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Die
Halbstarken
Horst
Buchholz ... Mein Papa
1956 war das erste Jahr der Jugendkrawalle in Westdeutschland,
ausgelöst von Rock´n´Roll-Konzerten oder Aufführungen
amerikanischer Filme. Noch war das nur Randale, aber wenn der minderjährige
Kleinkriminelle Freddy im Film „Die Halbstarken“ befindet: Bürgermeister,
Polizeipräsidenten und Amtsgerichtsräte hätten auch nicht weniger
Dreck am Stecken als er, dann lässt sich das heute als Schritt in Richtung
68er begreifen. Dennoch ist Freddy noch ein unpolitischer „Rebel without a cause“,
der sich im Wirtschaftswunderland zusammenklaut, was er kriegen kann. In der
Synchronfassung des genannten James-Dean-Klassikers lieh Horst Buchholz noch
Sal Mineo die Stimme, mit „Die Halbstarken“ wurde er dann zum „deutschen James
Dean“ aufgebaut. Vieles ist sehr deutsch an dem Film, dessen wunderschön
luzide Schwarzweißfotografie auf der neuen DVD hervorragend zur Geltung
kommt: Im Vorspann wird die deutsche Jugend vor Abwegen gewarnt, der moralische
Zeigefinger bleibt durchweg gehoben und der Rock’n’Roll wird ins Lächerliche
gezogen, als hätte Caterina Valente das Tanzbein im Spiel.
Der 19-jährige Freddy (Buchholz) hat sich zum
Anführer einer Berliner Straßengang aufgeschwungen. Er liebt Sissi
(Karin Baal), die erst 16 und schon habgierige Taktiererin ist und sich mehr
für Freddys Bruder (Christian Doermer) interessiert. Der wird ebenfalls
in die Machenschaften der Bande hineingezogen. Das US-Vorbild „Denn sie wissen
nicht, was sie tun“ hatte es noch nicht nötig gehabt, seine Hauptfiguren
über Gebühr zu kriminalisieren, ansonsten halten sich „Die Halbstarken“
eng ans Erfolgsrezept: Die Geschichte wickelt sich innerhalb von 24 Stunden
ab und endet mit Schüssen im Morgengrauen. Und wie bei Jimmy Stark alias
James Dean ist der Halbstarke einem halbschwachen Elternhaus entflohen. Freddys
hartherzig-selbstgerechter Vater (Paul Wagner) gehört zu den überzeugendsten
Figuren eines Films, der vielfach ein gutes Gespür für die sozialen
Spannungen, Wünsche und Ängste in der unmittelbaren Nachkriegszeit
beweist.
Mit einer realen Familiengeschichte konfrontiert
der zweite Film des DVD-Sets. Christopher Buchholz’ bewegendes Filmportrait
seines Vaters, das neben Ausschnitten aus Filmen von Duvivier, Käutner
oder Benigni auch Szenen der „Halbstarken“ enthält, ist die ideale Ergänzung
zum Spielfilm und ganz und gar nicht mit üblichem Bonusmaterial zu vergleichen.
„Horst Buchholz ... Mein Papa“ entstand vor und nach dem Tod des Schauspielers
2003 an seinem Geburts- und Wohnort Berlin. Ein schon ganz gläsern gewordener
„Hotte“ spricht in stockendem Duktus über sein Startum, verpasste Chancen,
verprasstes Talent – und seine Bisexualität. Ein Thema, zu dem er nur Thomas
Manns „Felix Krull“ zitiert: „Liebe die Welt und die Welt wird dich lieben“.
Vielsagend ergänzt Buchholz: „Und ich habe die Welt geliebt“. Zum deutschen
Kino seit den späten Sechzigern bemerkt er resignativ: „Der deutsche Film
wollte nichts mehr von mir wissen. Die haben immer nur Leute von der Straße
engagiert. Die brauchten keine bekannten Leute.“ Die Französin Myriam Bru,
die ihren Mann Horst Buchholz zeitlebens gesiezt hat, kommt ebenso zu Wort wie
die Tochter Simran Kaur Khalsa, die als Sikh in Kalifornien lebt und eindringlich
von ihrer Art des Abschiednehmens erzählt. Am Ende streift Sohn Christopher
durch das leergeräumte Appartment des verstorbenen Vaters: Bewegender Abschluss
eines Stücks Trauerarbeit, in dem mindestens so viel (beredt) geschwiegen
wie gesprochen wird.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-dienst
Die
Halbstarken (1956)
BR
Deutschland - 1956 - 97 min. – schwarzweiß - Erstaufführung: 27.9.1956/15.2.1964
ARD
Regie:
Georg Tressler
Buch:
Will Tremper, Georg Tressler
Vorlage:
nach einer Erzählung von Will Tremper
Kamera:
Heinz Pehlke
Musik:
Martin Böttcher
Schnitt:
Wolfgang Flaum
Darsteller:
Horst
Buchholz (Freddy Borchert)
Karin Baal
(Sissy Bohl)
Christian
Doermer (Jan Borchert)
Jo
Herbst (Günther)
Viktoria
von Ballasko (Mutter Borchert)
Stanislav Ledinek
(Antonio Garezzo)
Horst
Buchholz ... mein Papa
Deutschland
2005 - Regie: Christopher Buchholz, Sandra Hacker - Darsteller: Horst Buchholz,
Myriam Buchholz Bru, Simran Kaur Khalsa, Christopher Buchholz, Heidi Dietrich
- FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 90 min. - Start: 22.9.2005
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