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Hallam
Foe
Alle Macht der
Fantasie
Hallam Foe ist ein Einzelgänger. Er wohnt in
einem Baumhaus neben dem Anwesen seines Vaters, hoch in Schottland an einem
See. Seine Mutter ist vor Jahren gestorben, und er beschuldigt die neue Frau
seines Vaters, sie umgebracht zu haben. Er hat sich in seinem Baumhaus eine
eigene Welt aufgebaut, hat ein Bild seiner Mutter wie ein Filmstarplakat an
die Wand gehängt, und als Hobby schleicht er mit dem Fernglas durch die
Gegend und beobachtet Leute bei ihrem Privatleben. Als er es übertreibt,
flieht er nach Edinburgh, wo er einer Frau nachspioniert, die er für seine
Mutter hält.
"Hallam Foe" ist als Film ein seltsamer
Zwitter. Einerseits ein nachdenklicher, zurückhaltender Independentfilm,
der seine Figuren ernstnimmt, der einen tiefergehenden Blick auf ein Stück
reales Leben wirft, der eben nicht die Eskapismus-Versprechen des großen
Kinos macht, der die Ausgestoßenen, die Underdogs und die Verzweifelten
in unser aller Alltag würdigt. Andererseits feiert er die Fantasie, die
eigenwillige Idee als Daseinsprinzip, was ihn dann zwangsläufig aus unserer
Welt hinausführt. Die Titelsequenz ist von David Shrigley, dem ungekrönten
König des Abseitigen, und die macht schon zu Anfang unmißverständlich
klar: Das hier ist kein üblicher Arthouse-Film mit nachdenklicher Sprachlosigkeit.
Es gibt noch mehr. Ähnlich signalhaft der Musikeinsatz: Der Soundtrack
stammt nämlich komplett von Bands des schottischen Labels Domino, das mit
Franz Ferdinand bekannt wurde, aber noch mehr und Spannenderes zu bieten hat.
All diese Bands pflegen etwas typisch Schottisches, eine widerborstige Eigenheit,
die auch den Titelhelden des Films auszeichnet.
Den manövriert Regisseur Mackenzie dann durch
einen seltsam artifiziellen Plot, der auf der einen Seite Glaubwürdigkeit
in bester britischer Tradition verspricht, auf der anderen Seite aber immer
wieder höchst unvermutete Wendungen herbeiführt. Der Film stellt einen
Ausflug in die selbstgebaute Welt eines jungen Einzelgängers dar, dem man
gerne folgt. Er glaubt, in einer Frau seine tote Mutter wiederzuerkennen, seine
Beharrlichkeit wirkt dabei faszinierend und führt am Ende zu einem ambivalenten
Verhältnis zwischen den beiden. Währenddessen freundet er sich mit
ein paar anderen Einzelgängern an und haust auf einem riesigen Dachboden
hinter dem Zifferblatt einer Turmuhr.
Als Zuschauer freut man sich an den liebevollen Details,
an den prägnant und detailreich geschilderten Nebenfiguren, an dem Wiedersehen
mit dem Elternhaus, als man auf einmal versteht, daß der Vater selber
Probleme hat, gegen die sein eigener widerborstiger Sprößling ihm
wie ein mittelwichtiger Problemschnösel erscheinen muß, an Hallams
ruppigem Working-Class-Kollegen, ein großartiger Charakter mit Ecken und
Kanten, an dem glatten Chef, gegen dessen selbstgewisse Fiesheit Hallam sich
mit entschlossener Hinterlist zur Wehr setzt, und an der Frau, die Hallam für
seine Mutter hält, die mit wenigen Strichen als glaubhafte Person gezeichnet
wird. Da geht man mit und interessiert sich und freut sich und leidet mit den
Figuren, und den einen oder anderen ganz großen szenischen Knalleffekt
gibt es auch. Mag sein, daß die Hauptfigur eher einem literarischen Einfall
entsprungen als aus dem Leben gegriffen ist - dennoch ist es als Ganzes ein
wundervoller Film, der zumindest in meinem Herzen ein Licht entzündet hat.
Dietrich Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Hallam
Foe
GB
2007. R,B: David Mackenzie. B:
Ed Whitmore. K: Giles Nuttgens. S: Colin Monie. P: FilmFour, Lunar Films u.a.
D: Claire Forlani, Jamie Bell, Ciarán Hinds, Sophia Myles u.a. 95 Min.
Fox ab 30.8.07
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