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Grizzly
Man
Bär Witch
Project
Das Erstaunlichste an Herzogs jüngstem Dokumentarfilm
“Grizzly Man” ist zunächst einmal, dass er kein Fake ist. Die Berichte
um den naiv-romantischen Tierfreundes Timothy Treadwell, der als ehemaliger
Alkoholiker sich entschloss sein Leben zu ändern und die Grizzlybären
Alaskas zu schützen, reichen zurück bis in die 1990er Jahre. Herzog
greift den “Mythos”, nachdem Treadwell 2003 Opfer seiner Passion geworden ist,
auf und dreht einen Film aus dem “found footage”.
Die Szenen, die Herzog in “Grizzly Man” aus dem Videomaterial
Treadwells zusammenmontiert, könnten stellenweise grotesker kaum sein.
Nicht nur kann man dieses unglaublich naive, im negativsten Sinne “kindische”
Verständnis zur Natur kaum nachvollziehen (die ständigen an Bären
und Füchse gerichteten “I love you”s bringen jeden noch so für Tierschutz
engagierten Zuschauer gegen Treadwell auf), auch, was dem blonden, selbstverliebten
jungen Mann in der Einsamkeit Alaskas zustößt, wirkt wie inszeniert.
So findet er, nachdem Touristen oder Bärenjäger in sein “Schutzgebiet”
eingedrungen sind, am Folgetag Steinhaufen und bemalte Steine und Stöcke
in der Nähe seines Camps … die Allusion an “Blair
Witch Project” dürfte sich spätestens
angesichts dieser Szenen bei jedem Zuschauer einstellen.
Den Dokumentarstil des Blair-Witch-Fakes (nicht nur
die teilweise karussellartig schwankende Handkamera, die Szenen im Zelt, …)
eignet sich Herzog aber auch noch bei anderen Szenen an - Szenen, in denen es
um mangelhafte Information geht. Treadwells letzte “Mitteilung” an die Nachwelt
ist eine Videokassette, auf der sein Tod (und der seiner Freundin, die mit ihm
mitgereist ist) zu hören, aber nicht zu sehen ist, denn angesichts der
Plötzlichkeit des Bären-Überfalls war es ihm nicht mehr möglich
die Objektivklappe von der Kamera zu entfernen. Zunächst hören wir
einen Gerichtsmediziner (der sich alle erdenkliche Mühe gibt, wie ein Schauspieler
zu wirken!) über diese Tonaufnahme sprechen.
Dann hört Herzog sich die Aufnahme selbst an.
In dieser für den Film zentralen Szene sehen wir ihn von hinten, vor ihm
die ehemalige Freundin und Mitarbeiterin Treadwells, die die Tonaufnahme selbst
nie gehört hat, aber für Herzog das Band in der Kamera abspielt. Herzog
erzählt, was er hört, verstummt dann, man ahnt, dass er weint, sieht
es jedoch nicht - einzig die in Tränen ausbrechende Frau ihm gegenüber
sieht man. Das Unfassbare von Treadwells Sterbesituation hätte kaum intensiver
“inszeniert” werden können als in dieser doppelten “humanen Spiegelung”
einer medialen Mitteilung. Wo den Zuschauer Bild- und Tonaufnahmen angesichts
der täglich nach Authentizität heischenden Nachrichten wohl skeptisch
und unberührt gelassen hätten, wird er von dieser menschlichen Filterung
der Geschehnisse auf jeden Fall angerührt. Nach der Wein-Sequenz in “Gasherbrum”
gehört diese Szene wohl zu den intensivsten dokumentarischen Übermittlungen
von Traurigkeit, die der Dokumentarfilm kennt.
Die Frage bleibt, warum “Grizzly Man”, indem er sich
so sehr authentifizierender “Tricks” (vor allem o. g. Allusionen) bedient, den
Eindruck des Fake erweckt oder erwecken will. Die doppelte Wendung vom Wissen
um die Echtheit über die Annahme, dass es ein Fake ist und die sich daran
anschließende Frage, warum hier das Echte unecht wirkt oder wirken soll
- dieses Wissen ist der eigentliche theoretische Knackpunkt von “Grizzly Man”.
Viel zu oft haben wir schon Herzogs komponierten Wirklichkeiten beigewohnt,
als dass wir uns mittels des dokumentarischen Gestus allein von ihm hinters
Licht führen lassen würden. Um hier Authentizität zu evozieren,
muss Herzog also genau das Gegenteil unternehmen - er muss seinen Film wie ein
Fake erscheinen lassen (hier hat “Grizzly Man” eine Menge mit “Incident at Loch
Ness” zu tun).
Herzog baut seinen eigenen Mythos (also den um seine
Person) geschickt in den Mythos Timothy Treadwells ein. Er spiegelt dessen naives,
stets wohlwollendes Naturverständnis an seinem eigenen, die Brutalität
und Amoralität des Kreatürlichen sehendes. Das kann er auch, denn
wie er selbst ist Treadwell zunächst Filmemacher. Wenn sich Herzog hier
(zum zweiten Mal nach dem Engagement für Desmond Morris in den frühen
80ern) für einen Kollegen in die Bresche wirft, dann ist das auch ein filmpolitisches
Bekenntnis. Denn hinter dem “Tierschützer” Treadwell, der sich durch die
Park-Verwaltung in seiner “Arbeit” behindert sieht, steht der nach Bildern von
sich und den Tieren süchtige Dokumentarfilmer, dem durch die strengen Regularien
der Park-Verwaltung ein implizites “Drehverbot” auferlegt wird. Das kann nicht
hingenommen werden.
Herzog schließt sich zwar nicht der naiven
politischen “Fuck you”-Haltung Treadwells an, wendet diese jedoch in eine philosophische,
die er durchaus unterschreiben kann: “It is clear to me, that the Park Service
is not Treadwells real Enemy. There
is a larger, more implacable adversary out there: the people’s world and civilization.”
Die Flucht vor der Kultur in die (wenn
auch feindliche) Natur, ist das Metathema des Herzog’schen Oeuvres. Das Hineintragen
kultureller Vorstellungen in die Natur ist Herzogs wie Treadwells Programm -
darin unterscheiden sie sich nur graduell, denn Treadwells “Liebeserklärungen”
an die Bären sind im Grunde dasselbe wie Herzogs Hasstiraden auf den Dschungel:
Menschliche Emotionen aus dem Bewusstsein des Erhabenen geboren.
Stefan Höltgen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Grizzly
Man
(USA
2005)
Regie
& Buch: Werner Herzog, Musik: Richard Thompson, Kamera: Peter Zeitlinger,
Schnitt: Joe Bini
Mit:
Werner Herzog, Carol Dexter, Val Dexter, Franc G. Fallico, Willy Fulton, Amie
Huguenard, Jewel Palovak, Timothy Treadwell u.a.
Länge:
103 Minuten
Verleih:
n.n.
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