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Grenzverkehr
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Idyllen fallen lassen
Deutschen
Genrefilmen gesteht man ja immer eine besonders schonende Behandlung zu. Als
wollte man sagen: "Immerhin, schön, daß es sowas überhaupt
mal gibt." Nicht immer ist diese vorab-Sympathie gerechtfertigt, und in
den ersten Einstellungen von Stefan Betz Debutfilm, der Teenagerkomödie
"Grenzverkehr", machen sich die schlimmsten Befürchtungen breit.
Die Beerdigung eines Jugendlichen wird da gezeigt, sein bester Kumpel steht
über dem Grab, unfähig zu weinen - dafür singt er plötzlich,
ein echter Schock, das eingespielte Schnulzlied mit.
Von
da an kann es eigentlich nur noch besser werden - und das wird es. Langsam und
schonungslos führt uns Betz seine Heimat vor, das bayerische Hinterland.
Was anfangs wie Surrealismus daherkommt, die milkagrünen Wiesen, der stechend
blauweiße Himmel, die Ortsjugend, die Zeit und Gehirnzellen mit ritualisierten
Spielchen vor dem Dorfbrunnen totschlägt, ist in Wirklichkeit bitter pointierter
Realismus: Mancher Großstädter wird angesichts des hier gezeigten
Landlebens ungläubig mit dem Kopf schütteln; aber jeder Provinzler
wird spätestens beim Anblick der Dorfdisco diesen stechenden Schmerz der
Wiedererkenntnis spüren.
Mit
diesem schonungslosen Setting gewinnen der Film und endlich auch seine anfangs
zweidimensionalen Figuren an Leben. Nur aus dieser Idyllenhölle heraus,
wo jeder Jugendliche die Ansprache seiner Mutter auswendig aufsagen kann, macht
die Idee dreier eigentlich braver Außenseiterjungs, mit Mopeds nach Tschechien
zu tuckern und dort ihre Jungfräulichkeit in den berüchtigten Grenzbordellen
zu verlieren, ansatzweise Sinn. Was folgt, sind einige erstaunlich zivilisierte
und differenzierte Geschlechterscherze, dankenswert weitab von Klischees und
Jugendsex-Zoten. Daß der situative Peinlichkeitsfaktor auch ohne Fäkalhumor
trotzdem soweit steigt, daß man dies zu einem Teenagerfilm erklären
muß, zeigt nur, daß der Regisseur sein Zielpublikum kennt, annimmt
und auch zu unterhalten weiß: Es geht doch nichts über das triumphale
Gefühl, mit 16 Jahren nach einem vermeintlichen Badewochenende am Baggersee
ohne Mopeds zurückzukommen, dafür mit einem rauchenden Bus zuhause
vorzufahren, abgerissene Klamotten am Leib und eine hochschwangere Ukrainerin
an Bord... und dann das ganze der besorgten Mama erklären zu müssen.
Überhaupt
zeichnet sich der Film durch all die Fehler aus, die er eben nicht macht, die
er in letzter Sekunde umgeht. Dabei hilft maßgeblich der im besten Sinne
dezente Schnitt von Manuela Kempf, die nicht nur konsequent um alle lauernden
Peinlichkeiten herummontiert und dadurch ihre Figuren nie der Lächerlichkeit
preisgibt, sondern die auch durch überraschende Abblenden ein erstaunliches
Gespür für das Timing von Pointen beweist. Und manchmal, in den ruhigen
Passagen, da der Film das Genre auch mal völlig hinter sich läßt,
finden sich wahrlich große Bilder: Wenn der faltige Mopedverkäufer
in einem stillen Moment träumend auf dem klapprigen Zweirad seiner Jugend
sitzt oder die beiden tschechischen Zuhälter minutelang und mit mäßigem
Erfolg (ausgerechnet!) Memory spielen, dann muß man fast schon von "Stimmungstableaus"
reden.
Gestützt
wird das Ganze zudem von durchweg soliden Darstellerleistungen, wobei vor allem
Ferdinand Schmidt-Modrow als verkopfter, aber durchaus unterhaltsamer Streber
angenehm auffällt, auch Henriette Richter-Röhl als schnippische Immigrantin
weiß zu überzeugen. Vor allem aber mit den Auftritten der wunderbaren
Saskia Vester kriegt der Film letztlich sogar so etwas wie eine (gute) Seele,
als überfürsorgliche Mutter sprengt sie alle Eltern-Klischees - man
hätte ihr mehr screen time gewünscht.
Coming-of-age-Geschichten
wurden im letzten Jahrzehnt ja vielfach erzählt, am brillantesten wohl
in Lukas Moodyssons "Fucking
Åmål"
und Cameron Crowes "Almost Famous". An solche Offenbarungen reicht
der in jeder Hinsicht nette, recht simpel gestrickte und nie allzu spannend
werdende "Grenzverkehr" nicht heran. Aber es ist ein durchaus gelungener
deutscher Genrefilm: Immerhin, schön, daß es sowas überhaupt
mal gibt.
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Grenzverkehr
D
2005. R,B: Stefan Betz. K: Alexander Fischerkoesen. S:
Manuela Kempf. M: Joe Mubare, Manuel Lopez. P: d.i.e.film. D: Andreas Buntscheck,
Joseph M'Barek, Ferdinand Schmidt-Modrow, Henriette Richter-Röhl u.a. 90
Min. Movienet ab 18.8.05
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