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Fuck
The Geschmackspolizei: Golden
Chicken 2 (Regie:
Leung Chun 'Samson' Chiu)
plappert
vergnügt vom kunterbunten Leben einer Prostituierten im Hongkong des Krisenjahres
2003 und hält auch sonst nicht viel auf Sittlichkeit, Realismus und offen
demonstrierte Intelligenz. Mit einem Wort: Grundsympathisch.
Wenn
Geschichte, Gefühle und die geballte Gewalt der kinematographischen Erzählapparatur
Allianzen eingehen, dann ist für gewöhnlich schnell dem "puren
Kino" das Wort gesprochen. Dieser Hohlphrase lässt sich die Komödie
Golden
Chicken 2 (kantonesischer
Originaltitel: Gam
gai 2)
entgegenhalten: Gerade im emotionalen Rausch ist dieser Film dezidiert impure:
unrein, uneinheitlich, unanständig. Auch: verfälscht und fehlerhaft.
Golden
Chicken,
der erste, erzählte 2002 anhand des Aufstiegs der liebenswerten Prostituierten
Kam (Sandra Ng Kwan Yue) von der wechselhaften ökonomischen Geschichte
Hongkongs seit den späten 70ern und wurde zu einem Kassenschlager in China.
Der zweite Teil erschien bereits 2003, noch in demselben Jahr, von dessen SARS-Krise
die erste Hälfte des Films handelt. Aus diesem relativ eingeschränkten
Rahmen der erzählten Zeit (an "Gegenwart" gibt es eben nur noch
das Jahr 2003 aufzuarbeiten) erklärt sich die zwischen Vor- und Weitererzählung
pendelnde Struktur des Films à la The
Godfather, Part II;
und aus der knappen Drehzeit wohl zumindest teilweise das freie, unrunde, lebendige
Treiben dieses Films. (Dass man für Teil 2 kein Vorwissen braucht, dafür
bürge ich übrigens kraft meiner Unkenntnis des ersten Teils.)
Unpeinliche
Größe
Golden
Chicken 2
sehen, heißt unsanft, aber umso wirkungsvoller daran erinnert werden,
dass einen Film aufmerksam rezipieren nicht bloß heißen kann, bei
Unsubtilitäten und Übertreibungen peinlich betreten die Mundwinkel
zu verziehen. In diese Übung verfällt bisweilen, wer sich zu lange
an zeitgenössischen Erzeugnissen des Mainstream-Genrekinos abarbeitet,
vor allem an dessen Intelligenz und modernen Stil behauptenden Spielarten. Wo
man verspricht, nüchtern solide Bodenarbeit zu leisten, und sich dann den
halbgaren Exzess, das Ein-Bisschen-Over-The-Top-Gehen, die mutlose Outrage doch
nicht verkneifen kann.
(Paradigmatisch
für diese Art von inkonsequenter Unbeherrschtheit ist vielleicht im Gegenwartskino
das Schaffen von M. Night Shyamalan: So überkontrolliert er für die
meiste Zeit vieldeutige Indizien, atmosphärische Details und wohldosierte
Schocks durch seine storyboard-gemeißelten Kader schiebt, so bereitwillig
liefert er seine Feinarbeit dann gegen Ende gern mal - siehe The
Sixth Sense und
Signs
- der vollen Dröhnung übernatürlichen Spielberg-Kitsches aus.)
Bei
Golden
Chicken 2
gilt es dagegen, in Sachen Feingefühl und Subtilität gleich alle Hoffnung
fahren zu lassen. Das weiß man nach der ersten Handvoll Szenen, spätestens
aber, wenn Kam die Hochzeitsfeier ihrer Ex-Kollegin mit ihrer lebhaft-vulgären
Erscheinung aufmischt. Zuerst nervt deren penetrantes Quasseln und über-vitales
Spiel, aber bald nimmt jenseits der Peinlichkeitsgrenze der beständige
Überschwang erstaunlich reizvolle Konturen an.
Gerade im klamaukigen Exzess wird man hier des Öfteren von ganz unerwarteter
Seite überrumpelt: In und zwischen Kams kuriosen Erlebnissen mit (unter
anderem) einem (s)exquisiten Selbstmordplan, einem hyperaktiven Haarfetischisten
und einem zwielichtig-biederen Cousin sprießen - unerwartet und deshalb
umso effektiver - anmaßend "große" Gefühlsmontagen
hervor: Tragische Wendungen, kitschbunte Neonfarben und süßlicher
Kanton-Pop verschmelzen mit dem Overacting zu dichten Stimmungen, bis selbst
ein blasses, aufgeblasenes TV-Nachrichtenbild von Menschenmassen zum Ornament
wird. Die Konsequenz, mit der hier das Schrille und das Melodramatische, Sexfarce
und kindliches Staunen, zusammengedacht sind, erinnert an das pralle Kino des
Pedro Almodóvar.
Peinliche
Affirmation
Freilich:
Von Prostitution derart unbeschwert zu erzählen wie Golden
Chicken 2,
ist ein heikles Unterfangen und lässt sich nicht einfach mit einem Verweis
auf das "entspanntere" Verhältnis südostasiatischer Kulturen
zur Sex-Freizeitindustrie vom Tisch wischen. Potentiell wäre der Handel
mit dem eigenen Körper ja eine probate Metapher für die überschwängliche
Selbstausbeutung der Hongkonger Turbo-Wirtschaft, aber so böse kommt das
bei dem grundsätzlich sympathisierenden Blick des Films nur selten rüber.
Nur das sarkastische Portrait von Kams Cousin als schmierige Verkörperung
des Hongkonger Wirtschaftstraums, das die zweite Hälfte des Films dominiert,
bringt so etwas wie eine satirische Klinge in die fröhlichen Verwicklungen.
Wie
Kam nach diversem historischem und persönlichem Ungemach immer wieder auf
den Füßen landet, das hat hier aber immerhin nichts von der Schicksalsergebenheit
eines Forrest
Gump,
die in tragikomischen Geschichtsverarbeitungen so gerne (siehe die österreichischen
Bockerer-Filme
und zuletzt - ins Register der Familiengeschichte übertragen - Tim Burtons
Big
Fish)
ins schmierig Affirmative umschlägt: als optimistische Übermalung
von Krisenzeiten und Ambivalenzen aus der herbeiprojizierten Perspektive herzensreiner
"einfacher Leute", an denen alle historische Mitverantwortung abgleitet.
Vor derartiger Vereinnahmung als Nationalepos durch die Hintertür weiß
sich Golden
Chicken 2
zu bewahren, zumindest bis auf die letzten paar Minuten: Da referiert dann in
der Rahmenhandlung im Hongkong des Jahres 2046 der nunmehrige chinesische Staatschef
Andy Lau (sic!) über den sagenhaften Fortschritt, den das Land inzwischen
gemacht hat. Bei aller Ironie, hier wird es wirklich
peinlich.
Golden
Chicken 2
HK
2002
Regie:
Samson Chiu Leung-Chun
Produktion:
Peter Chan Ho-Sun, Jojo Hui
Darsteller:
Sandra Ng Kwun-Yu, Jacky Cheung Hok-Yau, Anthony Wong Chau-Sang, Leon Lai Ming,
Ronald Cheng Chung-Kei, Chapman To Man-Chat, Crystal Tin Yui-Lei, Angelica Lee
Sum-Kit, Dicky Cheung Wai-Kin, Lawrence Cheng Tan-Shui, Felix Wong Yat-Wah,
Andy Lau Tak-Wah, Kenneth Ng, Wancy Dai
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