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Going
to Pieces
Was von der offiziösen Filmgeschichtsschreibung
bisher lediglich in der Peripherie seiner Aufarbeitung harrte, scheint in den
letzten Jahren nicht nur im akademischen Bereich in den Genuss einer differenzierten
Auseinandersetzung zu geraten. Im angloamerikanischen Raum etablieren sich die
Pornstudies, dem Splatter als Methode wird sich mittlerweile bereits mannigfaltig
in den kulturwissenschaftlich orientierten Filmwissenschaften gewidmet, dem
Slasherfilm und seinen Protagonisten rücken verstärkt die Gender Studies
zu Leibe. Auch das Geschehen im filmhistorisch fokussierten Dokumentarfilm kennzeichnet
eine, mal mehr, mal weniger gelungene, Öffnung gegenüber den (mutmaßlich)
randständigen Erscheinungsformen seiner Zunft: „Midnight Movies“ (2005)
beleuchtet das Phänomen des Undergroundkinos als ritualisierten Kult und
skizziert implizit auch den Wandel der filmökonomischen Auswertung; „Schlock!
The secret History of American Movies“ (2000) begibt sich in die Niederungen
des Z-Films und schafft es dabei zugleich, eine Art alternative Filmgeschichtsschreibung
jenseits der breitenwirksamen Aufmerksamkeitsschwelle zu offerieren; „Inside Deep Throat“ (2005) macht den ersten international erfolgreichen
Porno endgültig salonfähig und „The
American Nightmare“ (2000) führt
ein in den gesellschaftlichen und politischen Kontext, der die Genese der unbequemen
Bildproduktionen der fauves begleitete und ihnen einen subversiven Impetus einschreibt,
der die bloß unmittelbare Schockwirkung des bis dato konventionellen Horrorkinos
weit übersteigt.
„Going to Pieces“ eignet sich insofern bestens als
Doublefeature zu „The American Nightmare“, weil sich in seinem thematischen
Gegenstand sozusagen die reaktionäre Kehrseite der Methode Splatter zu
einem ganzen Subgenre verdichtet: dem Slasherfilm, dessen Erfolgsgeschichte
der Film chronologisch, begleitet von zahlreichen Exkursen, und in freier Anlehnung
an Adam Rockoffs gleichnamige Buchvorlage nachspürt.
Nachdem „Psycho“ und „Peeping
Tom“ die Schaufel ansetzten, „Halloween“ und sein unabsehbarer Erfolg den Weg ebnete, oblag
es nun den Epigonen, angefangen mit „Freitag
der 13.“, jenes Muster an Gesetzmäßigkeiten
zu etablieren, das dem Slasherfilm damals wie heute seinen schlechten Ruf einbrachte.
Ein klappriges Handlungsgerüst, dem scheinbar nur die variierenden Feiertage
als Anlass zugrunde lagen, die puritanische Moral der Bestrafung gekoppelt an
eine nicht sonderlich verhohlene Misogynie, jene ungemeine Phantasiebefähigung
in Fragen des kreativen Tötens und die schlussendliche Wiederherstellung
der Ordnung durch das tugendhafte final
girl waren Wasser auf den Mühlen
der Kritik. Diese ideologisch gefärbte Typologie spiegelt natürlich
nur die halbe Wahrheit wider, und es ist dem Duktus des Films anzumerken, dass
er, bei allen produktionstechnischen Anekdoten der Produzenten, Regisseure,
Darsteller und Kritiker, auf mehr hinaus möchte, als mit ironischem Blick
ein leicht angreifbares Subgenre zu sezieren, bei dem der Rezipient von Anfang
an dessen offenkundige Mechanismen zu durchschauen glaubt. Vom grimmigen Voyeurismus,
der den Zuschauer dank der stets anzutreffenden subjektiven Kamera mit dem Killer
in eins setzt, etabliert in „Halloween“, über psychoanalytische Attacken
der genreimmanenten Geschlechterkonstruktionen und ihrer Rollenzuschreibungen
in Gestalt der transsexuellen Angela in „Sleepaway Camp“, von der sexualidentitären
Mystifikation des Pubertätabschnitts junger Mädchen in „Slumber Party
Massacre“, bis zum ironischen Spiel mit antizipierten Genreerwartungshaltungen
in „April Fool’s Day“ zeichnet der Film ein weitschweifiges Bild alternativer
Deutungsangebote, die schnell verdeutlichen, dass der Slasherfilm auch leicht
gegen den eigenen Strich gebürstet werden kann. Mitunter entwickelte sich
manche Produktion gar zum handfesten Politikum: etwa wenn erzürnte Eltern
eine Kampagne gegen „Silent Night, Deadly Night“ anstreben, so dass sich der
Verleih in letzter Instanz dazu gezwungen sieht, den Film um einen axtschwingenden
Weihnachtsmann aus dem Programm zu nehmen. Ein Sachverhalt, der von den tendenziell
eher walking, als talking heads gebührend sarkastisch kommentiert wird,
unter denen sich übrigens und glücklicherweise nicht nur die üblichen
Verdächtigen wie John Carpenter, Wes Craven oder Tom Savini, sondern auch
unbekannte Regisseurinnen und Akteurinnen wie Amy Holden Jones, Lilyan Chauvin
oder Felissa Rose befinden.
Dass bei dieser Themenbandbreite so mancher Komplex
nur angerissen wird, liegt in der Natur der Sache und fällt nicht wirklich
ins Gewicht. Gerne hätte der Blick nach den italienischen Vorbildern über
Mario Bava und Dario Argento hinausschweifen können, so wie auch die Renaissance
und Transformation des Slashers im zeitgenössischen Film seit „Scream“
eigentlich bereits einer eigenen Produktion bedürfte. Wesentlich ärgerlicher
mutet es da an, dass die Möglichkeiten des nun vielleicht angefixten Zuschauers
einen genaueren Blick auf die hier verhandelten Werke zu werfen, aufgrund der
hiesigen Zensurbestimmungen mit der Gefahr einer sozialethischen Desorientierung
einhergehen und entsprechend beschränkt sind. Kaum einer der Filme erblinzelte
unzensiert das Licht der deutschsprachigen Welt, dutzende Titel sind gar bundesweit
beschlagnahmt. So mag der Zuschauer in spe zwar prophylaktisch vor seinem eigenen
Blutdurst beschützt werden, erlangt aber indes auch nur einen äußerst
lückenhaften Einblick in die verschiedenen Zweige des Horrorgenres und
seiner Geschichte. Mit der jüngsten Beschlagnahmung des Initialklassikers
„Blood Feast“ (1963) wird dies wohl auch in Zukunft so bleiben.
Vielleicht ein brauchbares Thema für den nächsten Dokumentarfilm?
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Going
to Pieces
[Going to Pieces: The Rise and Fall of the
Slasher Film]
USA
2006
Regie:
Jeff McQueen
Länge:
89 Min.
Darsteller:
Wes Craven, John Carpenter, Tom Savini, Deborah Brock, Betsy Palmer u.a.
FSK:
keine Jugendfreigabe
EAN:
7613059 800281
Erschienen
bei: Ascot Elite Home Entertainment
Veröffentlichungsdatum:
21.06.2007
Bildformat:
16:9 anamorph Full Frame
Ton/
Sprache: Deutsch Dolby Digital 5.1, Englisch Dolby Digital 2.0
Untertitel:
Deutsch für Hörgeschädigte
Extras:
Audiokommentar (keine Untertitel), Interviews (deutsche Untertitel), Quiz, Trailer
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