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Der
große Leichtsinn
Mein
Herz gewinnt der Film schon mit den ersten Einstellungen: Über das Wasser,
über verschiedene Zustände von Braun und Blau, über verschiedene
Arten des Fließens erreichen wir zu den freudig erregten Klägen eines
Cajun-Stückes die Stadt des großen Leichtsinns, New Orleans, ein
gewaltiges Lichtmuster, und nähern uns einem exotisch ornamentalen Brunnen
auf der Piazza d'Italia, darin eine Leiche, was die Musik nicht zu stören
scheint. Sie wird nur etwas leiser, da wir uns jetzt im Auto von Lieutenant
Remy McSwain befinden, der auf dem Weg zum Tatort ist.
Dieser
Tote auf der Piazza d'Italia scheint auf einen Drogenkrieg hinzudeuten. Die
Ermittlungen führen aber bald in eine andere Richtung, zur Korruption in
der Polizei. Am Ende muß sich Remy mit seinem Freund Jack Kellow auseinandersetzen,
der seine Mutter heiraten will und eigentlich schon zur Familie gehört.
Nicht, daß Remy sich nicht auch aus dem Topf der „Witwen- und Waisenkasse"
bedienen würde; das gehört zum Lebensstil von New Orleans, das man
Big Easy nennt, und schon sein Vater hat es so gehalten. Aber so weit, mit erbeutetem
Heroin zu handeln, geht Remy nicht, und als man schließlich seinen Bruder
schwer verletzt, weil man ihn mit Remy verwechselt, muß er sich gegen
die Mörder aus den eigenen Reihen zur Wehr setzen. Das ist die Kriminalgeschichte.
Die
Staatsanwältin Anne Osborne führt Ermittlungen gegen die korrupten
Polizisten. Remy macht ihr auf New-Orleans-Weise den Hof; hartnäckig verfolgt
er sie mit dem scheinbar ewigen Fest der Sinne, Essen, Trinken, Tanz, Musik,
Liebe. Oh ja, er versteht etwas vom Leben, aber er gibt sich auch gar keine
Mühe, vor ihr zu verbergen, daß dies nur möglich ist, weil er
sich mehr an die Regeln, weniger an die Gesetze hält. So endet ihre kurze
und heftige Liebesgeschichte, als er in eine Falle gerät und großer
Korruption angeklagt wird. Den Rest des Films muß Remy, außer seine
Haut zu retten, alles tun, um Anne wiederzugewinnen, und er schafft es, weil
er einerseits seine Ehre wiederherstellt, und weil sie andererseits schon rettungslos
an New Orleans, an das Leben, an die Liebe verloren ist. Das ist die Liebesgeschichte.
Beide
Geschichten kommen zur endlichen Lösung, wie könnte es in einem Thriller
anders sein, im gemeinsamen Überstehen einer tödlichen Bedrohung.
Ein fulminant gefilmtes Hafen-Duell mit zwei korrupten Cops, denen auch Jack
zum Opfer fällt - auch er hat seine moralische Lektion gelernt - schickt
die Liebenden noch einmal in die Hölle. Aber dann ist, ehrlich wahr, sogar
von Heirat die Rede.
Die
Verführung, deren Opfer die Staatsanwältin wird, und der sie nicht
nur als Frau, sondern auch als Staatsdienerin, als moralische Instanz, unterliegt,
geht nicht allein vom jungenhaften Charme dieses pushy
guy
aus, es ist auch der anti-puritanische Lebensentwurf, der in New Orleans auch
die Korruption in anderem Licht erscheinen läßt, einer Stadt, deren
Widersprüche in Sprache und Lebensstil so aufgehoben sind wie die verschiedenen
kulturellen Einflüsse in der Musik von Dewey Balfa, Professor Longhair
oder den Neville Brothers aufgehoben sind. Verdächtig oft preist Remy seine
Stadt. „This
is New Orleans. This
is the Big Easy" fangen fast alle seine Versuche an, Annes moralische Grundsätze
zu unterminieren. Dabei verfällt er machmal in die Cajun-Sprache, deren
Rhythmus so nah an der Musik ist wie diese am Eros (keine Ahnung, wie die deutsche
Synchronisation das hinkriegen will). Aber so wie die sittenstrenge Puritanerin
und politische Moralistin in New Orleans das Leben kennenlernen muß, was
Sex, mit dem sie vordem „never did have much luck anyway", ebenso umfaßt
wie den Tod, das Blut der Ermordeten, so muß auch der leichtlebige Cop
eine Lektion lernen, was Loyalität, mit der er es vorher nicht so genau
nahm, ebenso umfaßt wie die Entscheidung, im richtigen Moment Verantwortung
zu übernehmen. Unter dem Thriller liegt eine ScrewballComedy, in der Dennis
Quaid den Part von Katharine Hepburn und Ellen Barkin den von Spencer Tracy
übernommen hat. Der glückliche Ausgang ist derselbe, die ehrliche
und hart erworbene Gleichstellung der Geschlechter. Jim McBride hat ein großes
nachtblaues Märchen von der Versöhnung von Sex und Moral gedreht.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film 3/88
Der
große Leichtsinn
The Big Easy
USA
1986. R:
Jim McBride. B:
Daniel Petrie. K: Affonso Beato. Sch:
Mia Goldman. M: Brad Fiedel. T: Mark Ulano. A:
Jeannine Claudia Oppewall. Ko: Tracy Tynan. Sp: BiII Purcell. George
C. Landerer. Pg:
Kings Road Entertainment. P:
Stephen Friedman. V: Kuchenreuther. L: 101 Min. St: 24.3.1988. D: Dennis Quaid
(Lieutenant Remy McSwain), Ellen Barkin (Anne Osborne), Ned Beatty (Captain
Jack Kcllom), John Goodman (Detective Andre DeSoto), Lisa Jane Persky (Detective
McCabe), Ebbe Roe Smith (Detective Ed Dodge). Thomas
O'Brien (Bobby McSwain).
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