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Halloween
- Die Nacht des Grauens
The
night he came back
Der
Horrorfilm erfreute sich in den 70er Jahren einer großen Beliebtheit,
da man durch dieses, dem Phantastischen verbundene Genre den Problemen der Realität
gut aus dem Weg gehen konnte und in einer immer stärker technisierten Welt
das Publikum nach Mysterien dürstete. Dies scheint zunächst paradox,
sind die Filme der 70er doch auch gleichzeitig für ihren sozialkritischen
Unterton und authentische Atmosphäre bekannt. Dies hinderte aber diverse
Regisseure nicht daran, Horror- oder Gewaltfilme zu drehen und trotzdem Aussagen
zur Gesellschaft zu machen. Der amerikanische Horrorfilm der 70er war somit
ein Genre, das in seinem Aussagegehalt bald Genregrenzen sprengte und den Kampf
gegen bzw. die Verdrängung von Problemen immer genauer deklarierte (extremes
Beispiel Romeros 1978 entstandener ZOMBIE).
Die Filme wurden dabei in der Wahl ihrer Mittel immer deutlicher, was natürlich
auch Schundproduktionen Tür und Tor öffnete. Es war somit nur eine
Frage der Zeit, bis diesem wilden Treiben ein Ende bereitet werden würde
und einer der Begründer war hierfür ausgerechnet John Carpenter, Avantgardist
und Wunderkind Hollywoods (wobei seine Filme natürlich keine Schundproduktionen
sind). Welche Lawine Carpenter mit dem hier besprochenen Film tatsächlich
auslösen würde, konnte ihm zur Entstehungszeit natürlich noch
nicht bewusst sein.
Haddonfield,
Illinois im Jahr 1963. Es ist der Abend vor Allerheiligen. Im Hause der Myers
befinden sich Judith, ihr sechsjähriger Bruder Michael und ihr Freund.
Die Eltern sind aufgrund des Halloweenabends ausgegangen. Die Kamera nimmt die
gesamte Zeit eine Ego- Perspektive ein, aus deren Sicht wir uns langsam dem
Myers-Haus nähern. Die Person / der Zuschauer bewegt sich auf das Haus
zu, geht hinein, nimmt sich aus der Küchenschublade ein langes Messer und
wartet. Als Judiths Freund das Haus verlässt, geht die Person/ der Zuschauer
hoch zu ihr ins Zimmer, setzt sich eine Maske auf (man sieht daraufhin alles
nur noch durch ebendiese), geht in Judiths Zimmer und sticht mit mehreren Messerstichen
wieder und immer wieder auf sie ein. Dann rennt er die Treppe, hinunter hinaus
auf die Straße, den Myers in die Arme.
Diese
nehmen dem Täter die Maske ab und jetzt sehen wir ihn endlich: Es ist der
sechsjährige Michael. Am Abend vor Halloween des Jahres 1978, 15 Jahre
nach der Tat, befindet sich Michael immer noch in einer psychiatrischen Anstalt.
Sein Fall gilt als hoffnungslos. Sein behandelnder Arzt Sam Loomis hat sich
derart in die Behandlung verbissen, dass er selbst schon leicht neurotisch wirkt.
Er ist der festen Überzeugung, dass Myers nicht heilbar ist und deshalb
für den Rest seines Lebens in Sicherheitsverwahrung gebracht werden muß.
Doch als Loomis bei stürmischer Nacht am Eingang der Klinik ankommt, erwartet
ihn eine unangenehme Überraschung. Myers ist entkommen. Nach 15 Jahren
ist urplötzlich Bewegung in ihn gekommen und Loomis ahnt, wohin er unterwegs
ist. Das Problem ist nur, dass weder die Anstaltsleitung noch die Polizei dem
Ganzen viel Bedeutung beimessen. Man erstellt zwar die obligatorischen Straßensperren,
aber hält Myers aufgrund seiner langen Untätigkeit nicht wirklich
für gefährlich. Loomis versucht somit, Myers alleine aufzuhalten.
Mit
HALLOWEEN- DIE NACHT DES GRAUENS sollte John Carpenter dem Horrorgenre einige
neue Seiten hinzufügen, aber gleichzeitig einige alte wieder heraufbeschwören.
Zum Einen haben wir da Michael Myers, der in einen schwarzen Overall gehüllt
ist und eine weiße, ausdrucks- und konturlose Maske trägt. Er ist
eine emotions- und sogar gesichtslose Figur. Er ist als Person eigentlich gar
nicht existent. Tatsächlich sehen wir sein Gesicht auch nur zweimal im
gesamten Film. Einmal in der Kindheit, hier bereits mit leerem Blick und dann
noch mal kurz im Showdown, doch nur für einen Moment. Er setzt sich seine
heruntergerissene Maske sofort wieder auf und wird damit wieder zu einem identitätslosen
Etwas. Wer oder was ist Michael Myers eigentlich? Dies ist die Frage, die Carpenter
beabsichtigt offen lässt, und damit betrat er Neuland. Der Killer ist eine
Figur, die erstmals ohne jede Motivation tötet. In jedem Serienkiller-
Film gibt es die eine oder andere Erklärung für seine Taten, aber
hier nicht. Man denke an PSYCHO, wo
der damalige lange erklärende Monolog des Psychologen sein musste, um das
Publikum zu beruhigen. Selbst in DER UMLEGER werden die Taten des Killers noch
in Verbindung mit Raubüberfällen gebracht. Doch Michael Myers hat
(scheinbar) keinen Grund zu töten. Weder sein Arzt, noch der Zuschauer
können hinter die Fassade dieser emotionslosen weißen Maske blicken.
Herleitungen aus seiner Kindheit gibt es nicht, 2/3 seines Lebens hat er in
einer Anstalt zugebracht. Loomis merkt man an, dass er droht, an dem Fall zugrunde
zu gehen. Mit einer Schusswaffe macht er sich auf den Weg nach Haddonfield,
versucht den dortigen Sheriff für sich zu gewinnen und schleicht in der
Halloweennacht um die Häuser. Er ergeht sich ausschließlich in verzweifelten
Tiraden gegen Myers, in denen er versucht, klar zu machen, wie gefährlich
dieser Mann doch ist. Als Mann sieht er ihn allerdings noch nicht mal an. Er
ist mehr ein Wesen, ein Etwas.
Die
dritte zentrale Figur ist Laurie Strode, ein ca. 16-jähriges Mädchen,
das recht schüchtern und verklemmt den schulischen Alltag bestreitet. Sie
befindet sich mitten in der Pubertät und ist sich ihrer sexuellen Entwicklung
kaum bewusst. Ihre Freundinnen sind in dieser Hinsicht wesentlich aktiver und
Laurie ist im Grunde das klassische Mauerblümchen. Eine der gängigen
Interpretationen besagt, dass ihre Jungfräulichkeit der Grund ist, warum
sie die Attacken von Myers überlebt. Sie zieht zwar mal mit am Joint, kann
damit aber doch nicht viel anfangen, sie ist gut in der Schule, hat keinen Freund,
gibt Nachhilfe und arbeitet als Babysittern: Sie ist rein. Die Anderen hingegen
kiffen, saufen und huren herum. Also ist Myers ein, im freudianischem Sinne,
vollstreckendes Über- Ich, dass die Taten der Teenager exekutiv bestrafen
muss. Hier treffen sich dann auch die alten und die neuen Seiten in der Darstellung
der Figur. Auf der neuen haben wir einen Myers als schattenartiges Wesen, das
nie näher spezifiziert wird, mordend durch den Film stapft und Teenager
mit seinem langen Messer absticht, auf der alten Seite, die Rückführung
des Bösen in die Monokausalität. Nachdem es im Horrorgenre fast ein
Jahrzehnt gedauert hatte, deutlich zu machen, dass das Böse ein dem Menschen
inhärentes Problem ist und wir für die schrecklichen Vorgänge
ein Stück selbst die Verantwortung tragen, wurde jetzt der Ursprung wieder
auf ein einzelnes Subjekt gelegt, welches es zu zerstören gilt.
Die
erwähnte gängige Interpretation, die Teenager würden ihren Tod
teilweise durch ihre Missachtung puritanischer Normen selbst verschulden, greift
nur partiell. Zum Einen standen diese Genrekonventionen für den Slasherfilm
vor HALLOWEEN- DIE NACHT DES GRAUENS noch gar nicht fest, zum anderen war Carpenter
sich ihrer auch nicht wirklich bewusst. Schon der Kritiker Norbert Stresau schreibt
es eher einer gewissen Naivität des Regisseurs zu, diese Komponente zwar
anzudeuten, selbst aber gar nicht erkannt und somit auch nicht ausgebaut zu
haben. Die Interpretation Myers sei die repressive Instanz, die der sexuellen
Entwicklung der Teenager Einhalt gebieten muss, lässt sich eher auf Epigonen
wie Jason Vorhees aus FREITAG DER 13. oder Freddy Krueger aus NIGHTMARE-
MÖRDERISCHE TRÄUME
anwenden, wurde dort doch das in HALLOWEEN- DIE NACHT DES GRAUENS vorhandene
Gerüst mit der Zeit zum Genrekonzept des „Slashers“ moduliert.
Die
Erwähnung dieser Epigonen führt mich wieder zu einer neuen Komponente,
die Carpenter mit seinem Film darstellen sollte, die ich allerdings nicht verraten
darf, da Leser, die den Film nicht kennen, dann mit einem Geheimnis vertraut
gemacht werden würden, welches einen der intensivsten und größten
Schlussschocks der Filmgeschichte beinhaltet. Leser, die den Film kennen, werden
wissen, was ich meine. Dieser Kniff (und als mehr kann man es ja eigentlich
auch nicht bezeichnen) fand Einzug in sämtliche Slasherfilme und macht
eigentlich Carpenters Aussage viel deutlicher, als sämtliche sexuellen
Interpretationen:
Michael
Myers IST das Böse. Dr. Loomis liegt mit seinen hysterisch anmutenden Geschichten
näher an der Wahrheit, als er selbst ahnen mag.
Wie
in allen frühen Carpenter-Filmen haben wir auch hier wieder die Angst vor
dem Nicht-Greifbaren. Michael Myers ist Überall und Nirgends. Eben stand
er noch hinter einer Tür oder spiegelte sich in einem Fenster, plötzlich
ist er verschwunden. Die Gefahr liegt manchmal nur wenige Zentimeter entfernt.
Michael kündigt sich durch schweres Atmen an, oder wir sehen nur einen
Schatten von ihm (das Atmen und die gleichzeitige Betrachtung aus der Sicht
des Killers sind ebenfalls Genremerkmale mit denen HALLOWEEN- DIE NACHT DES
GRAUENS Generationen von Horrorfilmen prägen sollte). So treu bleibt Carpenter
den 70ern wenigstens, dass er eine Bedrohung monokausalen Ursprungs zeigt, die
aber überall gleichzeitig stattfindet.
Die
Inszenierung des Ganzen ist auf formal hohem Niveau. Die Kameraführung
sowie der hypnotische Soundtrack dürften hier wohl am meisten herausstechen.
Die Ego-Perspektive wurde bis dahin noch in keinem anderen Film derart geschickt
und manipulativ gestaltet. Der Zuschauer ist durch die Perspektivwechsel ebenso
Wechseln in der Wahrnehmung unterworfen. Eben noch Täter, plötzlich
nur Zuschauer, dann auf einmal Opfer. Die Farbwahl ist sehr authentisch, die
Kulissen der Zeit entsprechend glaubwürdig. Die Gewalteffekte sind für
die Zeit erstaunlich zurückhaltend, entfalten ihren Schrecken mehr durch
die authentische Atmosphäre und Michaels Emotionslosigkeit. Die Schauspieler
füllen die ihnen zugedachten Rollen so gut sie können aus (im Vergleich
zu vielen anderen „Slashern“ Oscar-reif). Der Grund, warum ich dem Film ein
wenig skeptisch gegenüber stehe, ist allerdings nicht der von mir oben
aufgeführte über die inhaltliche Rückführung des Genres
in tradierte Formen, da mir diese Wirkung bei Betrachtung des Filmes egal ist,
sondern schlicht und ergreifend das löchrige Drehbuch. Es ist der Geschichte
deutlich anzumerken, dass sie oft Leerlauf hat. Carpenter versucht, diese Mängel
manchmal allzu plump mit inszenatorischen Mätzchen oder Effekthascherei
auszubügeln. Somit steuert der Film manchmal etwas zu erkennbar auf das
nervenzerreibende Finale zu. Wenn ich „nervenzerreibend“ schreibe, meine ich
das ernst. Die letzten 15 Minuten des Filmes sind für mich auch beim inzwischen
zwanzigsten Mal vor Spannung kaum auszuhalten.
Die
Darstellerriege wartet mit einer blutjungen Jamie Lee Curtis in ihrer ersten
Rolle auf, die sie hervorragend spielen sollte und die ihr auch als „Screaming-
Queen“ zu Weltruhm verhalf (die wahre „Screaming- Queen“ ist natürlich
Marilyn Burns, die durch BLUTGERICHT
IN TEXAS
unerreicht bleiben wird). Auf der anderen Seite haben wir einen altgedienten
Donald Pleasence, der in der Rolle des Loomis brilliert. Der Rest ist das übliche
Carpenter-Personal bestehend aus Charles Cyphers als Sheriff und Nancy Loomis
als Laurie Strodes Freundin.
Der
Film sollte ein gigantischer Erfolg werden und verhalf Carpenter zwei Jahr später
zu seiner ersten Großproduktion. Der Reingewinn des Filmes betrug über
70 Millionen Dollar bei lächerlichen 300 000 Dollar Produktionskosten.
Viele Big-Budget-Produktionen wären froh, wenn sie solch einen Reingewinn
verzeichnen könnten. Der „negative“ Einfluß, den der Film auf das
Genre haben sollte, konnte sich natürlich erst im Lauf der 80er offenbaren.
Wie viele Michael Myers und Jasons durften in dieser Zeit die Leinwand unsicher
machen und Teenager nach immer demselben Schema zum Tode befördern. Allein
Michael Myers bringt es auf sechs Fortsetzungen (der dritte Teil muss natürlich
ausgenommen werden) Selbstverständlich ist dies kein Punkt, der bei meiner
Bewertung mit einfließen kann, da er von Carpenter natürlich nicht
intendiert wurde. Im Abspann lässt sich übrigens ein Fehler finden.
Michael Myers ist 21 Jahre alt und nicht 23.
Der
Film ist sowohl im Kino als auch auf Video ungeschnitten. Es existieren zwei
Fernsehfassungen, von denen eine gekürzt ist, die andere ungekürzt.
Die gekürzte stammt noch aus der Zeit, als der Film eine FSK:ab18-Freigabe
hatte. Diese ist inzwischen aufgehoben worden. Der Film ist nun ungeschnitten
ab 16 freigegeben. Auf DVD erschien vor einiger Zeit eine Fassung, die in der
Handlung um einige unwichtige Details erweitert wurde. Carpenter erstellte sie
fürs Fernsehen, die den Film verlängern wollten, um mehr Werbung platzieren
zu können.
Marcos Ewert
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Halloween
- Die Nacht des Grauens
HALLOWEEN
USA
- 1978 - 91 min. – Horrorfilm - FSK: ab 16; f (fr.18; nicht feiertagsfrei) -
Verleih: Warner-Columbia - Erstaufführung: 6.7.1979 - Fd-Nummer: 22083
- Produktionsfirma: Falcon International
Produktion:
Debra Hill
Regie:
John Carpenter
Buch:
John Carpenter, Debra Hill
Kamera:
Dean Cundey
Musik:
John Carpenter
Schnitt:
Tommy Lee Wallace
Darsteller:
Donald
Pleasence (Loomis)
Jamie
Lee Curtis (Laurie)
Nancy
Loomis (Annie)
P.J.
Soles (Lynda)
Charles
Cyphers (Brackett)
Kyle
Richards (Lindsey)
Brian
Andrews (Tommy)
Nick
Castle
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