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Good
Fellas -
Drei Jahrzehnte in der Mafia
Einen
wahren Klassiker des Gangsterfilms – wenn man dieses Genre bei Filmen von Martin
Scorsese bemühen will – lieferte der Meister 1990 mit diesem Film aus dem
Mafia-Milieu, der die wahre Geschichte des Gangsters Henry Hill, seinen Aufstieg
und seinen Fall, von den 50er bis in die 80er Jahre zum Gegenstand hat.
»Solange
ich denken kann, wollte ich immer Gangster werden«, läutet Henry
Hill (Ray Liotta) den Rückblick auf seine Gangsterkarriere ein. Das klingt
nicht nur wie der Traum eines jeden Jungen »Ich wollte schon immer Pilot
werden«; es ist ernst gemeint.
Der
junge Hill ist fasziniert von den Mitgliedern der New Yorker Quartier-Mafia,
von Jimmy (Robert de Niro) und Tommy (Joe Pesci), die machen können, was
sie wollen, auf niemanden Rücksicht zu nehmen brauchen – außer auf
die über ihnen – und viel Geld bei ihrem Beruf verdienen. Und Hill hat
das Glück, in diese ehrenwerte Gesellschaft aufgenommen und eingeführt
zu werden, an der Seite von Jimmy und Tommy. Henry macht Karriere. Schon bald
organisiert er selbst Banküberfälle. Wer dabei im Weg steht, wird
»weggeräumt«, umgebracht. Dabei sind Jimmy und vor allem Tommy
nicht zimperlich. Sie verstehen ihr Handwerk, einschließlich Mord, und
kennen kein Pardon und kein Gewissen.
So
vergehen die Jahre und Henry baut sich eine wahre Gangsterexistenz mit allem
Drum und Dran auf, einschließlich Frau Karen (Lorraine Bracco), Kindern
und einer drogenabhängigen Geliebten.
Als
er allerdings in den Drogenhandel einsteigt, bekommt er Probleme – nicht nur
mit dem örtlichen Mafiaboss. Auch neuerlicher Raub wird ihm fast zum Verhängnis:
Alle Beteiligten wollen ihr Geld. Jimmy, Tommy und Henry haben alle Hände
voll zu tun, einen von ihnen nach dem anderen zu beseitigen, um potentielle
Zeugen der Polizei aus dem Weg zu räumen. Dann wird Henry selbst verhaftet,
und die anderen befürchten, er könne sie verraten ...
Scorsese
malt ein Sittengemälde über einen Zeitraum von gut dreißig Jahren.
Dabei schildert er wie kaum ein anderer das kriminelle Milieu als ein eigenständiges
soziales Milieu mit allen grausamen und doch für die Beteiligten völlig
normalen, selbstverständlichen, in Fleisch und Blut übergegangenen
Regeln. Die Virtuosität, mit der Scorsese
die Lebensentwürfe und Lebensläufe der handelnden Personen
in den sich verändernden Zeitgeist von den 50er bis zu den 80er Jahren
schildert, ist beeindruckend und beklemmend zugleich. Diese Lebensentwürfe
sind von nur einem geprägt, der Gier nach Macht, Geld, Einfluss, versteckt
hinter einer oberflächlich bürgerlichen Fassade mit Familie, ja Sippe,
und Gemeinschaft – natürlich in der Hauptsache von Männern. Freundschaft,
Ehre, Vertrauen herrschen in diesem Milieu nur bis zu dem Punkt, an dem das
eigene Streben nach Macht und Geld in Gefahr gerät. An diesem Punkt ist
jeder bereit, seinen »besten Freund« brutal zu ermorden.
Je
weiter der einzelne Gangster in diesem Milieu verhaftet ist, desto geringer
auch nur der Hauch einer Chance, darüber nachzudenken oder gar auszusteigen.
Doch diese Männer wollen auch gar nicht darüber nachdenken. Sie haben
diesen Weg bewusst gewählt. Der Mord ist für sie kein Mord, sondern
die Beseitigung eines Hindernisses. Wenn etwa ein aus dem Gefängnis zurückgekehrter
Mafiosi wegen einer Beleidigung auf das grausamste umgebracht wird, bedeutet
dies für die Beteiligten nichts anderes, als wenn jemand Bäume fällt,
um ein Grundstück zu bebauen: die drei treten ihn mit den Füßen
so lange ins Gesicht, bis er bewusstlos ist. Als sie ihn im Auto fortschaffen
und merken, dass er noch lebt, traktieren sie ihn schlimmer als ein wildes Tier
mit einem langen Küchenmesser und schießen ihm noch mehrfach in Kopf
und Körper, bis auch ganz sicher ist, dass er tot ist.
Solche
Szenen werden nicht häufig gezeigt; aber wenn, sind sie nicht nur abstoßend,
sondern porträtieren zugleich die Verhaltensmuster eines Milieus, das auf
eine schier unglaubliche, unmenschliche Weise selbstgerecht ist.
Scorseses
Streifen enthält sehr viele Anklänge an den amerikanischen Gangsterfilm
der 40er (etwa die Filme mit Edward G. Robinson), aber auch der 50er Jahre (z.B.
die mit Frank Sinatra), verabschiedet sich aber zugleich von der Euphorie und
Bewunderung dieser Streifen, in der das kriminelle (Mafia-)Milieu als eine Art
Abenteuerroman daherkommt.
Robert
de Niro, Ray Liotta und Joe Pesci sind ein Volltreffer-Trio für einen solchen
Film. Sie gehen sozusagen ganz und gar in der Mafia-Szene auf, sind glaubwürdig
in der Darstellung der entsprechenden Verhaltensmuster und lassen keinen Zweifel
über die Charaktere, die sie spielen, aufkommen: Der Zweck heiligt für
sie wirklich jedes Mittel; selbst vor der eigenen Mutter oder Frau oder anderen
Familienmitgliedern würden sie keinen Halt machen.
Scorsese
ist Moralist, ein extremer Moralist sogar, und sein Film ist ein deutlicher
Kontrapunkt etwa zu »Der Pate« von Coppola, in dem die Gangsterwelt
zwar ruchlos, aber eben doch irgendwo auch ehrbar erscheint. Trotzdem ist »Goodfellas«
kein moralisierender Film mit dem Zeigefinger. Scorsese erzählt die Geschichte
so nah an der Realität (bzw. der Autobiografie Hills) wie irgend möglich.
Er lässt die Gangster für sich sprechen. Sie sind es, deren Verhalten,
Denken, Handeln den Betrachter entweder abstoßen oder anziehen, deren
Milieu auf den Zuschauer als Zeugen attraktiv oder widerlich wirkt, eine
Milieu, das kompakt, logisch »durchdacht«, verhaltensmäßig
eindeutig ist – und doch brüchig wie kaum etwas anderes, weil die Fassade
von Ehre und Freundschaft gnadenlos zusammenbricht, wenn sich einer »auf
den Schlips getreten« fühlt. Kampf, Gier, Machtdrang in Permanenz,
bis zur Erschöpfung, bis die Zeiten sich so verändert haben, dass
auch ein Henry Hill nicht mehr mithalten kann und als Kronzeuge gegen seine
»besten Freunde« aussagt. Auch eine Logik des Milieus, denn jetzt
ging es um sein Leben.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: CIAO.de
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Goodfellas
- Drei
Jahrzehnte in der Mafia
(Goodfellas)
USA
1990, Regie: Martin Scorsese, Buch: Nicholas Pileggi und Martin Scorsese, Kamera:
Michael Ballhaus, Schnitt: Thelma Schoonmaker. Mit: Ray Liotta, Robert de Niro,
Joe Pesci, Lorrainne Bracco, Paul Sorvino, Frank Vincent, Chuck Low, Frank Sivero
u.v.a..
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