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Große
Vögel, kleine Vögel
"Liebe,
Liebe", zwitschern die Spatzen
Pasolinis Episodenkomödie "Große
Vögel, kleine Vögel" ist ein kinematografisches blaues Wunder
Der Vorspann wird gesungen. Die
Credits reimen sich im Gesang. Da heißt es dann: "Mit ,Uccelacci
e uccellini' gefährdet seinen Ruf der Regisseur Pier Paolo Pasolini. Und
sein Vermögen riskiert hat Produzent Alfredo Bini." So geht das los,
man darf also auf allerlei gefasst sein. Und es bleibt nicht aus. Erst einmal
sind ein Vater (gespielt vom großen italienischen Komiker Totò)
und sein Sohn (Laiendarsteller Ninetto Davoli) unterwegs auf den leeren Straßen
am Rande von Rom. Sie führen Gespräche, unter anderem über den
Tod.
Das Gespräch ruft einen sprechenden
Raben herbei, der sich vorstellt als Vogel aus dem Land der Ideologie, Sohn
des Vaters Zweifel und der Mutter Bewusstsein. Außer auf den leeren Straßen
um Rom spielt Pasolinis "Große Vögel, kleine Vögel"
im selten betretenen Niemandsland zwischen Märchen, Fabel, Surrealismus,
Slapstick, marxistischer Allegorie und christlichem Lehrstück. Der Rabe
nämlich erzählt den beiden Wanderern eine Geschichte von zwei Schülern
des heiligen Franziskus. Pasolini blendet also 700 Jahre zurück, vom Nachkriegsrom
in ein Gelände, das an Roberto Rossellinis "Francesco, giullare de
dio" erinnert, den Franziskusfilm von 1950, in dem die Mönche ähnlich
viel herumflitzen wie nun auch bei Pasolini. Franziskus hat bei Pasolini eines
dieser großartigen Gesichter, die man nur in seinen Filmen findet, in
denen die Laien vor allem nach physiognomischen Gesichtspunkten ausgewählt
sind.
Er trägt, wie es überliefert
ist, seinen Mönchen auf, den
Vögeln zu predigen. Die beiden Mönche
werden wiederum gespielt von Totò und Ninetto Davoli, und es wird nicht
nur geflitzt, sondern auch eisern gewartet, die Jahreszeiten hindurch, darauf,
dass man in christlichen Marx- und Vogelzungen mit den Falken und Spatzen zu
sprechen lerne. Das Wunder bleibt nicht aus, zweimal nicht, die Falken kreischen
"Liebe, Liebe", die Spatzen zwitschern es ihnen nach anfänglichem
Widerstreben hinterher. Glücklich ziehen die beiden Mönche ihres Wegs
- und müssen dann ansehen, wie vor ihren Augen ein Falke einen Spatzen
verspeist. Sie berichten es Franziskus, der nur meint, man dürfe nicht
aufgeben, müsse "die Welt verändern". Damit endet der erste
Teil.
Der zweite spielt dann wieder
in der römischen Gegenwart. Die Episodenkomödie geht weiter, der Vater
erweist sich als Ausbeuter, zwischendurch Slapstick: Vater und Sohn nutzen einen
Strohhaufen als Unterwegstoilette und werden von einer Bauersfrau mit einem
Gewehr beschossen. Pasolini ist sich für keine Albernheit zu schade - umso
verblüffender sind darum Einschübe wie der, in dem ohne Zusammenhang
Dokumentaraufnahmen von der Beerdigung des Kommunistenführeres Palmiro
Togliatta zu sehen sind.
Kein Mensch weiß zu sagen,
was für ein Film "Große Vögel, kleine Vögel"
ist. Von der Strenge und dem Biedersinn handelsüblicher Erbauungsfilme
ist er ebenso Welten entfernt wie von Pasolinis stilisiertem Drama "Teorema"
oder gar seinem faschismuspornografischen letzten Film "Salò". Aber auch mit dem Adjektiv
heiter trifft man die Sache nicht, denn hinter allen Albernheiten sind die ernsthaften
politischen wie religiösen Anliegen spürbar. Bleibt eigentlich nur
eines: den Film zu nehmen, wie er ist, als einen wie keinen anderen, als kinematografisches
blaues Wunder, in dem sich allerhand zusammenreimt, ohne dass man immer wüsste
zu welchem Anfang und welchem Ende.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 16.8.2007
Die DVD ist im Rahmen einer Reihe
mit Pasolini-Filmen bei der Filmgalerie 451 erschienen, enthält keine nennenswerten
Extras und ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich
Große
Vögel, kleine Vögel
UCCELLACCI E UCCELLINI
Italien - 1965 - 88 min. – schwarzweiß - FSK: ab
16; - Erstaufführung: 18.7.1966 ZDF/10.12.1969 Kino BRD/19.3.1989 DFF 1-
Produktionsfirma: Arco - Produktion: Alfredo Bini
Regie: Pier Paolo Pasolini
Buch: Pier Paolo Pasolini
Kamera: Mario Bernardo, Tonino Delli Colli
Musik: Ennio Morricone
Schnitt: Nino Baragli
Darsteller:
Totò (Innocenti
Totò/Bruder N.)
Ninetto Davoli (Innocenti Ninetto/Bruder
N.)
Femi Benussi (Luna)
Rosana Di Rocco (Ninettos Freundin)
Lena Lin Solaro (Urganda, La Sconisciuta)
DVD bei www.filmgalerie451.de für 14,90 Euro
Restaurierte Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Sprachen: deutsch / italienisch (optional mit Untertiteln)
Untertitel: deutsch
Ländercode 0
PAL schwarz/weiß
ca. 88 min
Bild: 1:1,85 16:9
Dolby 2.0
Extras: 4 Pasolini-Trailer
FSK 12
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