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Der
Grinch
Jim Carrey als
The
Grinch
- amüsante Adaption des Kindermärchens als Slapstickorgie im Dekorwahn
von Ron Howard.
Das glückliche Städtchen Whoville kennt
nur einen einzigen Existenzzweck: Weihnachten feiern. Ganz Whoville? Nein! In
den Höhlen des benachbarten Mount Grumpit, der örtlichen Müllkippe,
wohnt der Grinch (Jim Carrey), ein grünlich-haariges Untier, das Weihnachten
hasst. Früher war er selbst einer der lieblichen Whos, doch eine grausame
Kindheitserfahrung und eine unglückliche Liebe ließen sein Herz "zwei
Größen zu klein werden ". Jetzt sitzt er in seiner Höhle,
gefürchtet von den Einwohnern und sinnt auf Scherze gegen den Weihnachtstrubel.
Doch ein kleines Mädchen, Cindy Lou Who (Taylor Momsen), beginnt sich für
den tragischen Außenseiter zu interessieren. Nachdem sie seine Geschichte
in Erfahrung gebracht hat, nominiert sie ihn für den ehrenhaften Titel
des Whoville Holiday Cheermeisters, der ansonsten seinem Erzwidersacher, dem
Bürgermeister (Jeffrey Tambor), vorbehalten ist. Und tatsächlich,
der Grinch kommt und lässt sich feiern, nicht zuletzt um seine alte Flamme,
Marta May Whovier (Christine Baranski), zu beeindrucken. Doch die Feier geht
schief und der neu erzürnte Grinch sinnt auf Rache: Als Santa Claus verkleidet,
mit seinem treuen Hund Max als Rentier, macht er sich auf, alle Weihnachtsgeschenke
aus Whoville zu stehlen...
Kritik
Eine wesentlich schwerere Hürde als bei uns
steht The Grinch
in Amerika bevor. Theodor S. Geisel alias Dr. Seuss ist nicht zufällig
der erfolgreichste Kinderbuchautor des Erdballs - und How
The Grinch Stole Christmas kennt
in Amerika (nicht nur) jedes Kind. Trotzdem hat es lange gedauert, bis eine
Adaption fällig wurde - entsetzt von der Umsetzung seines Buchs The 1000 Fingers Of Dr. T
(leider kaum zu sehen, aber unter Kennern gilt es als ein absolut abgedrehtes
Kultstück in der Kategorie "Kinderfilme: nicht für Kinder"),
ließ sich Seuss zu Lebzeiten auf keinen Kinofilm mehr ein. Seine Witwe
konnte man jetzt angesichts der tricktechnischen Fortschritte zu einer live action-Version
des berühmtesten Buchs ihres Mannes überreden - ein animierter TV-Kurzfilm
aus dem Jahr 1966, erzählt von Boris Karloff, war bisher der Markstein
(und ist in Übersee genauso Allgemeingut).
Bei uns wird sich das Buch allenfalls im Zuge der
Marketingkampagne zum Film einbürgern (oder, was eher zu befürchten
ist, das Buch zum Film) - insofern bleiben mühselige, oft irreführende
Vergleiche mit der Originalversion glücklicherweise hinfällig (was
man so hört, kommen nur der Grinch und Cindy wirklich im Buch vor) und,
doppelt erfreulich, ist The Grinch ohnehin ein Film, der für sich alleine gut
genug dasteht.
Ins Innere einer Schneeflocke, zur salbungsvollen
Erzählerstimme von Anthony Hopkins, durch glitzernde Kristalle führt
uns die Kamera zu Beginn nach Whoville - und das ist ein Dekoralptraum, der
sich sehen lassen kann. In den kreischend bunten Farben der 50er ersteht hier
eine Ansammlung aus schiefen Linien, überflüssigen Accessoires (Milchhäferlhüte
mit Zuckerstange!) und festförderndem Zierat, der schon ahnen lässt:
Hinter den Biberzähnen und Igelnasen der ansonsten menschlichen Whos verbirgt
sich auch ein dunkles Geheimnis. Das, um es kurz zu machen (und dem Kinderweihnachtsfilmanteil
des Grinch zu erledigen), ist natürlich, dass die fröhlichen Gesellen
vor lauter Prunk und Pracht schon lange das wahre Wesen des Weihnachtsfests
außer Augen verloren haben. Am Schluss wird es ihnen scheinbar wie Schuppen
von den Augen fallen, davor gibt es einen Kämpfer für das Gute, Wahre,
Schöne, das da heißt: dem Spaßterror ein Ende. Dieser Kämpfer
sieht aus wie ein modriger Bergschrat, ist grün im Gesicht und behaart
überall und er heißt The Grinch.
Gespielt wird er von Jim Carrey, und das ist auch
wichtig: Hinter Make-Up-Bergen und gelben Kontaktlinsen ist es nicht mehr leicht,
frenetisch entfesselt das Chaos in die Wahnsinnsordnung (besonders schön:
der gigantische "Fragile"-Stempel, der erbarmungslos die Pakete auf
dem Fließband zermalmt) von Whoville zu bringen. Carrey, wie viele große
Prediger der komischen Filmanarchie oft für seine überdrehten Verrenkungen
gescholten, kennt selbst im Kostümgefängnis keine Beschränkung
- und macht seinen eigenen Film im Film. Hochgeschwindigkeitspflicht, man hat
ja einen beengten Zeitplan: Meckern über Weihnachten, neue Streiche aushecken
und eventuell mal was Überraschendes einschieben - zum Beispiel: "5
o´clock: Solve world hunger." Kürzestkunstpause und wie für
sich selbst hingemurmelt: "Tell no one." Ähnlich wie es beim
Kollegen Tim Burton der Fall ist, an dessen Nightmare
Before Christmas The Grinch
nicht nur inhaltlich erinnert, ist Howards Film dann am besten, wenn die zahllosen
versteckten Witze, der anarchische Zerstörungstrieb und das Bombardement
mit Pop-Farben und -Zitaten ein Eigenleben führen, das den Gehalt des Films
völlig unterminiert. Da tun sich Untiefen auf wie bei der Kamerafahrt auf
die Zähne des Grinch, die in Großaufnahme die Käferchen zeigt,
die zwischen den Lücken herumkrabbeln.
Wie bei Burton bleibt das nur semi-anarchisch (natürlich
wird hier am Ende alles gut, es soll ja doch auch ein Kinderfilm bleiben), aber
bevor The Grinch
in sein etwas zu zuckriges Ende schlittert, gibt es hier Irrsinn genug. Da werden
schon mal kleine Kinder beiseitegestoßen, um in Zeitlupe zur Chariots Of Fire-Musik
den Sieg im Cheermeister-Rennen davonzutragen und für Santa haben wir auch
einen schönen Hiroshima-Vergleich: "Fat boy should be ready anytime
now." Gerade dem zunehmend auf Mainstream setzenden Ron Howard hätte
man das nicht unbedingt zugetraut, aber The
Grinch wirft gelegentlich die Frage
auf, inwieweit man nicht Carrey als Mitautor betrachten muss. In der wahnwitzigsten
Szene des Films indoktriniert der seinen Hund zum Rentier: Regiestuhl her, Howard-Kappe
aufgesetzt und ein Motivationsmonolog Marke Sportfilmtrainer um die Ohren geknallt.
Nachdem das Opfer freudlos den Kopf schüttelt und so die rote Clownnase
abwirft, kann er schon die ersten Gratulationen einfahren: Endlich Protest gegen
die Konsumgesellschaft.
The Grinch
macht es sich dadurch, ganz in der Tashlin-Tradition (der romantische Subplot
scheint weniger aus Gewohnheit eingeschrieben als um dessen 50er-Pin-Ups zu
huldigen), die er verfolgt, nicht leicht: Vor lauter Selbstparodie kommt sich
irgendwann endlich die Aussage abhanden - am Ende müsste man sich angesichts
der überwuchernden Seitenhiebe fragen, ob die Whos ihre Lektion auch wirklich
gelernt haben, wo sie doch die Geschenke zurückbekommen haben, aber da
ist das ganze System schon hoffnungslos unterminiert. Wenn man will: The Grinch
ist damit auch explizit kein Kinderfilm, obwohl er explizit einer ist. Endlich
Weihnachtsspaß für die ganze Familie.
Fazit: Mehr Tim Burton als Ron Howard - unter
der süß-abgefahrenen Kinderoberfläche von The
Grinch lauert die Anarchie, hauptsächlich
in Gestalt von Jim Carrey.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.allesfilm.com
Der
Grinch
Originaltitel:
How the Grinch Stole Christmas
USA,
Deutschland 2000
101
Minuten
Regie:
Ron Howard
Drehbuch:
Jeffrey Price, Peter S. Seaman
Produktion:
Brian Grazer, Todd Hallowell, Ron Howard
Musik:
James Horner
Kamera:
Donald Peterman
Schnitt:
Daniel P. Hanley, Mike Hill
Besetzung.
Jim
Carrey: Der Grinch
Taylor Momsen:
Cindy Lou Who
Jeffrey Tambor:
Bürgermeister Augustus Maywho
Christine
Baranski: Martha May Whovier
Bill Irwin:
Lou Lou Who
Molly Shannon:
Betty Lou Who
Clint
Howard: Whobris
Josh
Ryan Evans: Der Grinch im Alter von acht Jahren
Mindy
Rachel Winfree:
Rose
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