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Die
Grauzone
Der
Aufstand
Auschwitz-Theaterstück
auf der Leinwand: Tim Blake Nelsons „Die Grauzone“
Während
die Häftlingskapelle auf dem sonnigen Rasen Walzer spielt, bewegt sich
eine bunt gemischte Warteschlange gemächlich eine breite Treppe hinunter.
Junge Männer geben bei dieser Passage in die Unterwelt Anweisungen und
manchmal auch Unterstützung. Doch dort können sie außer Lügen
nichts mehr für die Todgeweihten tun. Auch sie sind nur Tote auf Aufschub,
und werden als gefährliche Mitwisser regelmäßig von den Machthabenden
entsorgt.
Die
Helden von Tim Blake Nelsons „Die Grauzone“ sind den Männern nachempfunden,
die im Mittelpunkt vieler Berichte stehen, die jetzt zum 60. Jahrestag der Befreiung
Auschwitz erinnern. Denn sie waren die Einzigen außer den Tätern,
die Zeugnis darüber ablegen konnten, was zwischen Rampe und Krematorium
wirklich geschah. Die Häftlinge der so genannten Sonderkommandos lebten
und litten an der Schnittstelle, an dem sich auch symbolisch ein Grunddilemma
verdichtet: als Opfer zur Mittäterschaft gezwungen zu sein.
Der
einzige Aufstand in Auschwitz am 7. Oktober 1944 ging von den Männern der
Sonderkommandos aus. Ein hoffnungsloses Aufbäumen, das immerhin einen Teil
der Krematorien zerstörte. An den beteiligten Häftlingen tobte sich
die SS nachher brutal aus. Die Erinnerung an das Aufbegehren aber lebt in den
Berichten der wenigen Überlebenden.
Die
Entstehung von „Die Grauzone“ entspringt dem Engagement eines einzelnen Mannes,
selbst ein Sohn von Naziflüchtlingen. Mit Hollywood hat der 1964 in Oklahoma
geborene, in New York arbeitende Theaterautor, Schauspieler und Filmemacher
Tim Blake Nelson wenig im Sinn. „The Grey Zone“, das auf dem Titel eines Aufsatzes
von Primo Levi und den Aufzeichnungen des Mengele-Assistenten Miklos Nyiszli
beruht, war erst ein Off-Broadway-Stück. Auch in der filmischen Version
verzichtet Nelson auf die Inszenierungstricks des populären Kinos: Keine
Liebesgeschichte im Krematorium, keine glücklichen Überlebenden, auch
die Brahms-Arie am Ende wächst fast verstohlen und organisch aus dem Plot.
Stattdessen viele mit Handkamera gedrehte Szenen im Halbdunkel, rötlich
gerasterte Schattenbilder und ein Harvey Keitel, der mit leerem Blick den zynischen
Oberscharführer gibt. Auf dem Weg in die Gaskammer bleibt die Kamera diskret
auf dem Gesicht eines Aufpassers zurück: Die Todesschreie stehen stellvertretend
für das Morden.
Ob
und wie man Auschwitz verfilmen darf, darüber ist wohl ausreichend gestritten
worden. Trotzdem stellt jeder Film die Frage wieder neu. Welche Dimensionen
fügt er unserem Erinnerungsfundus hinzu? Wozu eine Situation künstlich
zum Drama verdichten, die in ihrer Faktizität schon das Vorstellbare übersteigt?
Und ist es nicht ebenso fetischistisch wie absurd, die Krematorien maßstabsgetreu
in Bulgarien wieder aufzubauen?
„Die
Grauzone“ sagt nichts, was nicht anderswo schon eindringlicher gesagt worden
wäre. Nichts gegen die Schauspieler, von Daniel Benzali bis Mira Sorvino
– doch ein einziger echter Überlebenden-Bericht in Claude Lanzmanns „Shoah“
etwa trifft viel unmittelbarer ins Herz als ein selbst in gefeilte Dialoge gegossener
Konflikt. Und wenn die Häftlinge in der deutschen Fassung dann Hollywood-Sprachhülsen
wie „Verdammte Scheiße, Max, das ist mein Leben“ von sich geben, dann
ist Auschwitz mal wieder zu einem ganz gewöhnlichen Filmsetting geworden.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Die
Grauzone
The
Grey Zone
USA
2002. R und B: Tim Blake Nelson (nach dem Roman „Im Jenseits der Menschlichkeit
– Ein Geichtsmediziner in Auschwitz“ von Miklós Nyiszli). P: Pamela Koffler,
Christine Vachon, Tim Blake Nelson. K: Russell Lee Fine. Sch: Tim Blake Nelson,
Michelle Botticelli. M:
Jeff Danna. A: Maria Djurkovic. Ko: Marina Draghici. Pg:
Millenium/Killer Films/The Goatsingers. V:
b.film. L: 108. FSK: 16, ff. Da: David Arquette (Hoffman), Daniel Benzali (Schlemmer),
Steve Buscemi (Abramovics), David Chandler (Rosenthal), Alan Corduner (Dr. Nyiszli),
Harvey Keitel (Oberscharführer (Musfeldt), Mira Sorvino (Dina), Natasha
Lyonne (Rosa).
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