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Hairspray
(2007)
Fat Bottomed
Girls
Eine der unterhaltsameren Ironien der jugendlichen
Rebellion besteht in der Tatsache, daß all die poppigen Hitparadenlieder,
über die die Eltern verächtlich die Nase rümpfen, drei Jahre
später in den Volksmusiksendungen wieder auftauchen – im Zweifelsfall als
deutsche Schnulzenversion, immer öfter aber auch unverändert. Das
Prinzip dahinter ist klar: Die Geschmacklosigkeit von heute ist der gesellschaftliche
Konsens von morgen.
Ähnlich verhält es sich auch mit Adam Shankmans
"Hairspray"-Version anno 2007. Das Original war der erste jugendfreie
Film von John Waters, ein einziger Mittelfingersalut an "Grease" und
Konsorten; ein Jugendfilm, für den Divine zwar ausnahmsweise keine Fäkalien
verspeiste oder sich im Gegenschnitt selbst vergewaltigte, aber immer noch als
dümpeliger Transvestit die Mutter der Protagonistin spielte. Von dieser
Schamlosigkeit ist ein drolliges Eröffnungslied geblieben, in dem Waters
sich als Exhibitionist noch mal selbst die Ehre gibt, der Rest ist (obwohl größtenteils
unverändert) inzwischen sauber-amerikanisches Message-Kino geworden. das
sich selbst als bonbonfarbene Kitschkanone feiert und darüber schon mal
die eigenen Prinzipien vergißt (schon seltsam, wenn in einem Film über
Andersartigkeit und Akzeptanz individuelle Tanzszenen die Ausnahme bleiben zugunsten
anonymer Formationschoreographien). Und man kommt nicht um die Vermutung herum,
daß der Film genau deshalb ausgewählt wurde: Von den frühen
Waters-Werken ist "Hairspray" keineswegs der beste, aber mit Sicherheit
der einzige, der in der Zwischenzeit mehrheitstauglich geworden ist.
Die Besetzung immerhin ist ein wahrgewordener Aprilscherz:
Travolta in der Divine-Nachfolge als Transvestit und Ehefrau von Christopher
Walken – das muß man erst mal toppen. In der Hauptrolle ist unterdes die
durchaus beeindruckende 18jährige Dampframme Nikki Blomsky zu bewundern,
in deren Biographie das Presseheft hilflos ihre Schultheaterrollen aufführt
– setzt man die Standards nur gering genug, sind wir alle Stars. Wirklich die
Schau stehlen kann aber nur Michelle Pfeiffer, die als hinreißendes Monstrum
mit dem schönen Namen Velma Von Tussle soviel Klauen und Zähne zeigen
darf wie seit ihrem legendären Auftritt als Catwoman nicht mehr.
Trotzdem bleibt die Freude durchwachsen. Streckenweise
amüsieren die schmissigen, praktisch übergangslos aneinandergereihten
Musiknummern und die dampfenden sexuellen Anspielungen, oft ärgert man
sich aber auch über die konventionelle Inszenierung und die letztlich dann
doch durchscheinende Prüderie des Ganzen – eine wirkliche Neuerfindung
des Stoffes hätte die Grenzen der Tabus den heutigen Zeiten anpassen müssen.
Zudem begeht Shankman in einer Episode über die Befreiungsbewegung der
Schwarzen (die einen wesentlichen Bestandteil dieses in den finsteren Gassen
von Baltimore spielenden Farbdeliriums darstellt) den größtmöglichen
Fehler: Er nimmt die Story urplötzlich ernst. Keiner weiß, wo das
auf einmal herkommt, aber plötzlich sind sie da, die historischen Montagen
von Bürgerrechtsmärschen, die pathosgeladene Heroisierung in sepiafarbenen
Zeitlupenüberblendungen. Moment, denkt man: War da nicht eben noch ein
fetter Transvestit mit Bartansatz im Bild?
In seinen besten Momenten immerhin fühlt man
sich in "Hairspray", als würde man einem Autounfall zusehen.
Travolta und Walken zum Beispiel sind so offensichtlich fehlbesetzt, daß
es auf eine tapsige Art und Weise schon wieder ulkig ist. Walken könnte
selbst mit geladener Pistole am Kopf keinen sauberen Ton halten, und seine Stepptanzausbildung
der alten Ratpack-Schule (die im Video zu Fatboy Slims "Weapon of Choice"
noch für atemloses Staunen sorgte) wirkt in diesem Motown-Musical deutlich
fehl am Platz. Travolta derweil teilt sich mit seinem Vorläufer Divine
die Eigenschaft, daß er eine herrlich miese Transe ist: Bulldoggengesicht,
unsichere Fistelstimme, sichtbare Bierwampe. Auch sein Disco-Tanzstil will irgendwie
überhaupt nicht in den Film passen (und kann sich dank Frauenkleidern,
Plüschpantoffeln und Ganzkörperkostüm ohnehin nicht richtig entfalten),
und auch er krächzt seine Lieder heraus wie ein pummeliger Chorknabe im
Stimmbruch. Das romantische Duett dieser beiden verirrten Filmrelikte stellt
den absoluten Tiefpunkt des Films dar – und zugleich den einzigen Moment, da
er sich dem genialen Irrwitz des Originals wirklich annähern kann.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Hairspray
USA 2007.
R: Adam Shankman. B: Leslie Dixon. K: Bojan Bazelli. S: Michael Tronick. M:
Marc Shaiman. P: New Line Cinema, Gabriel Simon Production Services u.a. D:
John Travolta, Michelle Pfeiffer, Christopher Walken u.a. 116 Min. Warner ab
6.9.07
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