schönen Wäldern umgebenden New England
- also eine scheinbar heile Welt mit den üblichen, nicht sehr wichtigen
Konflikten, die im Grunde keine Bedeutung haben.
Doch hinter dieser friedfertigen Fassade verbergen
sich eben doch schwerwiegende Konflikte. Allisons Mutter Constance zum Beispiel
versucht mit allen Mitteln, ihre Tochter daran zu hindern, mit Männern
näher in Kontakt zu treten. Als sie Allison auf einer Party dabei "erwischt",
wie die junge Frau einen ihrer Mitschüler küsst, kommt es zum heftigen
Streit. Doch Allison ahnt nicht, warum ihre Mutter so heftig reagiert, und vor
allem, dass Constance ihr verheimlicht, welcher Herkunft Allison wirklich ist.
Constance hatte ihr immer erzählt, sie sei mit Allisons Vater verheiratet
gewesen.
Auch der neu in die Stadt gekommene Rektor des Colleges,
Michael Rossi (Lee Philips) vermutet hinter der harten Haltung Constances ein
Geheimnis. Rossi, der sich in Constance verliebt, wird barsch von ihr zurückgewiesen.
In Selenas Leben läuft ebenfalls nicht alles
zum Besten. Die ständigen Reibereien mit dem fast immer betrunkenen Stiefvater
Lucas Cross, der als Hausmeister am College arbeitet und einer jener Menschen
ist, die nur sich selbst sehen und sich ständig als Opfer anderer betrachten,
enden damit, dass Cross seine Stieftochter vergewaltigt. Als Selena daraufhin
schwanger wird, weiß sie keinen anderen Rat, als sich dem örtlichen
Arzt Dr. Swain (Lloyd Nolan) anzuvertrauen, der die daraufhin erfolgende Abtreibung
in den Papieren offiziell als Blinddarmoperation einträgt, weil er meint,
dadurch weiteren Schaden von Selena abwenden zu können, und der Cross dazu
zwingt, die Stadt für immer zu verlassen - ein folgenschwerer Irrtum, wie
sich später herausstellen soll. Denn nicht nur, dass Selena fortan ihrem
Freund Ted Carter (David Nelson) nicht mehr in die Augen schauen kann, weil
sie massive Schuldgefühle entwickelt hat. Auch ihre Mutter Nellie leidet
derart unter dem Ereignis, dass sie sich kurze Zeit später im Hause Constances
erhängt.
Neben diesen beiden Hauptkonflikten des Films zeigt
Robson in einer weiteren Nebenhandlung die Auseinandersetzungen zwischen dem
Fabrikbesitzer Harrington (Leon Ames) und seinem Sohn Rodney (Barry Coe), der
in die schöne, aber etwas oberflächlich wirkende, nicht aus besonders
gutem Hause stammende Mitschülerin Betty (Terry Moore) verliebt ist. Harrington
zwingt seinen Sohn, von jeglichen Heiratsabsichten gegenüber Betty Abstand
zu nehmen. Er müsse eine seinem Stand gemäße Frau heiraten;
mit Betty könne er sich ja heimlich treffen.
Und dann ist da noch der Schüler Norman Page
(Russ Tamblyn), ein Außenseiter, ein stiller junger Mann, der die meiste
Zeit in der Schulbibliothek verbringt, um seiner herrschsüchtigen Mutter
(Erin O'Brien-Moore) aus dem Weg zu gehen, die ihm jeglichen Kontakt zu Mädchen
verboten hat. Allison mag Norman, und beide verbringen viele Stunden in der
nahen Umgebung, um miteinander über ihre Probleme zu reden.
Die Kleinstadt wird langsam aber sicher zu einem
Pulverfass, das jeden Moment explodieren kann, ohne dass den Beteiligten dies
bewusst wäre. Als Allison bei einem erneuten Streit mit ihrer Mutter erfährt,
dass sie ein uneheliches Kind ist, ihr Vater mit einer anderen Frau verheiratet
war und ihre Mutter mit ihm in "wilder Ehe" gelebt hatte, verlässt
sie gekränkt und enttäuscht von ihrer Mutter ihre Heimat und geht
nach New York, um als Schriftstellerin oder Journalistin ihr Glück zu versuchen.
Für Selena wird alles noch tragischer. Als Cross in die Stadt zurückkehrt
und gegen Selena vor den Augen ihres kleinen Bruder gewalttätig wird, erschlägt
sie ihren Stiefvater und vergräbt ihn aus Angst und Schamgefühlen
im Wald. Selena kann dies eines Tages nicht mehr für sich behalten und
erzählt Constance von der Tat. Es kommt zum Prozess, und Selena verlangt
von Dr. Swain, über den Hintergrund der Tat, die Vergewaltigung, zu schweigen.
Sie riskiert lieber ihr Leben, als dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Allison
kehrt, als sie vom Prozess erfährt, zurück, meidet aber eine Begegnung
mit ihrer Mutter. Und Betty muss erfahren, dass ihr Freund Rodney, der mit vielen
anderen jungen Männer zur Armee eingezogen wurde, im Krieg gefallen ist ...
• F A Z I T •
Ganz sicher würde man eine solche Geschichte
heutzutage anders inszenieren. Für die 50er Jahre jedoch muss man den Film
als eine - übrigens durchaus spannend gedrehte - zumindest begrenzt die
Fassade einer typischen kleinbürgerlichen Atmosphäre herunter reissende
Tragödie begreifen, die das klischeebeladene Selbstverständnis des
Milieus in mancher Hinsicht gnadenlos desavouiert. Allein schon die Thematisierung
der Vergewaltigung, vor allem aber die kritische Aufdeckung der Tabuisierung
auch anderer Konflikte wie Standesdünkel, uneheliche Herkunft, Übertragung
von Elternkonflikten auf die Erziehung von Kindern, waren für diese Zeit
in Hollywood nicht gerade selbstverständlich - vor allem wenn man bedenkt,
dass selbst Hitchcock z.B. in "Der
falsche Mann" (1956) gegen seinen
Willen dem Film einen positiven Schluss verpassen musste.
Dabei fungieren zwei Männer
und eine Frau als aufgeklärte Individuen, denen die Rolle zukommt, die
Konflikte aufzudecken - obwohl sie selbst Fehler begehen und teilweise an der
alles zu beherrschen scheinenden,
in der Mentalität der Menschen verinnerlichten
Tabuisierung mitwirken. Da ist der Rektor Rossi, der zunächst nicht erkennt,
wie tief der Konflikt ist, in dem Constance steckt, aber beharrlich daran arbeitet,
ihn aufzudecken. Da ist Dr. Swain, der Selena hilft und erst spät, allerdings
nicht zu spät im Prozess die Wahrheit sagt. Und nicht zuletzt ist da Allison,
die vor dem Konflikt mit ihrer Mutter zwar flieht, aber letztlich doch ein Gefühl
dafür entwickelt, diesem Konflikt nicht auf immer auszuweichen zu dürfen.
Robson verpackt diese Geschichte in die Form eines
"leichten" Melodramas; sein Film ähnelt in vielerlei Hinsicht
den Werken Douglas Sirks. Und sicherlich ist es gerade dieses Subgenre, das
es Regisseuren der 50er Jahre am besten ermöglichte, derartige Geschichten
so zu erzählen, dass sie nicht selbst Gefahr liefen, der Tabuisierung gesellschaftlicher
und privater Konflikte zu verfallen.
Der "gute" Ausgang der Geschichte - die
Wiederherstellung der Gemeinschaft im Ort, sicherlich von Hollywood auch so
gewollt - ist daher durchaus zwiespältig. Ein Vater, Harrington, erkennt
zu spät seine Fehler gegenüber seinem Sohn, der im Krieg gefallen
ist. Selena muss mit dem wohl schwersten Verbrechen, das einer Frau angetan
werden kann, leben.
Für derartige melodramatisch verpackte Geschichten
muss man sicherlich so etwas wie ein "Faible" haben, einen gewissen,
auch emotionalen Zugang. Den habe ich, und deshalb liebe ich Sirks Filme und
auch diesen Streifen von Mark Robson.
• D V D •
Sprache: Englisch (Dolby Digital
4.0)
Untertitel: Deutsch, Englisch,
Spanisch
Bildformat: 16:9, 2.35:1
Dolby, HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin: 5. September
2005
Der Film ist jetzt in der Reihe
"Große Klassiker" anlässlich des 70jährigen Bestehens
der 20th Century Fox auf DVD erschienen. Besonders auffällig - im positiven
Sinne - sind die bestechenden Technicolor-Farben des Films, die einen guten
Kontrast zu den Konflikten der Geschichte bieten: ein filmisches Highlight.
Auch wenn die Filme dieser Reihe kein Bonusmaterial auf der DVD bieten, ist
Fox für die Edition zu beglückwünschen.
Wertung: 10 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist
zuerst erschienen in:
Glut
unter der Asche
(Peyton
Place)
USA
1957, 162 Minuten (DVD: 151 Minuten)
Regie:
Mark Robson
Drehbuch:
John Michael Hayes, nach dem Roman von Grace Metalious
Musik:
Franz Waxman
Kamera:
William C. Mellor
Schnitt:
David Bretherton
Darsteller:
Lana Turner (Constance MacKenzie), Lee Philips (Michael Rossi), Lloyd Nolan
(Dr. Matthew Swain), Arthur Kennedy (Lucas Cross), Russ Tamblyn (Norman Page),
Terry Moore (Betty Anderson), Hope Lange (Selena Cross), Diane Varsi (Allison
MacKenzie), David Nelson (Ted Carter), Barry Coe (Rodney Harrington), Betty
Field (Nellie Cross), Mildred Dunnock (Mrs. Elsie Thornton), Leon Ames (Mr.
Harrington), Lorne Greene (Staatsanwalt), Erin O'Brien-Moore (Mrs. Evelyn Page)
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