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Der große Diktator
(Zum Start der Wiederaufführung am 30.12.2004)
Er stand
dem Tonfilm sehr skeptisch gegenüber, der große Meister der Stummfilmkomik
Charles Chaplin. Eingeengt würden die Möglichkeiten seiner Komik,
und weil er davon überzeugt war, dass seine Kunst zur vollen Entfaltung
nur stumm gelangen könne, hat er auch nach der Einführung und Verbreitung
des Tonfilms Filme ohne Dialog gedreht. Später wandte er sich dem Ton zu
und entlockte ihm nicht weniger prägnante Pointen als in seinen Stummfilmen.
Der
große Diktator,
endlich wieder ins Kino gebracht, ist der erste durchgehende Tonfilm Chaplins,
in denen auch der Dialog das seine beiträgt zum Funktionieren des Humors,
der in jenem Meisterwerk immer auch gleichzeitig Satire ist und bittere Anklage.
Wenn Chaplins Hitler-Double Hynkel da auf seinem Podest steht und zu 'seinem'
Volk spricht, dann spürt man die Kraft, die Chaplins Parodie nicht verloren
hat. Ein grotesker Wortschwall kommt aus dem Mund des Tyrannen, eine Aneinanderreihung
von harten Konsonanten und jenen Wortfetzen der deutschen Sprache, die dem Amerikaner
geläufig sein dürften. Ein Ausspeien von Worten symbolisiert Chaplin,
ein aggressives Trommelfeuer menschenverachtender Satzfetzen. Der jüdische
Friseur im Ghetto, auch gespielt von Chaplin in wohl einer der großartigsten
Doppelrollen der Filmgeschichte, schleicht sich über eine der Straßen
des Ghettos, während die Ansprache von Lautsprechern übertragen wird.
Die Sprachmelodie, oberflächlich inhaltslos, wandelt sich, sie schreit
und bedroht und lässt den Friseur zusammenzucken und Schutz suchen hinter
der nächsten Straßenecke, sie flüstert und lässt ihm einen
Augenblick Zeit, sich davonzustehlen. Es ist die unfassbare Macht der Worte
Hynkels/Hitlers, die jene Sequenz so bildhaft veranschaulicht, und Chaplin nutzte
hier schon 1940 den Ton mit einer schlafwandlerischen Sicherheit pointierter
als viele zeitgenössische Parodien es vermögen.
Am 16.
April 1889 ist Chaplin geboren, gerade mal vier Tage vor Hitler und seine Verkörperung
des Tyrannen ist in manchen Sequenzen geradezu beängstigend akkurat. Sicher
führen Chaplins groteske Übertreibungen zur Sublimierung des Grauens
hinter den Bildern im Lachen – jene Sequenz, in der Hynkel beinahe poetisch
die Weltkugel als Ballon so lange auf und ab schweben lässt, bis sie in
seinen Händen zerplatzt, hat Kinogeschichte geschrieben - ohne Worte, übrigens.
Dennoch bleibt das Lachen im Hals stecken, wenn Chaplin den Diktator zeichnet
und den Friseur, der im ersten Weltkrieg sein Gedächtnis verloren hat und
nichts weiß von den Grausamkeiten, die über sein Land gekommen sind.
Über Hitler zu lachen, es war Chaplins Art, ihn bloßzustellen, Chaplins
Art, über ihn zu richten.
Eine Weile
hat Chaplin selbst gezweifelt, heißt es, gezweifelt, ob Hitler wirklich
ein Mann ist, über den man lachen kann, oder nicht vielmehr einer, den
man ernst nehmen muss als eine der schlimmsten Bedrohungen, die die Menschheit
je gesehen hat. Er hat sich dann entschieden, den Film doch in die Kinos zu
bringen – finanziert zum großen Teil aus eigener Tasche, da Anti-Nazi-Filme
zur Zeit des Drehbeginns 1938 in Amerika noch nicht gern gesehen waren, zu schlecht
passten sie in die politische Neutralität der USA in den frühen Hitlerjahren.
Um den Ernst der Situation klar zu machen, ließ Chaplin den Film dann
mit einer langen Sequenz enden, eine Ansprache, die der Friseur hält an
Stelle Hynkels, da er ihm aufs Haar gleicht und so den Weg gefunden hat auf
das Redepodest. Es ist eine Ansprache, in der er vom Frieden redet, von Toleranz
und der Suche nach einer neuen Gesellschaft, eine Ansprache, in der nicht mehr
die Filmfigur zum Publikum spricht sondern wohl Chaplin selbst, der nach Menschlichkeit
ruft und nach dem Kampf um die Freiheit.
Es ist
der politische Chaplin, der sich da äußert, jener, der später,
in den McCarthy-Jahren der 'unamerikanischen Aktivitäten' bezichtigt werden
sollte: "We have developed speed but we have shut ourselves in: machinery
that gives abundance has left us in want. Our
knowledge has made us cynical, our cleverness hard and unkind. We think too
much and feel too little: More than machinery we need humanity; More than cleverness
we need kindness and gentleness", sagt Chaplin in einem Teil seiner Rede.
Und
auch hier, wenn Chaplins Persona sich mit der Figur seines Friseurs vermischt,
weiß er genau um die Kraft seiner Worte. Mit dem großen
Diktator hatte
der Tonfilm seinen Meister gefunden.
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diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken
Der
große Diktator
THE
GREAT DICTATOR
USA
- 1940 - 126 min. - schwarzweiß
Tragikomödie
FSK:
ab 12; nicht feiertagsfrei
Prädikat:
wertvoll
Verleih:
United Artists
Erstaufführung:
26.8.1958/4.3.1980 DFF 1
Fd-Nummer:
7373
Produktionsfirma:
Chaplin/United Artists
Produktion:
Charles Chaplin
Regie:
Charles Chaplin
Buch:
Charles Chaplin
Kamera:
Karl Struss, Roland H. Totheroh
Musik:
Charles Chaplin
Schnitt:
Willard Nico
Darsteller:
Charles
Chaplin (Diktator Hynkel/Jude)
Paulette
Goddard (Hannah)
Jack
Oakie (Diktator Napaloni)
Reginald
Gardiner (Schultz)
Billy
Gilbert (Herring)
Bundesweiter
Kinostart der Wiederaufführung: 30. Dezember 2004
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