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Die
große Verführung
Theater um Kaf(f)ka
Eine Provinzstadt wie St. Marie-La-Mauderne ist kein
Ort zum Verlieben. Der Begriff Stadt verbietet sich gar, viel mehr als eine
zufällige Ansiedlung von Menschen an einem Ort ist dieses Fleckchen kanadischer
Erde beim besten Willen nicht. Ein Dorf, ja, den Traditionen des Fischfangs
verhaftet. Damals, als es noch Arbeit gab, mehr noch als Fische, war alles besser.
Heute verlässt keine Seele am frühen Morgen das Eiland, um den Familien
ihr Essen zu bringen, den Märkten ihre Ware, den Kindern idyllische Geschichten.
Von der Sozialhilfe lebt diese Gemeinde, beschämt stellt sich jeder in
die lange Schlange am Postamt.
Doch am Horizont keimt Hoffnung. Den Gesetzmäßigkeiten
der Zeit ist es zu verdanken, dass dieser frohlockende Silberstreif am Firmament
aus Plastik ist. Ein großer Konzern sucht nach einem Platz für die
jüngste Fabrik, der vorübergehende Bürgermeister Germain (Raymond
Bouchard) wittert die einmalige Chance für sich und seine Leidensgenossen.
Doch alle Euphorie droht jäh zu verenden, denn in St. Marie-La-Mauderne
gibt es keinen ansässigen Arzt, und ohne diesen wird es keine Fabrik geben,
ohne die scheint kein Ausweg aus der Arbeitslosigkeit in Sicht, steht die 125-köpfige
Kommune praktisch vor dem Kollaps.
Wagemut ist ihnen allen geblieben, diesen bisweilen
kauzigen Dorfbewohnern, und nicht zu vergessen eine ordentliche Portion Herzlichkeit.
So mutet es fast wie göttliche Vorsehung an - in Wirklichkeit sind es die
Pfade des Glücks und die einer klitzekleinen Intrige - als der junge Schönheitschirurg
Christopher (David Boutin) unverhofft für einen Monat als Arzt in St. Marie-La-Mauderne
praktizieren muss. Der arrogante Schnösel aus der Stadt inmitten der einschnürend
langweiligen Einöde des Dorfes - ein Bild, das leider so rein gar nicht
stimmt.
Denn nebenbei beweisen sich die Einwohner als überaus
trickreiche Illusionisten, die es auf wunderbare Art und Weise verstehen, eine
reale Inszenierung ihrer eigenen Lebensumstände auf die Beine zu stellen.
Für Christopher hebt sich der Vorhang hinter dem nicht mehr das schnörkellose
Kaff auf den Neuankömmling wartet, sondern ein liebreizendes Nest voller
Zuneigung und menschlicher Wärme. Der Zweck heiligt die Mittel. Christophers
Telefon wird permanent abgehört, jeder noch so entfernte Wunsch wird erfüllt,
125 Menschen tun ihr Möglichstes, um genau einem Arzt ans Herz zu wachsen,
der ihnen weitaus mehr bescheren würde, denn teure Behandlungen und gesunde
Knochen.
Putzig ist Jean-Francois Pouliots Film von Grund
auf, so richtig zum Wohlfühlen in der Behaglichkeit kleiner Geschichten
wie dieser, über kleine Landstriche wie diesen. Unscheinbare Orte mit ganz
und gar überwältigenden Menschen, die sich zwischen Realismus und
filmischer Fiktion bewegen, Teile einer großen Gute-Nacht-Geschichte sind,
und doch manchmal spröder wirken als Graubrot. Es ist jedoch keineswegs
Neuland, das Pouliot hier entdecken möchte, reiht sich St. Marie-La-Mauderne
doch nahtlos ein in eine lange Liste miefiger Flecken, aus denen sich jedoch
ganz fantastische Erzählungen gewinnen lassen.
La grande séduction
tut dies auf überwiegend konventionelle Weise, ohne dabei zu langweilen,
doch weitgehend auch, ohne zu überraschen. Es folgt eine Anhäufung
von skurrilen Begebenheiten, die mal erheiternd, mal altbacken auf ein Ergebnis
hinauslaufen, das sich bereits nach den ersten zehn Minuten ankündigt,
ohne dessen Eintreten dieser Art des Heimatfilms aber auch jede Form von Genuss
verwehrt bleiben müsste.
Patrick Joseph
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei www.ciao.de
Die
große Verführung
Kanada
2003 - Originaltitel: La Grande Séduction - Regie: Jean-François
Pouliot - Darsteller: Raymond Bouchard, David Boutin, Benoît Brière,
Pierre Collin, Rita Lafontaine, Lucie Laurier - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 109 min. - Start: 2.12.2004
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