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Gräfin von Richthofen
Gräfin Sigrid von Richthofen
steht oder liegt in ihrem Boudoir. Am liebsten auf dem roten Satinsofa. Das
Kleid hochgerafft. Die schlanken, noch immer schönen Beine ausgestreckt.
Die Perlenkette hängt bis zum Teppich hinunter. Aus der Enternung machen
Kleider und Aufmachung sie zur jungen Frau. Die Nahaufnahme zeigt ein altes,
runzliges Gesicht. Sie strahlt Lebensfreude und Optimismus aus. Praunheim, mit
einem Spitzbart, kommt ins Bild. Er lobt sie: »War ja toll. flüssig.«
Sie posiert: »Ich bin die Unvollendete von Schubert. Mit Dick Cavett,
ja mit dem möchte sie gern eine Show machen. Früher hat sie in der
Oper gesungen, 1925 die Marie in Bergs Lulu, in der Uraufführung. Aber ihre Rolle wäre Hellv Dolly
gewesen. Eine Talkshow würde sie jetzt machen. »weil ich schnell
und schlagfertig bin«. Zum Beweis rezitiert sie ein Gedicht. Es ist der
Text von »Parlez-moi d'amour«. Sie trägt eine Tigerfellimitation.
Während sie sich der schönen Zeit mit Sven Hedin erinnert, fährt
die Kamera ihre Beine ab. Sie krault des Regisseurs Stoppeln, küßt
ihm zärtlich die Wangen. Dieser fährt ihr zärtlich übers
Haar, die Kamera folgt der Hand. Ein Insert: »Sigrid Gräfin von Richthofen
geb. Johannsen gestorben 23.9. 1977«.
Gräfin von Richthofen war
Ehefrau des Bruders des Roten Barons. Der Mann nahm sich auf seinen schlesischen
Gütern nach dem ersten Weltkrieg das Leben. Praunheim hatte sie 1974 über
Evelyn Künneke kennengelernt, als er zusammen mit ihr, der Künneke
und Gisela Trowe ein Frauenstück für Boy Goberts Thaliatheater in
Hamburg plante. Die Gräfin hatte in Fellinis Guilietta degli spiriti (Julia
und die Geister,
1965) gespielt und in Chargenrollen für die Wallace-Filme. Sie war eine
Schwulenkultfigur. Ihr zu Ehren hielt für den Film GRÄFIN VON RICHTHOFEN
Frank Ripploh die Scheinwerfer. Praunheim hatte stundenlang Ton aufgenommen
(und nicht gefilmt: um Filmmaterial zu sparen). Sie bestand auf expressiven
Bildern. Die mädchenhaft-exzentrischen Posen kompensierten ihre Krankheit.
Während der Filmarbeiten
(in Hamburg) war sie schon an den Beinen gelähmt. Vom Tod, der ihr bevorstand,
sprach sie nicht. Praunheim: »Ich finde, man soll wirklich nicht trauern,
daß sie tot ist. Die ist sehr wahrscheinlich so fröhlich gestorben,
wie sie gelebt hat.« Peggy von Schnottgenberg: »Die hat das überhaupt nicht
begriffen, auch alt zu sein.« Praunheim: »Die hatte so viel Pläne, die war so voller
Hoffnung, für die war der Tod wie Champagner.«
GRÄFIN VON RICHTHOFEN war
ursprünglich Bestandteil des TODESMAGAZINS und wurde aus der für das Fernsehen hergestellten Fassung
ausgekoppelt. Er lief, einem Hinweis Karsten Wittes zufolge, als Vorfilm zum
TODESMAGAZIN in den Kinos.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags.
GRÄFIN VON RICHTHOFEN
BRD 1979
Regie, Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt, Produktion: Rosa von Praunheim.
- Darsteller: Gräfin Sigrid von Richthofen. - Drehort: Hamburg. - Format:
16 mm, Farbe (Kodak). – Original-Länge: 10 min.
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