zur
startseite
zum
archiv
Das
grüne Zimmer
Truffaut: 20 Jahre tot. Und ich mache mir Gedanken über
den Grund, aus dem wir hier schreiben.
"Widmen Sie den Toten all ihre Gedanken, alles,
was Sie tun, Ihre ganze Liebe, und Sie werden sehen, dass sie uns gehören,
wenn wir bereit sind, ihnen zu gehören." (Julien in "Das grüne
Zimmer")
Heute, ganz zufällig, "Das grüne Zimmer" von Truffaut im Fernsehen gesehen, auf Arte. Natürlich nicht ohne Anlass: Vor zwanzig Jahren starb Truffaut. Und mich erinnert: Ach ja, das gibt es ja auch noch. Dieses große, fremde Kino der Jahre, in denen wir Kind waren, das schon neben uns existierte, das wir (ich zumindest) erst kennenlernten, als es schon lange vergangen war. Mein erster bewusster Truffaut? Ich glaube, "Der Mann, der die Frauen liebte", irgendwann mit 16 oder 17 im Fernsehen, mein liebster immer noch "Die amerikanische Nacht". Oder doch "Geraubte Küsse"? Egal.
Und nun, also ganz unvermittelt, "Das grüne Zimmer". Und eben dieses Gefühl der Fremdheit, oder genauer: Sowas wird heute nicht mehr gebaut. Ein schmaler Film, so gar nicht auf irgendeinen Effekt gezielt, so ganz unwillig, aufzufallen. Auffallen - nicht im Sinne von "in der Menge verschwinden", sondern: Nicht protzen, nicht brillieren. Ein einfacher Kostümfilm mit einem verqueren Thema: Wie gehe ich mit der verschwundenen Vergangenheit um? Mit den Menschen, die mich verlassen haben, obwohl ich sie liebte, die gingen, die starben, obwohl ich sie nie hätte gehen lassen? Truffaut spielt die Hauptrolle, Julien, kantig, sparsam, intensiv, schwarzäugig. Es sind die Zwanziger, er hat im Krieg viele, zu viele Freunde verloren, und nun, nachdem er sich in den Frieden gerettet hat, auch noch seine geliebte Frau. Das wirft ihn um, er lebt nun nur noch, um herauszufinden, wie er mit dem Verlust der Toten umgehen kann, beginnt, sich Rituale zu erspinnen,die nicht greifen, bis er am Ende eine alte Kapelle mietet, um sie zu einem Tempel für "seine" Toten zu machen, gefüllt mit Bildern von Toten, die für ihn auch immer Geschichten bedeuten. Zentral, über dem Altar (das Kreuz hat er entfernt) Bilder seiner Frau. Um mehr geht es eigentlich nicht, nur der Tod, der sich aus dem Leben nicht vertreiben lässt, und der Versuch ihn, wenn er zu stark wird, zu zivilisieren.
Truffaut ist in "Das grüne Zimmer" Journalist,
er verfasst, fixiert wie er ist, ausschließlich Nachrufe. Dann hört
er damit auf, beschäftigt sich nur noch mit seiner Obsession. Was liegt
näher, als hier eine Analogie auf den Weg des Filmjournalisten Truffaut
hin zum Filmemacher Truffaut zu suchen? Einem Mann, der seiner Obsession einen
Tempel, voll mit Bildern, voll mit Geschichten, gebaut hat? EInem Mann, der
versucht, mit seiner Obsession umzugehen, Wege sucht, sie in seinem Leben zu
beherbergen? Julien stirbt am Ende an der Ausschließlichkeit seiner Leidenschaft
für die Bilder aus dem Jenseits. Hm.
Und jetzt eben fange ich an, nachzudenken, warum ich
hier schreibe.
Es ist einfach, sich von Dingen zu trennen, sich loszusagen,
die man in seinem Leben für schädlich erkannt hat. Auch davon handelt
der Film. Schwer ist es, die Dinge fahren zu lassen, die man liebt. Und doch:
Das passiert.
Denn die Leidenschaft welkt, wenn man sie nicht lebt,
dieses ganze zusammengeglotzte und gelesene Wissen schwindet, die Lust, sich
auszutauschen. Über die ganzen Dinge, die ja ständig nachgeschüttet
werden, begeistern, befremden, wegsortiert werden, verblassen, welken, wenn
man sie nicht poliert.Was tun? Man muss einen Tempel bauen, ein Ritual erspinnen,
in dem sich dies alles Ausdruck verschaffen kann, über den Konsum, über
das Sammeln hinaus. Dem Entglittenen, dem sich ständig ins Vergessen entziehenden
alle Gedanken widmen. Das fordert Julien, und soweit wolln wa ja nu nich gehen.
Aber: Man soll ihm die Gedanken widmen, die es verdient, und wir werden so viel
von ihm behalten, wie wir verdienen. In einem Ritus, der das Schreiben ist,
in dem die Gedanken sich bilden, gedeihen. Kerzen entzünden, die, wenn
man sie betrachtet, voller Leben sind, jede eine Geschichte, die einen zu vergessen
hindert. In einem Tempel, der aus so etwas profanem wie einer Internetadresse
und etwas Hypertext besteht. Und der so mit hunderten und aberhunderten von
Bildern, Gedanken, Meinungen ausgeschmückt ist. Deswegen schreibe ich hier,
meinem eigenen unzuverlässigen Hirn die Stirn bietend.
Kluger Truffaut.
Ulrich Bähr
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Das
grüne Zimmer
LA
CHAMBRE VERTE
Frankreich
- 1978 - 94 min.
Literaturverfilmung, Drama
Erstaufführung:
2.11.1979 ARD/23.11.1984 Kino
Regie:
François Truffaut
Buch:
François Truffaut, Jean Gruault
Vorlage:
nach
den Kurzgeschichten "The Altar of the Dead"
"The
Friend of Friends"
"The
Beast in the Jungle" von Henry James
Kamera:
Nestor Almendros
Musik:
Maurice Jaubert
Schnitt:
Martine Barraqué
Darsteller:
François
Truffaut (Julien Davenne)
Nathalie
Baye (Cécilia Mandel)
Jean
Dasté (Chefredakteur des "Globe")
Jean-Pierre
Moulin (Gérard Mazet)
Jane
Lobre (Mme. Rambaud, Haushälterin)
Antoine
Vitez (Sekretär des Bischofs)
zur
startseite
zum
archiv