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Half
Nelson
Ryan Flecks Film
"Half Nelson" hat einen grandiosen Ryan Gosling als drogensüchtigen
Lehrer zu bieten und ist nicht didaktisch, sondern dialektisch.
Dan Dunne (Ryan Gosling) ist ein großartiger
Lehrer, das führt Anna Bodens und Ryan Flecks Spielfilmdebüt "Half
Nelson" zu Beginn eindrucksvoll vor. Er unterrichtet die Geschichte amerikanischer
Bürgerrechtsbewegungen und als ihn seine Schüler fragen, ob nicht
auch er als Lehrer Teil der allgemeinen Unterdrückungsmaschinerie ist,
kann er das nur bejahen. Geschichte, lehrt er, ist Dialektik, ist gesellschaftlicher
Wandel im Kampf der Gegensätze, die es zu überwinden gilt. Gegensätze
wie die zwischen Mann und Frau, Schwarz und Weiß. Oder Schüler und
Lehrer.
Das ist aber nur die eine Seite von Dan Dunne. Mit
der anderen sieht sich bald seine Schülerin Drey (Shareeka Epps) konfrontiert.
Sie findet ihn, kaum zurechnungsfähig, auf der Mädchentoilette. Er
hat sich mit Crack zugedröhnt, sie kühlt ihm die Stirn und sie verrät
ihn nicht. Es zeigt sich schnell: Auf einen simplen Gegensatz lassen sich die
beiden, weißer Lehrer und schwarze Schülerin, nicht reduzieren. Dreys
Bruder sitzt im Gefängnis, der Drogenhändler Frank (Anthony Mackie)
kümmert sich um Drey und zieht sie in seine Geschäfte. So wird aus
dem Gegensatz ein seltsam symmetrisches Verhältnis. Als Abhängiger
verliert Dan die Autorität, die er als Lehrer hat. Drey, deren Mutter als
Polizistin selten zuhause ist, wird für Dan eine Freundin und Dan wird
für Drey ein Freund, der sich in ihr Leben einmischt.
Dass er das Schematische - und
auf den ersten Blick auch reichlich Unglaubwürdige - dieser Konstruktion
aufbricht, ist die große Leistung dieses Films. Es gelingt ihm, weil er
auf elliptisches Erzählen setzt, wenig aus- und zu Ende erklärt und
es trotz massiven Handkamera-Einsatzes mit der Nähe zu den Figuren nicht
übertreibt. Er rückt an sie heran und springt wieder weg. Er zeigt
sie als Menschen, die auch nicht genau wissen, wie ihnen geschieht. Dan ist ein
toller Lehrer und auch ein Arschloch. Ein Träumer und ein Versager, einer,
der die Welt verändern möchte und sich völlig sinnlos zugrunde
richtet. Drey lässt sich, gegen ihren Willen eigentlich, in die Drogengeschäfte
von Frank hineinziehen, verharrt am Rande, bleibt oft passiv.
Vor allem aber überzeugen die beiden Hauptdarsteller
Ryan Gosling (im letzten Jahr für diese Rolle Oscar-nominiert) und die
Debütantin Shareeka Epps. Beide sind ganz frei von allen Indie-Manierismen,
beiden gelingt es, nur das Nötigste zu tun, ihre im besten Sinn komplizierten
Figuren geradezu skizzenhaft hinzuwerfen und ihnen gerade so ein Eigenleben
jenseits des Konstruktionsschemas zu geben. Der Titel des Films verdankt sich
dem Namen für einen Ringergriff, bei dem der eine Kämpfer den anderen
auf den Boden drückt. In ironischer Weise beschreibt "Half Nelson"
so eine Situation, in der Annäherung zwischen den Gegensätzen möglich
scheint, ohne dass daraus schon Lösungen für die vielfach verfahrene
Lage entspringen.
Dieser Text ist
zuerst erschienen am 26.03.2008. in: www.perlentaucher.de
Half
Nelson
USA 2006 - Regie: Ryan Fleck - Darsteller: Ryan Gosling, Shareeka Epps, Anthony Mackie, Monique Curnen, Karen Chilton, Jeff Lima, Tyra Kwao-Vovo, Rosemary Ledee, Tristan Wilds, Bryce Silver, Kaela C. Pabon - FSK: ab 12 - Länge: 107 min. - Start: 27.3.2008
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