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Gosford
Park
Feine Gesellschaft
Es gibt zwei Welten im herrschaftlichen Landsitz Gosford
Park: Die eine ist die der noblen Dinnersäle, Gästezimmer und Salons.
Wo sich die feinen Herrschaften zur Jagdgesellschaft und zum Austausch gehässigen
Tratschs treffen. Es ist Adel jeder Couleur, der sich hier vornehm blasiert
gibt und doch hinter der starren Rüstung von noblem Gelangweiltsein und
ritualisierter Höflichkeit allerlei schwelende Fehden und verzweifelte
Begehrlichkeiten birgt: Alteingesessener (aber oft verarmter) Adel, emporgekommener,
angeheirateter, Geldadel und der neue Adel des Starruhms - unter den Gästen
nicht nur ein Hollywoodproduzent (zuständig für die Charlie Chan-Filmserie)
sondern auch Frauenschwarm Ivor Novello. (Cineasten kennen ihn aus Hitchcocks
Stummfilm-Meisterwerk THE LODGER, was GOSFORD PARK einen kleinen Insider-Gag
wert ist.) Schon hier herrscht eine komplexe Hierarchie, sowohl der Personen
als der Räume: Eine Staffelung des Privaten - es will wohl überlegt
sein, in welchem Zimmer bei welcher Gelegenheit man mit wem über wen in
welchem Ton spricht.
Und dann gibt es die noch viel rigider durchorganisierte
Welt der Dienerschaft: Enge Kammern unter dem Dach, rohe, arbeitsame Räume
im Keller. Wo unsichtbar und nach minutengenauem Regiment fürs stete Wohl
der Leute oben geschuftet wird. Wo die mitangereisten Leibdiener, Zofen, Chauffeure
ihre Namen ablegen, sich der Übersicht halber mit denen ihrer Herrschaft
rufen lassen müssen - eine vornehme Form der Sklaverei, im England des
Jahres 1932. Unter der Ägide von Mrs. Wilson (Helen Mirren) ist der Umgang
untereinander auch hier höchstens in unbeobachteten Momenten etwas freier
- durch die lower class verlaufen nicht minder vielfältige Strata als durch
jene einen Stock weiter oben.
Ein System der strikten, künstlichen Barrieren durchzieht
jeden Winkel von Gosford Park, will in jeder Minute mit viel steifer Mühe
gegen die unübersehbar heraufziehenend Veränderungen aufrechterhalten
werden.
Es ist, insgesamt, eine Welt der Oberflächen - der
richtig gewählten Stoffe, des passenden Musters, des korrekten Schmucks.
Des perfekt polierten Glanzes. Aber all die edlen Polituren enthalten Gift,
die Küchen sind voller scharf geschliffener Messer, zur Jagd stehen Gewehre
bereit: Ganz Gosford Park ist auch eine Waffenkammer. Lange bevor der unleidige
Hausherr Sir William (Michael Gambon) unsanft und vorzeitig ins Jenseits befördert
wird verweilt die Kamera immer wieder einmal auf einem der vielen Flaschenettiketten,
die warnen: POISON! Die Mittel, die all die Oberflächen frei von Flecken,
Kratzern, Makel halten, bergen tödliches Potential.
Wo äußerlich alles seinen genau vorgesehenen
Platz hat, seine zugewiesene Funktion, ist das innere Netz an Beziehungen viel
labiler, viel mehr im Fluss ständiger Neudefinition begriffen. Sir Williams
gewaltsamer Tod ist das Ereignis, das die äußere Struktur in Gosford
Park stark genug erschüttert, um die dahinter arbeitende innere vielerorts
ans Licht dringen zu lassen. Aber weder war diese vorher völlig unsichtbar,
noch wird sie danach gänzlich aufgedeckt.
Seine üppige Laufzeit braucht Robert Altmans jüngstes,
grandioses Ensemblestück nicht, weil es seine Charaktere, ihre Positionen
zueinander, behäbig methodisch entfalten würde - sondern schlicht,
weil das Panorama so groß ist. Altman breitet es meisterhaft, keineswegs
altmeisterlich aus: Er liefert eine rasche Flut unzähliger kleiner Puzzlesteine,
läßt vieles lange oder komplett nur angedeutet. Bezeichnend die Stelle,
an der nach dem Mord dem Inspektor (wunderbar: Stephen Fry) das gesamte Figurenpersonal
vorgestellt wird. Es wäre die Gelegenheit gewesen, auch dem Publikum endlich
doch noch einen klaren, fast tabellarischen Überblick zu geben über
die Charaktere, ihre Rollen. (Den, wage ich zu behaupten, sich viele dringlich
wünschen würden.) Aber schon nach den ersten paar Personen scheint
die Kamera ihr Interesse zu verlieren an diesem braven Kriminalstück-Procedere,
wendet sich anderem zu, überläßt uns weiter die Arbeit, all
die Gesichter, Titel, Verwandschaftsgrade, Biografien selbst nach und nach zu
einem vollständigen Bild zu verknüpfen.
Ein Spiel mit den Konventionen des Agatha Christie-Krimis,
des klassischen whodunnit? ist diese bis in jede Nebenfigur hochglanzfunkelnd
besetzte Tragödie voll sarkastischen Humors eigentlich nur am Rande - das
ist der bloße Aufhänger für alles, was GOSFORD PARK wirklich
interessiert. Schon eher arbeitet er mit der Gattung britischer Gesellschaftsdramen
und der langen Tradition von Geschichten um Herr- und Dienerschaft und die dunklen
Geheimnisse zwischen ihnen.
Vor allem aber ist GOSFORD PARK ein Film über das
Spielen von Rollen: Alle unter diesem feudalen Dach haben mindestens zwei Gesichter,
kennen Schein und Sein. Manche Rollen sind von der Gesellschaft ab der Geburt
vorgegeben, sind ein unglückliches Theater, dass das ganze Leben lang dauert.
Keine Möglichkeit, das Fach zu wechseln, auch wenn Begeisterung, Talent
oder Mittel für das zugedachte fehlen. Andere der Komödianten in Gosford
Park - wenn sie nicht gleich, wie Ivor Novello, die Schauspielerei zum Beruf
haben - sind ganz bewusst nur für die Dauer ihres Aufenthalts in ein Kostüm
geschlüpft. Nicht immer ist es möglich zu trennen, wer nur den anderen,
wer auch sich selbst etwas vorspielt. Mal ist das Spiel lustvoll - bei den Diners
gehört es geradezu zum vereinbarten Kontrakt, dass die Oberfläche
nicht alles, nicht das Eigentliche sagt, dass hinter den Blicken, Gesten, Sätzen
ein zweiter (meist alles andere als höflicher) Sinn lauert. Mal ist das
Spiel pure Qual - wenn die Wahrheit nie heraus darf, wenn sie einsam das Innen
zerfrisst und der Körper, das Leben nur noch zum ehernen Bollwerk wird,
sie einzuschließen.
Eine solche erstarrte, grausame Maske fällt für
uns Ende von GOSFORD PARK - und plötzlich erscheint, wenn wir uns noch
erinnern, eine der zahlreichen Begrüßungen ganz zu Anfang in völlig
neuem Licht...
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Gosford Park
USA/GB/I/D 2001 - 137 Minuten
Regie: Robert Altman
Kamera: Andrew Dunn
Drehbuch: Julian Fellowes, Bob Balaban
Besetzung: Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Camilla Rutherford,
Maggie Smith u.a.
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