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Goodfellas
Der Film beginnt
unvermittelt mit einer äußerst brutalen Mordszene. Die drei Hauptfiguren
Henry Hill (Ray Liotta), Jimmy Conway (Robert de Niro) und Tommy de Vito (Joe
Pesci) sind mit dem Auto unterwegs und werden durch ein Geräusch gestört.
Es zeigt sich, dass im Kofferraum ein blutüberströmter Mann liegt,
der eigentlich tot sein sollte. Tommy sticht wütend mit einem riesigen
Messer auf ihn ein, Jimmy feuert seinen Revolver in den Körper und Henry
schaut den beiden zu. Aus dem Off hören wir jetzt Henrys Stimme, die uns
das Motto des Film mitteilt: „As far as I can remember, I always wanted to be
a gangster.“ Solange er zurückdenken konnte, wollte er immer ein Gangster
sein. Diese Eröffnungsszene steckt die Spannweite des Films ab. Gangster
zu sein, Mitglied der Mafia zu sein bedeutet beides, Verwirklichung eines Kindertraums
und brutalste Gewalt. Dieses Spannungsfeld entfaltet der Film in den nächsten
140 Minuten.
Die Handlung setzt
in den 50er Jahren ein. Die Hauptfigur, Henry Hill, dessen Stimme den Zuschauer
durch die Handlung führt, ist ein ungefähr zwölfjähriger
Knabe, der aus dem Fenster die Gangster des Viertels bei ihrem Treffpunkt beobachtet.
Wir befinden uns in New York, in Little Italy, der Gegend, in der Regisseur
Martin Scorsese aufwuchs und die er kennt, wie nichts sonst. Der junge Henry
empfindet nur Bewunderung für die Gangster und er möchte unbedingt
dazu gehören. Über kleine Hilfsarbeiten und Botengänge wächst
er in das Milieu hinein und erwirbt sich die Förderung des örtlichen
Paten Pauly Cicero (Paul Sorvino). Was ihn so fasziniert, ist die Tatsache,
dass die Gangster alles tun können, was sie wollen. Sie sind jemand. Ihnen
wird Respekt gezeigt und sie brauchen auf niemanden Rücksicht zu nehmen.
„Ich konnte alles machen“, sagt Henry. „Ich war Teil von etwas.“ Seine Initiation
in diesen Männerclub der Mafia erhält er mit seiner ersten Verhaftung,
bei der er die beiden wichtigsten Gebote einhält: Niemanden verraten und
immer schweigen. - Er wird sie am Ende beide brechen.
Henry emanzipiert
sich aus der Enge seines Elternhauses und er wächst über seine Eltern
hinaus. Sein Vater, der sich abrackert aber doch die kleinbürgerlichen
Verhältnisse nicht überwinden kann, verprügelt Henry, weil er
nicht mehr zur Schule geht. Diese Szene mündet in das erste von vielen
eingefrorenen Bildern des Films: Das wurtverzerrte Gesicht des Vaters und sein
zum Prügeln erhobener Arm. Gewalt als Mittel zur Lösung von Problemen
wird in dieser Welt von allen akzeptiert. Doch bald verdient Henry mehr Geld
als seine Eltern jemals verdienen werden. Mit Anzug und nagelneuen Schuhen klingelt
der Knabe an der Wohnungstür und wird von seiner Mutter, die gleichermaßen
erstaunt wie entsetzt ist, mit dem Satz „You look like a gangster“ empfangen.
Im nächsten
Bild sehen wir ihn als Erwachsenen. Ja, Henry Hill ist ein Gangster geworden,
ein ausführendes Mitglied der Mafia. Denn der Film handelt nicht auf der
Ebene der großen Bosse. Es sind die kleinen Verbrecher, die Diebstähle
und Auftragsmorde begehen, denen wir begegnen. Scorseses Inszenierung versetzt
uns mitten hinein in dieses Milieu. In großartigen Kamerafahrten drängen
wir uns durch Bars und werden links und rechts gegrüßt, wir beugen
unsere Köpfe mit den Gangstern zusammen, wenn sie ihren nächsten Coup
planen. Wir als Zuschauer sind immer mitten drin. Die Kameraarbeit Michael Ballhaus’
trägt viel dieser zur Atmosphäre bei.
Der Film moralisiert
nicht. Er zeigt das Gangstermilieu von innen heraus und lässt die Faszination
erleben, die Henry empfindet. Es ist noch immer dieses Lebensgefühl, alles
tun und lassen zu können, sich alles nehmen zu können, was man will
und wann man es will. Für die gewöhnlichen Leute, die sich jeden Tag
abrackern, empfindet man nichts als Verachtung. Dies wird am besten zum Ausdruck
gebracht in der Copacabana-Szene, einer der grandiosesten Kamerafahrten der
Filmgeschichte. Henry besucht mit seiner Freundin Karen (Lorraine Bracco) den
Copacabana-Club. Doch er reiht sich nicht in die Schlange der Wartenden ein,
er nimmt den Hintereingang und führt die staunende Karen direkt vor die
Bühne. Die Szene ist in einer einzigen langen Einstellung gedreht und zeigt
das unaufhaltsame Eindringen des Gangsters durch die Hintertür, sein Lächeln
und die allgegenwärtige Korruption, wenn er jedem Bediensteten einen Schein
zusteckt. Durch die Küche als privaten Raum drängt er sich, überrascht
ein schmusendes Pärchen und gelangt ins Zentrum der Gesellschaft, wo ihm
ganz vorne direkt vor der Bühne extra ein Tisch aufgebaut wird.
Mit solchen Auftritten
gewinnt Henry Karen für sich. Sie wird die zweite Erzählstimme des
Films, die jetzt Ereignisse auch aus ihrer Perspektive berichtet. Die Handlung
erhält so ein retardierendes Moment und eine zweite Initiation wird vorbereitet.
War es zuerst der junge Henry, dem die Welt der Gangster als faszinierende Perspektive
erschien, so wiederholt sich diese Bewegung jetzt bei Karen. Auch sie ist überwältigt,
auch sie erlebt das Gangstertum zuerst als Öffnung als Befreiung zu jenem
Gefühl des „Alles ist möglich“. „Jeder wollte nett zu ihm sein“, sagt
Karen über Henry. Und selbst als sie Zeuge wird, wie Henry ihrem Nachbarn
mit einem Revolver das Gesicht blutig schlägt, bleibt sie doch fasziniert.
Die Wahrheit ist, es erregt sie, als Henry ihr den blutbeschmierten Revolver
zum Verstecken in die Hand drückt, so erfahren wir aus Karens Mund. Die
Hochzeit ist ein Traum aus Luxus und Verschwendung. Sie sieht Henrys Leben nicht
als Verbrechen. Er macht Geschäfte.
Scorsese nimmt
sich Zeit, die Faszination des Gangsterlebens aus zwei Perspektiven zu entfalten.
Die Stimmung wird durch den großartigen Soundtrack unterstützt. Scorsese
bietet Evergreens aus drei Jahrzehnten, die nicht einfach nur Hintergrundmusik
sind, sondern das Lebensgefühl der Protagonisten exakt einfangen. Es ist
ein Leben in Luxus, eine beständige Belohnung durch unverdiente Privilegien.
Alles ist möglich und es ist sofort möglich. Will ich einkaufen, so
nehme ich ein dickes Bündel Dollars aus der Tasche, will ich etwas Bestimmtes
haben, so nehme ich es mir einfach, verärgert jemand mich, dann schlage
ich sofort zu, so hart ich will. Direkte Rache ist möglich, sofort.
Doch dieser angeblichen
Traumwelt steht von Anfang ein zweites Motiv gegenüber: die Gewalt. Gewalt
ist in der Welt der Goodfellas allgegenwärtig und zwar im wörtlichen
Sinn. Gewalt ist ständig latent vorhanden und kann urplötzlich brutal
ausbrechen. Die fröhlichste Stimmung kann schlagartig umkippen. Und niemand,
wirklich niemand ist vor ihr sicher. Unvergessen bleibt jene Szene als Tommy
eine witzige Geschichte erzählt und Henry lachend sagt, er sei komisch.
Wie komisch? „What do you mean, funny? How am I funny“, will Tommy wissen -
und für einen kurzen äußerst spannend inszenierten Moment scheint
alles möglich, es scheint möglich, dass Tommy gleich auf Henry einschlagen
oder schießen könnte. Bis sich alles wieder in Gelächter auflöst.
Die Spannung entlädt sich aber einen Augenblick später, wenn Tommy
dem Wirt ein Glas über den Kopf schlägt, weil er dessen Bitte nach
Bezahlung als Belästigung empfindet.
Morden, jemanden
erschießen war etwas Alltägliches, sagt Henry. Gewalt und Mord wird
schlimmstenfalls als Panne angesehen. Nachdem Tommy und Jimmy den Mafioso Billy
Bats (Frank Vincent) in Henrys Bar regelrecht zu einem blutigen Klumpen getreten
haben, nur weil Tommy sich provoziert fühlte, ist dessen einziger Kommentar:
„Tut mir leid mit dem Blut auf dem Fußboden.“ Der gleiche Tommy erschießt
einen jungen Kellner, der sogar zu den Gangstern gehört, aus einer witzigen
Plänkelei heraus. „Ich wusste nicht, dass du Spaß machst“, sagt er
er zu Jimmy. Auf den Toten wird nicht eine Sekunde lang Aufmerksamkeit verwendet.
Dies ist die absolute Abwesenheit jeglicher Art von Moral und Gewissen. Gewalt
und Spaß kommen fast immer zusammen. Nach dem Mord an Billy fahren Henry,
Tommy und Jimmy bei Tommys Mutter (Catherine Scorsese) vorbei, um ein großes
Messer zum Zerteilen der Leiche zu holen. Sie haben ihren Spaß beim Essen
und machen Witze mit der Mutter, während der schwerverletzte Billy von
innen an den Kofferraumdeckel klopft. Ein groteskerer Kontrast scheint kaum
vorstellbar. An diese Stelle schließt die Anfangsszene des Films handlungstechnisch
an.
Es sind diese drei
Figuren, Henry, Tommy und Jimmy, die im Mittelpunkt des gesamten Films stehen
und die schauspielerisch grandios verkörpert werden. Jimmy und Tommy sind
Paraderollen für Robert de Niro und Joe Pesci, Henry ist die bisher bedeutendste
Rolle Ray Liottas geblieben. Henry bleibt immer der rationalste, er dient als
Identifikationsfigur für den Zuschauer. Er bemüht sich immer, dazu
zu gehören, will die anderen aber oft von Gewaltausbrüchen abhalten.
Trotzdem lacht er sich dann tot über die Aktionen seiner Kumpane. Henry
bleibt bis zu einem gewissen Grad immer eher Zuschauer als Akteur. Jimmy ist
der coolste und stärkste. Er wird bewundert und ist eine Art Anführertyp.
Tommy ist der Verrückte, gleichzeitig witzig und brutal. Er verhält
sich absolut spontan und setzt jeden Gewaltimpuls sofort um. Diesen Gewaltausbrüchen
Tommys haftet immer auch etwas Infantiles an. Die Gangster werden als Männer
gezeigt, die nie wirklich erwachsen werden. Darin liegt auch jene anfängliche
Faszination des „Alles ist möglich“. Schießen, Prügeln, sich
sofort nehmen was man will. Es ist eine Welt sich aus Spaß prügelnder
Knaben, die aber mit den Waffen der Erwachsenen zum blutigen Ernst wird. Diese
ganze Welt wird als etwas ganz alltägliches gezeigt. - Doch sie werden
am Ende alle entlarvt. Henry der um Hilfe wimmert, Jimmy, der immer kleinkarierter
und paranoider wird, mit großer Brille und Klemmbrett, Tommy der auf dem
Boden verblutet, von den eigenen Bossen fallen gelassen.
Die Ermordung Billy
Bats’ leitete im Vorausblick als allererste Szene den Film ein und die entsprechende
Sequenz stellt später so etwas wie den Angelpunkt des Films dar. Bis dahin
überwiegt die Faszination, bis dahin hat die Darstellung etwas Ausgreifendes
und Großzügiges. Der Film springt durch die Jahre, es wird viel gefeiert
und gelacht und es gibt großräumige Kamerabewegungen. Doch langsam
beginnen sich die Räume zu verengen, sowohl im wörtlichen als auch
im übertragenen Sinne. Die Mafiafamilie, in der Henry und Karen sich ausschließlich
bewegen, wirkt zunehmend klaustrophobisch. Sie bewegen sich immer im selben
Kreis mit denselben Menschen. Sie stecken in einem Netz, aus dem es kein Entkommen
gibt. Das Geld ist weiterhin im Überfluss vorhanden, doch mehr und mehr
bestimmt Mistrauen die Beziehungen der Akteure. Henry betrügt seine Frau,
er hintergeht seinen Boss Pauly, Jimmy misstraut seinen Kumpanen und bringt
schließlich einen nach dem anderen um. Für einige Jahre wandert Henry
sogar ins Gefängnis. Die gegenseitige Bedrohung wird erfahrbar. Der Freund
ist immer zugleich der ärgste Feind, im Vertrauen lauert das Misstrauen
und jede freundschaftliche Geste enthält die Drohung der Gewalt.
Der Film moralisiert
auch jetzt nicht, aber da er die Innenperspektive niemals verlässt, wird
die ursprüngliche Faszination jetzt als Fassade entlarvt. Das ganze großzügige
Leben ist nur oberflächliche Protzerei. Die tatsächliche Existenz
der Gangster ist viel spießiger als bei den verachteten kleinen Leuten.
Geld und Luxus sind immer da, Henry kauft zum Beispiel den teuersten Weihnachtsbaum,
ein kitschiges Ungetüm, ganz in Weiß, doch das ganze Leben besteht
daraus, zum Essen zu Boss Onkel Pauly zu gehen und mit Jimmy und den Jungs zusammen
zu hocken. Und bei alledem muss man immer aufpassen, sich keine Blöße
zu geben und kein falsches Wort zu sagen. Diese Welt wird einzig von der Gier
nach Geld und Macht bestimmt und ist damit eine verzerrte Spiegelung des amerikanischen
Traums. Die Fassade muss immer stimmen. Pauly kommt mit Jimmy bei Henry vorbei,
um ihn zu ermahnen, dass er zu Karen zurückkehrt. Die Familie ist heilig.
So wie sie Henry aufsuchen, könnte es genauso gut, ein Besuch zum Eintreiben
von Schulden sein. Es ist die gleiche Tonlage, es sind die gleichen Gesten.
Das ganze Gerede von Treue und Freundschaft zeigt sich als verlogene Fassade.
Die Zeit im Gefängnis
wird als Groteske inszeniert. Gleichzeitig mit Henry muss auch Pauly ein Jahr
absitzen und die Mitglieder der Gang führen ein Luxusleben in ihrer Zelle.
Hummer und riesige Steaks, Wein und Zigarren haben sie immer zur Verfügung.
Die Welt des Gefängnisses ist genauso korrupt wie die Welt draußen,
statt Geschäftsleuten und Polizisten müssen jetzt eben die Wärter
bestochen werden. Doch werden die Mafiosi gleichzeitig der Lächerlichkeit
preisgegeben, wenn sie in Bademänteln und Pantoffeln ihre Saucen brutzeln
und dabei doch hinter Gittern sitzen.
Im Gefängnis
entdeckt Henry den Drogenhandel für sich und er macht weiter, als er entlassen
wird. Dies wird ihm letztlich zum Verhängnis. Zum Ende hin erreicht auch
die Verengung des Films ihren Höhepunkt. Die Räume wirken beengender,
die Aggressionen zwischen den handelnden Figuren nehmen zu und die Gewalt erreicht
eine aberwitzige Beschleunigung. Tommy wird von der Mafia gleichsam hingerichtet
als späte Rache für den Mord an Billy Bats und Jimmy, der paranoide
Züge entwickelt, bringt die Beteiligten seines letzten großen Coups
einen nach dem anderen um. Schließlich verengt sich das Geschehen auf
einen einzigen Tag, den letzten Tag im Gangsterleben Henry Hills. Henry ist
nur noch ein Gehetzter, der von Termin zu Termin jagt, er misstraut jedem. Die
Atmosphäre wirkt jetzt hektisch. Die Handlung besteht aus Verstecken, Ducken,
Lauern und Spähen. Die Gesichter wirken gehetzt. Henry ist nur noch ein
Getriebener. Seine schließliche Verhaftung am Abend wirkt fast schon wie
eine Erlösung. Seinen Höhepunkt findet diese Bewegung von der Weite
zur immer stärkeren Verengung in einer Szene, in der Henry und Karen heulend
zusammenbrechen und sich in einer Zimmerecke aneinander klammern. Sie haben
alles verloren.
Den einzigen Weg,
sein Leben zu retten, sieht Henry darin, sich als Kronzeuge zur Verfügung
zu stellen. Er fürchtet, die Mafia könnte ihn als möglichen Verräter
ermorden und wird eben dadurch zum Verräter. Jimmy und Pauli verschwinden
mit langen Haftstrafen im Gefängnis. Henry erhält eine neue Identität.
Letztlich zeigt sich der ganze Film von hinten betrachtet als Henrys Aussage
vor Gericht. Ist sie deshalb eine Beichte? Der Film moralisiert auch jetzt nicht.
Henry gelangt zu keiner Einsicht und zu keiner Reue. In der letzten Einstellung
sehen wir ihn, wie er vor der Tür seines Häuschens die Zeitung holt.
Mit seinen letzten Worten bedauert er nur, dass er jetzt ein durchschnittlicher
Niemand ist. Henry Hill hat nichts gelernt. Die Schlüsse zu ziehen überlässt
Scorsese dem Zuschauer.
Siegfried König
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Goodfellas
- Drei
Jahrzehnte in der Mafia
(Goodfellas)
USA
1990, Regie: Martin Scorsese, Buch: Nicholas Pileggi und Martin Scorsese, Kamera:
Michael Ballhaus, Schnitt: Thelma Schoonmaker. Mit: Ray Liotta, Robert de Niro,
Joe Pesci, Lorrainne Bracco, Paul Sorvino, Frank Vincent, Chuck Low, Frank Sivero
u.v.a..
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