zur startseite
zum archiv
Große
Freiheit Nr. 7
"Beim
ersten Mal, da tut's noch weh ..."
"Mein
erster, das war ein Matrose,
der
war auf der Brust tätowiert.
Er
trug eine meerblaue Hose,
und
ich hab mich so schrecklich geniert.
Er
nahm meine Hand und versprach mir,
die
Treue und gab mir sein Wort,
er
nahm keine andere nach mir,
-
und am morgen, da musst er an Bord.
Beim
erstenmal, da tut's noch weh,
da
glaubt man noch, dass man es nie verwinden kann,
dann
geht die Zeit, und peu à peu
gewöhnt
man sich daran." (1)
Keine
"richtige deutsche Frau" war zu sehen, keine Seeleute im von Goebbels
geforderten Sinn, keine deutschen Helden der Meere. Selbst die junge Ilse Werner
wird im Unterrock gezeigt, wie sie sich die Nylons auszieht und ihre wunderschönen
Beine zeigt. Und die Gisa, die sie spielt, ist eher eine selbständige Frau
als ein Heimchen am Herd, das nur darauf warten würde, der "Volksgemeinschaft"
ihren Dienst zu erweisen. Goebbels war erbost, als er das Endprodukt Helmut
Käutners sehen musste. So hatte er zwar durchgesetzt, dass der Filmtitel
den Zusatz "Nr. 7" (Straßenname) bekam, um nicht den Eindruck
zu erwecken "Große Freiheit" richte sich gegen die Unfreiheit
im nationalsozialistischen Deutschland. Auch der ursprüngliche Name für
Hannes, Johnny, musste eingedeutscht werden. Alles andere aber war "auf
dem Mist" Käutners gewachsen.
Der
zunehmende Bombenkrieg kam Käutner zugute. Er musste die Dreharbeiten zu
den Außenaufnahmen, später auch zu den Innenaufnahmen, die anfangs
in Babelsberg abgewickelt wurden, nach Prag verlegen, weil es in Hamburg zu
riskant wurde. Im Mai 1943 hatte man begonnen, den Film in Hamburg und Berlin
zu drehen. Am 24.7.1943 bombardierten die Alliierten Hamburg. In Prag konnte
Käutner - relativ unbehelligt von der NS-Zensur - den Film im wesentlichen
nach seinen Vorstellungen zum Abschluss bringen.
Allerdings
wurde der Film dann von Goebbels verboten - jedenfalls durfte er in Deutschland
nicht aufgeführt wurden. Das Verbot erstreckte sich allerdings nicht auf
die okkupierten Gebiete; denn die NS-Führung wollte wenigstens Kasse machen.
Immerhin hatte Goebbels Käutner 1,5 Mio. Reichmark zur Verfügung gestellt.
So fand dann am 15.12.1944 die Uraufführung in Prag statt, während
der Film in Deutschland erst nach der bedingungslosen Kapitulation, als erster
unter dem Nationalsozialismus fertiggestellter Film von den Alliierten freigegeben,
am 6.9.1945 in Berlin uraufgeführt und mit riesigem Erfolg in weiteren
Kino gezeigt wurde.
"Treusein,
so sprach er, ich kann es
versuchen,
ich war's zwar noch nie.
Wird's
ein Knabe, so nenn ihn Johannes,
wird's
ein Mädchen, so nenn' es Marie.
Er
ist nicht zur Hochzeit gekommen,
er
war auch zur Taufe nicht da.
Ich
hab einen anderen genommen,-
Und
zu dem sagt Johannes Papa."
Der
mit dem 1936 entwickelten, noch relativ aufwendigen Agfa-Color-Farbfilmverfahren
gedrehte Film beginnt mit der Ankunft der drei Matrosen Fiete (Gustav Knuth),
Jens (Günther Lüders) und Karl (Helmut Käutner) im Hamburger
Hafen. Die drei wollen ihren alten Freund, den gealterten Seemann Hannes (Hans
Albers) besuchen, der in St. Pauli im Vergnügungslokal "Hippodrom"
als singender Seemann auftritt. Schon vor Jahren hatte Hannes die Seefahrt aufgegeben,
weil sein Bruder Jan (Kurz Wieschala) ihm das Geld für eine geplante Ausbildung
zum Seemann gestohlen hatte.
Das
"Hippodrom" gehört Anita (Hilde Hildebrand), mit der Hannes ein
Verhältnis hat, das allerdings schon länger nicht mehr in Ordnung
zu sein scheint. Die Wiedersehensfreude der vier Seeleute wird jäh unterbrochen,
als Hannes aus dem Krankenhaus angerufen wird. Dort liegt sein Bruder Jan im
Sterben. Jan bittet Hannes, sich um eine junge Frau zu kümmern, die er
vor Jahren hatte sitzen lassen: Gisa (Ilse Werner). Obwohl Hannes zunächst
seinem Bruder selbst im Angesicht des Todes keinen Gefallen erweisen will, lenkt
er dann doch ein, holt Gisa nach Hamburg, nimmt sie bei sich auf und verschafft
ihr eine Stelle als Verkäuferin.
Als
Gisa sich nach einigen Wochen mit dem jungen, sympathischen Werftarbeiter Willem
(Hans Söhnker) anfreundet, der ihr immer wieder nachsteigt, und sich in
ihn verliebt, kommt es zu Komplikationen. Denn Hannes hat sich alles ganz anders
vorgestellt: Er glaubt, in Gisa die Frau seines Lebens gefunden zu haben, plant
beider Zukunft (er will eine Barkasse kaufen und Hafenrundfahrten anbieten)
und sieht sich zutiefst enttäuscht, als er merkt, dass Gisa ihn zwar mag
und schätzt, aber nur mit Willem zusammen sein will.
Hannes
beschließt, seine Arbeit im "Hippodrom" aufzugeben und mit seinen
drei Freunden wieder zur See zu fahren.
"Beim
ersten mal, da tut's noch weh
da
glaubt man noch, dass man es nie verwinden kann,
dann
geht die Zeit, und peu à peu
gewöhnt
man sich daran."
Die
Geschichte selbst ist - trotz ihrer Dramatik - schlicht, ja fast simpel, allerdings
in keiner Weise klischeebeladen, und Käutner verstand es, über eine
detailgetreue Milieuschilderung des von Vergnügungen aller Art beherrschten
Lebens in St. Pauli ein visuelles wie erzählerisches Meisterstück
zu inszenieren - einen Film, der abseits jeglicher NS-Ideologie, aber notgedrungen
auch abseits jeglichen Kriegsgeschehens und der tatsächlichen Verhältnisse
1943 einen Einblick in das von Prostituierten, Musikern, Seeleuten, Hafenarbeitern
usw. bevölkerte St. Pauli verschafft. Die von Werner Eisbrenner komponierten
Lieder - inzwischen weltbekannt - untermauerten diese Art der Inszenierung nahtlos.
Im "Hippodrom" fließt der Alkohol, werden Verbindungen geknüpft
und wieder gelöst - z.B. bei Jens, der sich in die junge Margot (Ethel
Reschke) verliebt, die allerdings ein paar Tage später mit einem anderen
Matrosen anbandelt.
Die
Unbekümmertheit, mit der dieses "ruchlose" Milieu gezeigt wird,
konnte den NS-Oberen nicht gefallen. Die meisten Frauen sind Prostituierte,
und selbst die "anständigen" Damen wie Gisa oder Willems Zimmerwirtin
Frau Kaasbohm (Erna Sellmer) sind weit davon entfernt, dem NS-propagierten Frauenbild
zu entsprechen.
Das
gleiche gilt für die Männer. Hans Albers ist in diesem Film natürlich
in seinem Element. Seine hellblauen Augen, die aus der knallig bunten, in satten
Farben gefilmten Umgebung immer wieder "herausstechen", wirken, als
ob er uns mit ihnen die Reeperbahn, die Große Freiheit Nr. 7, das Hippodrom
usw. zeigen wollte. Dort reitet Gustav Knuth auf einem Esel durch die Manege,
den Kopf dem Hinterteil des Tieres zugewandt. Die Sprache ist die der "normalen"
Leute und des Milieus, nicht die des NS-Durchhalte- oder -Ablenkungsfilms. Albers
Hamburger Schnauze, Hilde Hildebrands "Beim ersten Mal da tut's noch weh"
(das Albers später im Film nochmals singt), Hans Söhnkers Darbietung
eines Mannes, der weiß, was und wen er will, Ilse Werners selbstbewusste
junge Frau Gisa - das ist vor allem pralles Leben, aber es ist eben - trotz
der Änderung des Filmtitels - auch ein Stück, ein großes Stück
Freiheit. Trotz aller Dramatik der Geschichte, trotz aller enttäuschten
Hoffnungen und trotz aller von der Liebe verlassenen Matrosen, trotz aller leichten
Mädchen und schweren Jungs ist dieses Käutner'sche St. Pauli Ausdruck
eines freien, lebensbejahenden, Vitalität versprühenden und letztlich
immer wieder auf die Zukunft hoffenden Milieus und seiner Menschen. Man könnte
fast sagen: Der Film kündet vom Ende des Schreckens, von einer Zeit nach
dem grausamen Krieg und der Vernichtung. Er knüpft an das an, was vor 1933
einmal war und was wieder sein wird.
Helmut
Käutner (1908-1980) gehörte v.a. in den 50er Jahren zu den führenden
Regisseuren in Deutschland. Zu den Höhepunkten seiner Arbeit gehörten
v.a. "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) und "Des Teufels
General" (1955), aber auch der Nachkriegsfilm "Unter den Brücken"
(1946) und "Die letzte Brücke" (1954). Während des Dritten
Reiches drehte er mit Rühmann und dessen späterer Frau Hertha Feiler
"Kleider machen Leute" (1940), der den Nazis ebenfalls nicht gefiel
und darum erst ab 18 freigegeben wurde.
•
D V D •
In
der Reihe "Die großen deutschen Filmklassiker" von DeAgostini
erschien "Die Große Freiheit Nr. 7" vor kurzem in einer digital
überarbeiteten Fassung mit angesichts des Alters des Films exzellenter
Ton- und Bildqualität. Die DVDs dieser Reihe enthalten zwar keine Extras,
dafür aber ein 16seitiges Magazin, reich bebildert und mit ausführlichen
Informationen zum Film, einzelnen Darstellern, Regisseuren, Hintergründen
usw. versehen. Sie sind sowohl im Zeitschriftenhandel, als auch über den
Herausgeber direkt zu beziehen. Sie kosten (einschließlich des Magazins)
€ 9,99 und erscheinen in regelmäßigen Abständen (etwa zweiwöchentlich).
Wertung
Film und DVD: 10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Große
Freiheit Nr. 7
(Intern.
Titel: Great Freedom No. 7)
Deutschland
1944, 111 Minuten
Regie:
Helmut Käutner
Drehbuch:
Helmut Käutner, Richard Nicolas
Musik:
Werner Eisbrenner
Kamera:
Werner Krien
Schnitt:
Anneliese Schönnenbeck
Produktionsdesign:
Gerhard Ladner, Max Mellin
Darsteller:
Hans Albers (Hannes Kröger), Ilse Werner (Gisa Häuptlein), Hans Söhnker
(Willem), Hilde Hildebrand (Anita), Gustav Knuth (Fiete), Günther Lüders
(Jens), Ilsa Fürstenberg (Gisas Mutter), Ethel Reschke (Margot), Erna Sellmer
(Frau Kaasbohm), Helmut Käutner (Karl), Kurt Wieschala (Jan)
Nähere
Informationen bei DeAgostini: http://www.die-filmklassiker.de/index.html
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0036882
©
Ulrich Behrens 2005
zur startseite
zum archiv