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Gothika
Von
allen guten Geistern verlassen
Wie
kann man jemanden, der einen für geistesgestört hält, vom Gegenteil
überzeugen? Letztlich gar nicht, denn je verbissener man auf seiner Normalität
beharrt, umso mehr muss das Gegenüber annehmen, dass man die Phantasiewelt,
die nur in der eigenen Einbildung existiert, aufrecht halten und nicht als Hirngespinst
anerkennen will. Was aber, wenn diese Hirngespinste gar keine sind? Wenn das,
was von allen für das Produkt eines verwirrten Geistes gehalten wird, wahr
ist? Miranda Grey (Halle Berry), die Hauptfigur von Gothika,
ist genau in dieser Situation, und sie kann – besser als jeder andere – verstehen,
warum ihr Psychiater (Robert Downey Jr., der zur Abwechslung anscheinend mal
nicht im Knast sitzt) ihr nicht glauben kann. Denn Miranda war selbst als Ärztin
in der psychiatrischen Klinik tätig, in der sie nun Patientin ist. Doch
nun sitzt die brillante Ärztin auf der anderen Seite, nun ist sie die Verrückte,
die versucht, ihrem ehemaligen Kollegen Pete klarzumachen, dass sie, als sie
ihren Ehemann bestialisch ermordete, von einer übernatürlichen Macht
besessen war.
Das
Dilemma, das im Zentrum von Mathieu Kassovitz’ neuem Film steht, wäre durchaus
interessant und würde reichlich Material für ein spannendes Verwirrspiel
um Illusion und Wirklichkeit bieten. Leider geht Gothika
nur sehr oberflächlich auf diese Frage ein und begeht stattdessen ausgetretene
Pfade. Statt einem erkenntnistheoretischen Thriller präsentiert uns der
Franzose in seinem Hollywood-Debüt eine Horror-Klamotte billigster Machart.
Allzubald
macht der Film klar, dass an der Wirklichkeit von Mirandas übersinnlichen
Erfahrungen nicht gezweifelt werden darf. Für den Zuschauer ist der Fall
bald klar und die Diagnose schnell bei der Hand: Die Psychiaterin leidet an
dem seit The
Sixth Sense weitverbreiten
„I see dead people“-Syndrom, und eine dieser Halbtoten ergreift von ihr zeitweilig
Besitz. Dass dem Zuschauer diese Tatsache relativ schnell offensichtlich wird
und Gothika
dadurch viel an Spannung verliert, könnte man ja noch hinnehmen, wäre
das, was Kassovitz inszeniert, nicht von so vielen, geradezu idiotischen logischen
Fehlern und Unstimmigkeiten durchzogen: Warum Ermordete und andere Opfer von
Ungerechtigkeiten umherspuken müssen, weiss zwar niemand so recht, es ist
nun mal aber eine Genrekonvention. Warum sie aber ein vollkommen widersinniges
Verhalten an den Tag legen, ja geradezu zu kontraproduktiv handeln und ihre
eigenen Bemühungen untergraben, lässt sich beim besten Willen nicht
erklären. Miranda wird von ihrer übersinnlichen Begleiterin abwechslungsweise
als Rachevollstreckerin und als Peinigungsopfer missbraucht. Nachdem Miranda
ihren Mann – der sich später als grausames Scheusal entpuppt – niedergemetzelt
hat, wird sie ihrerseits kurz darauf von unsichtbarer Hand aufs Übelste
zugerichtet. Untote, so folgern wir, sind schwierige Gesellen, die nicht so
recht wissen, was sie eigentlich wollen und gerne widersprüchliche Botschaften
aussenden.
Die
Inszenierung ist ganz auf dem Niveau des Drehbuchs. Kassovitz bedient die gesammelten
Klischees des Genres mit schon wieder bewundernswerter Konsequenz. Der Film
lässt kein Blitzen und Donnergrollen aus, und die Musik dräut und
dröhnt so schauerlich, dass man sich in die Dreissigerjahre zurückversetzt
fühlt. Und keine Pointe ist zu abgestanden, kein Schocker zu offensichtlich,
als dass Kassovitz darauf verzichten würde. Mehr als einmal erscheint Gothika
als eigentliche Genreparodie; die Schauspieler tragen mit ihren mehr als schwachen
Leistungen noch zusätzlich zum Trash-Charme des Filmes bei. Man möchte
fragen, welcher Eingebung Kassovitz beim Drehen dieses Filmes gefolgt ist; sein
inspirierender Geist scheint auf jeden Fall ähnlich dämlich gewesen
zu sein wie der Racheengel in seinem Film.
Simon
Spiegel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Gothika
USA
2003 - Regie: Mathieu Kassovitz - Darsteller: Halle Berry, Robert Downey Jr.,
Charles S. Dutton, John Carroll Lynch, Bernard Hill, Penélope Cruz, Dorian
Harewood, Bronwen Mantel, Kathleen Mackey - FSK: ab 16 - Länge: 98 min.
- Start: 11.3.2004
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