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Godzilla
"Genre" beschreibt nicht eine bestimmte Form
oder einen bestimmten Inhalt einer Anzahl einander in verschiedenen Komponenten
ähnlicher Filme, sondern am ehesten die Beziehung zwischen einem Film und
den Erwartungen des Publikums. Die Erwartung ist der kommunikative Mittelpunkt,
was freilich eine kreative Leistung auf der Seite der Filmproduktion keineswegs
unmöglich macht. Ein guter Genrefilm ist also nur einerseits einer, der
die Erwartungen des Publikums erfüllt, er ist andererseits einer, der diese
Erwartungen bearbeitet. Ein schlechter Genrefilm ist entweder einer, der nichts
anderes will, als diese Erwartungen erfüllen, oder aber einer, der diese
Erwartungen ignoriert.
Roland Emmerichs Godzilla sitzt ein bißchen zwischen den Stühlen. Er
enttäuscht vollkommen die Erwartungen, die man in einen Godzilla-Film setzen könnte. Steven Spielberg erklärte,
er wolle sich diesen Film nicht ansehen, weil er sich die Erinnerungen an den
"echten" Godzilla seiner Jugend nicht verderben wolle. Wie immer bei ihm
ist da ein bißchen Chuzpe am Werk - so kommt er um ein paar unliebsame
Fragen herum, die früher oder später auf ihn selbst zurückfallen
müßten, zum Beispiel die danach, wieviel in Godzilla von Jurassic Park und The Lost World geklaut ist, und was, dann wiederum, in Filmen wie Jurassic Park schon selbst zusammengeklaut ist. Tatsächlich ist
es wohl so, daß Godzilla mit den japanischen Godzilla-Filmen fast nichts zu tun hat, aber einiges mit der
Verbindung zwischen 50er-Jahre Monster-Science-Fiction wie The Beast from 20 000 Fathoms (1953 von Eugene Lourie mit den Stop-Motion-Tricks von
Ray Harryhausen gedreht) und der neuen Katastrophenwelle der neunziger Jahre.
Zum anderen hat Spielberg aber auch vollkommen recht: Wer Godzilla-Filme als Genre mochte oder mag, sollte sich diesen
Film nicht ansehen. Jedenfalls nicht als Godzilla-Film.
Daß man sich für teures Geld die Rechte an
der Godzilla-Gestalt eingekauft hat, um dann einen Saurierfilm zu
drehen, bei dem man nun wirklich nur ein paar Szenen am Anfang und ein paar
Dialogstellen hätte ändern müssen, um ihn "Jurassic Park
3" zu nennen, ist schon die zweite Falle, in die sich die Produktion ohne
Not selbst hineinmanövriert hat. Die erste bestand in der ungeheuren Geheimniskrämerei
und Erwartungsdramaturgie, die dazu führte, daß nur noch ein wirklich
sensationeller Film der beim Publikum erzeugten Neugier hätte gerecht werden
können. Die nächste liegt in der Konstruktion des Drehbuches, mit
der Betonung auf Konstruktion. Soviel unverfrorenes und blutleeres Gebastel
mit scheinbar erfolgversprechenden oder notwendigen Elementen hat man schon
lange nicht mehr gesehen. Alles, was in diesem Film geschieht, paßt auf
eine McDonald's-Serviette: Das Monster, gezeugt von französischen Atomversuchen
in der Südsee, kommt nach New York, um dort zu nisten. Auf den Plan gerufen
werden: das Militär (und nicht zu knapp), ein sympathischer junger Wurmforscher
(Matthew Broderick), ein mysteriöser Vertreter des französischen Geheimdienstes
(Jean Reno, der wenigstens ab und an einen komischen Effekt produzieren darf)
und eine junge Journalistin (Maria Pitillo, der niemand gesagt hat, daß
sie nicht in einer TV-Soap-opera agiert). Die will furchtbar gern Reporterin
bei einem furchtbar großen Moderatorenarschloch werden. Und weil sie und
der sympathische Wurmforscher früher mal ein Paar waren, gibt es auch eine
Liebesgeschichte.
Godzilla jedenfalls ist in Manhattan gelandet und macht
ein paar Straßenzüge kaputt; die Stadt wird von einem fetten, unsympathischen
und bonbon-süchtigen Bürgermeister evakuiert. Nachdem Godzilla Artillerie
und Hubschrauber-Armadas abgeschmettert hat, wird er von einem U-Boot-Torpedo
ins Jenseits befördert. (Wir ahnen: das kann nicht das Ende sein; so schnell
stirbt ein Godzilla nicht!) Der Wurmforscher indes hat schon erkannt, daß
eine noch viel größere Gefahr lauert: Godzilla hat bereits jede Menge
Eier gelegt. Und zwar wo? Im Madison Square Garden. Und als unsere Helden sich
im Brennpunkt der Gefahren vereinen, schlüpfen gerade die neuen Monster
und greifen die Protagonisten an. Also müssen einerseits der Madison Square
Garden zerbombt werden und andrerseits die Helden zuerst vor den Nachwuchs-Echsen
und dann vor dem wieder aufgetauchten Godzilla durch Manhattan flüchten.
Am Ende ist New York, jedenfalls das, was noch davon übrig ist, gerettet
und alle Eier vernichtet. Alle?
Also: Wenn es kein Godzilla-Film wäre, wäre es ein ganz passables B-Monster
Movie, für dessen 150 Millionen Dollar Produktions- und Werbekosten man
einerseits ein paar verdammt wichtige Probleme auf dieser Welt lösen könnte,
andrerseits vermutlich nicht mal einen der Tanks, Kampfhubschrauber, Unterseeboote
bezahlen könnte, die der Film so freudig erregt zur Schau stellt. Wie schon
bei Independence Day ärgert bei Emmerich auch diesmal, daß die
mangelnde Drehbuchsubstanz mit Ideologie kompensiert wird. Dreimal hätte
der Film Gelegenheit, über sich selbst ins Grübeln zu kommen: Zum
ersten Mal, als jemand sehr treffend bemerkt, daß die Riesenechse bei
weitem nicht so viel Unheil angerichtet hat wie das Militär, das zu seiner
Bekämpfung ausgesandt ist. Aber Emmerich ist viel zu verliebt in seine
Waffentechnologie, seine markigen Männer und seine Bewährungsrituale,
als daß er diesen Gedanken ernsthaft weiterverfolgen könnte. Zum
zweiten Mal, als der Wurmforscher erkennt, daß Godzilla kein Geschöpf
ist, das bewußt etwas Böses will, sondern einfach nur ein Tier. Ein
Geschöpf, um es pathetisch auszudrucken, dem man zwar mit Furcht, aber
keineswegs mit Haß begegnen müßte. Starbuck hat einst schon
Kapitän Ahab diesen Gedanken in bezug auf den weißen Wal nahezubringen
versucht. Vergeblich, wie wir wissen. Und zum dritten, hätte die junge
Journalistin vielleicht einen klitzekleinen Augenblick über das Ethos ihres
Berufes nachdenken können, bevor sie sich noch zur ultimativen Bedrohungsnachricht
zurechtmacht. Nichts als ihre großen Augen spricht dagegen, daß
sie einfach nur das nächste Medienarschloch wird.
Es ist ein wenig aus der Mode gekommen, solche Filme
auch auf ihren ideologischen und, nun ja, philosophischen Gehalt hin zu untersuchen
und zu kritisieren. Zu recht, einerseits, denn natürlich gehen sie darin
weder auf, noch ist ihr Publikum so naiv, um nicht mit den unterschwelligen
Botschaften fertig zu werden. Zu Unrecht aber auch, weil sie ja auch immer sehr
fundamentale, beinahe unsteuerbare Impulse ansprechen. Auch im Popcorn-Kino
geht es um Liebe, Haß, Verstehen, Ablehnung, Tod. Es geht um Projekte
der Zivilisierung und der Barbarei. Godzilla der Große, hatte noch eine
gewisse Größe und Tragik. Die hunderte von Nachwuchs-Godzillas, die
drohen, die Erde zu überfallen, die vom Super-Tier zum Ungetier werden,
haben das nicht mehr. Sie sind nur noch "Brut", die ausgelöscht
werden muß.
Ich stelle zur Disposition, daß ich einfach überempfindlich
bin. Und wer sich von so etwas nicht die gute Laune verderben lassen will, braucht
ja nicht weiterzulesen. Aber die eliminatorische Phantasie gegenüber diesen
Echsen (für die es nicht den geringsten Ansatz in den japanischen Filmen
des Genres gibt) erinnert mich an die Ratten-Phantasien der antisemitischen
Filme aus Nazi-Deutschland. Es gibt einen Übertragungsvorgang: vom tragischen
Monster, das wir in einem fürchteten und liebten, zur Monsterbrut, die
zugleich komisch und so ekelhaft, aggressiv und zahllos ist, daß wirklich
nur noch eines hilft - Deckel zu und Bombe drauf. Und die Unbedingtheit dieser
Vernichtungsphantasie steigert sich paradoxerweise von dem Augenblick an, da
uns der junge Wissenschaftler erklärt hat, daß es sich eben nicht
um etwas willentlich Böses handelt, sondern um ein durch Menschenschuld
recht schräg geratenes Stück Natur. Daß man es trotzdem töten
muß, hätte vielleicht bei einem anderen zu einem Augenblick wirklicher
Trauer führen müssen oder wenigstens zur Suche nach einem dritten
Weg. Hier wird sie zur Popcorn-Version der Unterdrückung von "Humanitätsduselei".
Nur ein toter Godzilla ist ein guter Godzilla. Es ist schon merkwürdig,
daß es gerade deutsche Regisseure sind, die solche Vernichtungsfilme so
glatt hinbekommen.
Sie haben weitergelesen? Dann gestatten Sie eine letzte
Bemerkung über die Computer-Animation. Sie ist natürlich auf den ersten
und zweiten Blick recht beeindruckend. Sie ist, um es genauer zu sagen, der
einzige Grund, warum man sich den Film überhaupt ansehen kann. Aber die
Illusion ist keineswegs perfekter als bei einem Stuntman im Saurierkostüm
oder beim Stop-Motion-Verfahren. Sie ist nur in ihrer ästhetischen Repräsentation
zeitgemäßer. Wir sind ähnliche Bilder mindestens von den Gratis-CDs
unserer Lieblingscomputerzeitschrift gewöhnt. Doch weder die Räumlichkeit
noch die Anpassung der Geschwindigkeiten von realen Figuren und Computerwesen
stimmt überein; langsam gewöhnen wir uns, zum Beispiel, daran, Menschen
zu sehen, die von Bedrohungen verfolgt werden, die viel schneller sind als sie
selbst und sie doch nicht erreichen. Während in der traditionellen Rückprojektion
zwei Erzählebenen voneinander getrennt bleiben - am einfachsten: Ebene
1: Ursache (King Kong guckt durchs Fenster), Ebene 2: Wirkung (Fay Wray schreit)
-, liegt das Problem der Vermischung von Realaufnahmen und Computeranimation
in der dritten Dimension: die beiden Ebenen begegnen sich permanent, und über
jede Begegnung müßte sozusagen ästhetisch nachgedacht werden.
Roland Emmerich läßt es fast seinen ganzen Film über regnen,
was einen gewissen ästhetischen Reiz ausübt und bei den Szenen im
Freien über einige Probleme dieser Interaktion hinweghilft. Trotzdem (und
so seltsam es klingt): das Kino wartet noch auf den Künstler, der computergenerierte
Bewegungsbilder so einsetzt, daß sie immerhin ein Monster-Movie zur Spielwiese
einer neuen Realitätskonstruktion machen. Size Does Matter? Wir sehen, daß dieser Godzilla nicht wirklich groß
ist (wir sehen förmlich die Anwendung der Rendering-Programme auf dem Bildschirm),
und zu spüren ist von Größe in diesem Film sowieso nichts.
Georg Seeßlen
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 9/98
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Godzilla
(Godzilla) - USA, Japan 1998 - 139 Minuten - FSK: ab 12 Jahre - Regie: Roland
Emmerich - Drehbuch: Roland Emmerich, Dean Devlin, Terry Rossio (Story), Ted
Elliott (Story) - Produktion: Dean Devlin - Musik: David Arnold, Michael Lloyd
- Kamera: Ueli Steiger - Schnitt: Peter Amundson, David Siegel - Besetzung:
Matthew Broderick, Jean Reno, Maria Pitillo, Hank Azaria, Kevin Dunn, Michael
Lerner, Harry Shearer, Arabella Field u.a.
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