zur startseite
zum archiv
zu den essays
Good Bye, Lenin!
Die sogenannte „DDR“
Es gibt im Film „Good
Bye, Lenin!“ ein kleines Handlungsdetail, das zu einer Allegorie über den
Film selbst taugt, und mit dem sich der Film selbst als unseriöse Aufschneiderei
outet: Alex fälscht die „Spreewaldgurken“, indem er das DDR-Originalglas
mit holländischen Gurken füllt. Was passiert? Mama (Katrin Saß)
merkt es nicht. Für Mama schmecken holländische genauso wie Spreewaldgurken...
Und Mama merkt auch nicht,
dass der Mokkafix von Jacobs ist, dass die Aktuelle Kamera nicht mal mehr das
AK-Logo hat, geschweige denn, dass die Moderatoren nicht mehr die alten sind,
Mama merkt nicht, dass es ausser dieser dubiosen Nachrichtensendung nichts mehr
im Fernsehen gibt, dass sie nicht umschalten kann, Mama merkt nischt, obwohl
sie sonst einigermaßen klar im Kopf zu sein scheint. Mama muss auch nicht
in die Reha, und obwohl sie seit einem halben Jahr auf dem Rücken liegt,
hat sie keine wunden Stellen. Sie muss nicht mal gepflegt werden. Und als sie
eines schönen Tages Lust bekommt, aufzustehen, tut sie das mal einfach,
und geht nicht nur bis zum nächsten Stuhl, sondern gleich mal so im Nachthemd
auf die Straße – das sind ja auch nur hundert Schritte: nach über
einem halben Jahr Bettliegen.
Und draußen fliegt ein Lenin-Monument, am Hubschrauber hängend, vorbei, klar: die billigste Transportmethode für Schrott. Mama glaubt auch, dass die ganzen Wessis freiwillig in den Osten gehen, klar, natürlich. Wessis, die aussehen wie Ossis – Mama müsste doch ihre Genossen erkennen -, weil das natürlich Dokumentaraufnahmen vom Mauerfall sind. Wo überhaupt – außer in den Dokumentar-Szenen - sieht man im Film die gebleichten Jeans, die 1989/90 in der DDR der Renner gewesen sein müssen, weil die damals alle Ossis anhatten? Stattdessen diese päkigen 70er-Jahre-Klamotten, die dem Mottenkisten-DDR-Klischee entsprechen, das sich anscheinend im Westen festgefressen hat.
Die Mutter, von der der Film behauptet – oder war es nur der offizielle Pressetext? -, sie sei eine 200-prozentige DDRlerin, ist es ja gar nie gewesen. Sie sagt im Film, dass sie nur zu feige war, mit ihrem Mann abzuhauen. Wer weint denn da was oder wem hinterher? Der gesamte Film „Good Bye, Lenin!“ ist eine peinliche Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten, er widerspricht sich selbst alle 5 Minuten, und setzt schließlich seine eigene Behauptung, er trauere irgendeiner DDR hinterher, außer Kraft, wenn er doch nicht ein einziges gutes Haar an der DDR läßt, wenn es keine Figur in ihm gibt, die irgendwas an der DDR gut fand.
Mein Vorwurf mangelnder
Plausibilität wird bestimmt das Argument auf den Plan rufen, dass der Film
ja nicht den Realitätsanspruch hat, den ich ihm unterstellen möchte,
dass er eben eher sinnbildlich, als freie Kulturstudie zu sehen sei. Dann aber
frage ich mich, was ich mit diesem plot anfangen soll, der natürlich mit Suspense arbeitet:
Weil die Mutter schwer
infarktgefährdet ist, darf sie sich nicht aufregen. Weil sie die Wende
nicht mitbekommen hat, aber eine Linientreue ist, würde sie die Wahrheit
über das Ende der DDR töten. Deshalb möchte ihr der Sohn eine
heile DDR-Welt vorgaukeln. Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder ich versuche
mich in die Geschichte, bzw. die Position aller Beteiligten hineinzuversetzen,
oder ich halte die Geschichte für einen unwichtigen Aufhänger, weil
der Film mir auf eher phantasievolle Weise etwas über das Ende der DDR
erzählen will.
Wozu dann aber die Problematik
mit der kranken Mutter? Eigentlich die gesamte Spannung des Films basiert auf
genau dieser Problemkonstellation, und sie steht und fällt mit der Folgerichtigkeit,
in der sich die Handlung aus ihr entwickelt. Deshalb ist sie am Film das Wichtigste.
Wenn aber die Logik zu häufige Brüche erlebt, kommt das ganze Gerüst
ins Wanken, und die Geschichte funktioniert nicht mehr. Eben das passiert in
„Good Bye, Lenin!“ Die Geschichte ist inkonsistent konstruiert. Die Figuren
und deren Verhalten, die Rahmenbedingungen sind unglaubwürdig. Deshalb
ist der Film auch schnell langweilig, um nicht zu sagen: ärgerlich, weil
man sich als Zuschauer nicht ernst genommen fühlt.
Ganz anders funktioniert
da z.B. der thematisch verwandte Film „Sonnenallee“, der vom ersten Augenblick an vorzeigt, dass er DDR-Theater
spielt. Keine Szene darin erhebt Anspruch auf Authentizität, alles ist
ironische, surreale Komödie, und doch steckt in dem Film hundertfach mehr
spürbare DDR als in „Good Bye, Lenin!“, der sich nicht entscheiden kann,
ob er persiflieren soll oder dramatisieren – ein Leiden, an dem auch schon Regisseur
Wolfgang Beckers (BRD - wie auch Drehbuchautor Lichtenberg) Vorgänger „Das Leben ist eine Baustelle“ litt.
Rein dramaturgisch ist
der Film eher müde aufgebaut. Mit wenigen Pointen und ohne spürbaren
Rhythmus schleppt er sich dahin – und das sogar, wenn man mal die logischen
Fehler verdrängt. Der wohl allgemein für attraktiv befundene Daniel
Brühl, der für diesen Film hochgelobt und als zukünftiger internationaler
Megastar gefeiert wurde, macht seine Sache ganz ordentlich, wenn man bedenkt,
dass seine Rolle des Sohnes Alex kaum mehr als zwei Gesichtsausdrücke,
nämlich den des Zerknirschten und des Verliebten bereithält. Die dritte
Miene, die er macht, wenn er böse aussehen soll, übrigens deutet darauf
hin, dass er es nicht nach über den Teich schaffen wird, denn wenn er böse
guckt, sieht er ziemlich hässlich aus. In Hollywood müssen schließlich
auch die Bösen super aussehen. - Aber was soll man als Schauspieler auch
in Hollywood? - Jedenfalls ist Brühl, der z.B. in „Das weiße Rauschen“ brilliert hat, in „Good Bye, Lenin!“ permanent unterfordert,
bzw. überfordert, weil seine Rolle ständig an der Peinlichkeitsgrenze
des Unglaubwürdigen entlangschrabbelt. Dagegen muss einer erstmal anspielen
können.
Seine Freundin (Chulpan
Kamatova), die Krankenschwester Lara aus der SU (Dr.Schiwago, ick hör dir
trappsen) ist übrigens nur ein Püppchen, lieb und ohne anstrengende
Persönlichkeit – aber ganz hübsch, was wohl am wichtigsten war für
ihre Rolle; auch Kamatova kann nichts für das Drehbuch.
Irgendwo zwischen den
Stühlen Drama und Komödie sitzt der Film unglücklich und versucht
diese Schwäche mit Atmosphäre wettzumachen. Überhaupt ist diese
DDR im Film nur noch auf ein rein (un-)ästhetisches Phänomen reduziert.
Für den Film besteht/bestand sie aus etwa drei Verpackungen oder Marken,
aus Trabis, aus Jungen Pionieren, die nur ein Lied können, das im Film
unablässig wiederholt wird, genauso wie die Spreewaldgurken, die immer
wiederkehren, als sei das Leben in der DDR das Dasein von Schaufensterpuppen
in einem Schaufenster mit minimalistischer DDR-Deko gewesen.
Wird so ein Film annähernd
einer Realität in der DDR gerecht? Welche Ex-Ossis stehen endlich auf und
retten den Rest ihrer Würde (wenn sie sich auch schon zu schnell an den
Westen verkauft haben) und protestieren gegen eine solch grobe Verharmlosung,
Verniedlichung, Klischierung ihrer Geschichte: „Wir waren das Volk und keine
Staffage!“ Nein? Keine Rehabilitationsbestrebungen? Und für wie doof werden denn die DDR-ler im Film
gehalten? Die Tochter hat nach der Wende nichts Eiligeres zu tun, als ihr Studium
zu schmeißen und eine steile Karriere als Burger-King-Verkäuferin
zu beginnen? Versteht mich richtig, warum will uns der Film einen Bären
nach dem anderen aufbinden, aber – noch viel schlimmer – warum lassen sich Tausende
von Besuchern all diese Plattitüden und Ungereimtheiten aufbinden und sind
dabei so gerührt, dass ihnen noch die Tränen kommen? Ich bin sattsam
ernüchtert. Der Film des Jahres? Auslands-Oscar-verdächtig? Deutschland
hat auf diesen Film gewartet?
Ja, vielleicht um die
letzten echten Erinnerungen an eine Zeit vor der Wende auch noch zu verkleistern
mit absolut politik- und realitätsfreiem Ostalgiekitsch, einem Mythos,
der so nur westlichen Hirnen entsprungen sein kann. Der Westen übernimmt
den Osten vollständig: Auch die Erinnerung ist verraten und verkauft.
Diesen Film hat die DDR nicht verdient, weil sie wertvoller war, als „Good Bye, Lenin!“ sie macht. Denn auch das dümmste Regime, das schlechteste Leben unter den schlimmsten Umständen ist wertvoller als ein hohles, falsches Bild - weil es wenigstens wahrhaftig ist. Es ist genau wie mit den Spreewaldgurken: Wo DDR draufsteht, ist noch lange nicht DDR drin, aber wenn das keiner mehr merkt, dann: „Good Night, Germany!“.
P.S. Wer im Film ganz ganz genau aufgepasst hat, wird gemerkt haben, dass Alex das Spreewaldgurkenglas nicht mit holländischen Gürkchen füllt, weil er kein leeres Spreewaldgurkenglas mehr findet – Erst später findet er ein altes, noch ungeöffnetes. Aber: Die Allegorie funktioniert trotzdem, auch mit Mokkafix...
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Kritiken
Good Bye, Lenin!
D 2002. R,B: Wolfgang Becker - B: Bernd Lichtenberg. K: Martin Kukula. S: Peter Adam. P: X Filme. D: Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan
Khamatova, Michael Gwisdek, Maria Simon, Florian Lukas u.a. 121 Min. X Verleih
ab 13.2.03
zur startseite
zum archiv
zu den essays