Kultur ist, wenn man verwirrt ist...
HAMLET – THE DENMARK CORPORATION
"Hamlet" oder nicht "Hamlet", das ist hier die Frage!In diesem Fall lautet
die Antwort: Lieber nicht! Dies hier ist eigentlich keine sinnvolle
Hamletinszenierung, eher ein Film über Hochhäuser in New York. Aber auch
die sind schon interessanter verfilmt worden, nämlich von Andy Warhol in
seinem 8 -stündigen Film "Empire", in dem nichts ausser dem Empire State
Building zu sehen ist.
Man könnte meinen, Shakespeare, schon weil Shakespeare drauf steht, sei profund,
kulturell wertvoll und tiefgreifend, und "Hamlet", in einer modernen Version, wenn er
auch noch von Ethan Hawke gespielt wird, der zeitgemässeste und glaubwürdigste
Shakespeare, den es zur Zeit geben könne. Aber eine Hamletverfilmung wie diese
muss dann doch nicht sein. Hamlets Krise wird hier als Freibrief dafür verstanden,
dass eine komplette Verfilmung kranken darf. Wer schon im Theater (oder
Brannagh-Filmen) Probleme damit hatte, Shakespeare-Dialogen zu folgen, ist hier zur
Kapitulation gezwungen. Denn Hamlet darf in diesem Film nicht nur eine Art
verwöhnter, aber gebrochener Rockstar sein, er darf auch wie ein solcher den
Original-Shakespeare-Text nuscheln, dass man nur jedes dritte Wort versteht, dabei
dreideutig in den kleinen Camcorder blinzeln, sein High-Tech-Tagebuch, dass man
eher den Eindruck hat, er habe ein kleines Gerät zur Selbstbefriedigung in der Hand,
als dass er sich auch mit grösseren Probleme kämpfen würde. Wie aber soll uns ein
abgeklärter, leicht grungiger junger Mann des Jahres 2000 wie ihn Ethan Hawke nicht
nur in diesem Film idealbesetzt verkörpert, ein Typus, dem a priori nichts
Menschliches fremd sein kann, auch nur halbwegs glaubwürdig die Erschütterung
darüber vermitteln, dass die Mutter mit dem Onkel im Lotterbett liegt- und das keine
paar Tage nach dem Ableben des ehrenhaften und monogamen Vaters? Wie soll er
uns von seinem Entsetzen über den Ausverkauf der Moral, über Korruption und
Machtmissbrauch auch nur ansatzweise überzeugen können, wenn doch seine figurelle
Optik als ein (dekadenter) Enkel jugendlicher Rebellen von James Dean über Jim
Morisson bis Kurt Cobain angelegt ist, also überhaupt nicht denkbar ohne eine
Epoche der Desillusion und eine Tradition der Jugendrevolte und Subkultur? Man
kauft ihm nicht ab, dass er entsetzt ist, bestenfalls seine (selbstmitleidige) Erstarrung ist
glaubwürdig, weil Rebellion im Jahr 2000 kaum mehr als eine modische Pose, ein
hipper Gestus ist, dem um Himmelswillen keine Taten folgen dürfen. Aber ist
narzistische, postmoderne Stagnation schon die Erklärung für das berühmte
"Hamlet-Problem", die Unfähigkeit zum Handeln? Und rechtfertigt sie den Zugriff auf
ein so komplexes Gebilde, welches sich, wie Shakespeares "Hamlet" , seit 4
Jahrhunderten, umstritten und umrätselt, behauptet hat?
Ein anderes Problem dieser Adaption fürs 21. Jahrhundert liegt zweifellos in der
kühnen Übernahme des Originaltextes. Wenn Urban-Karrieristen, die nie und nimmer
aus ihren Lofts und Penthouses herauskommen, die bestenfalls auf dem Friedhof mal
ein (fallendes) Blatt erblicken, die ganze Zeit in Naturmetaphern konversieren, als
seien sie auf dem Lande aufgewachsen, als hätten sie die Mysterien der Natur mit der
Muttermilch aufgesogen, dann ist das schon ein kräftiger Kontrast, so unerträglich
kräftig, dass er sehr schnell ermüdet. Und so agieren die Darsteller in verkrampfter
Hilflosigkeit mit Laptops, Mobiltelefonen und unhandlichen Pistolen an Shakespeare's
Texten entlang. Unglaubwürdig wirken sie von Anfang bis Ende, wahrscheinlich nicht,
weil "Hamlet"'s Thema: der Generationenkonflikt, die Unfähigkeit zur Rebellion,-
überholt wäre, aber weil Regisseur Almereyda offenbar keine Arbeit darin investiert
hat, diesen Stoff adäquat auf die Gegenwart zu übertragen, was bedeutet hätte, vor
allem die Sprache, aber auch die Geschichte für das Hier und Jetzt zu übersetzen. Erst
wenn das versucht worden wäre, wäre "Hamlet" ein interessantes Experiment
gewesen, eine Untersuchung der Frage, ob Shakespeare's Stoff auch heute noch
funktioniert. Sich allein darauf zu verlassen, dass "Hamlet" unbegrenzte Halbwertzeit,
dass Shakespeare zeitlose Texte geschrieben hat, also rigoros einer Poesie aus dem
Jahr 1600 zuzutrauen, dass allein sie die Geschichte trägt und überträgt, ungeachtet
der Widersprüche zwischen Monarchie und Hochkapitalismus, zwischen Brieftaube
und Handy, zwischen Gedankenfreiheit und Datenüberwachung, scheint bestenfalls
naiv. Bewusst auf diesen Riss zwischen historischem Text und turbokapitalistischem
Setting zu setzen, wirkt dann doch wie Kulissenschieberei, Tricktäuscherei und
Pseudobildungsdünkel. Offenbar ist dieses Verfahren aber noch raffiniert genug,
kulturbeflissenen Zielgruppen - man durfte es im Kino verfolgen- einen
widerspruchslosen, etwas verunsicherten Glanz in die Augen zu treiben, frei nach dem
Motto: Gerade weil ich nicht viel verstanden habe, muss ich soeben wohl grosse,
zeitgemässe Filmkunst erlebt haben.
Andreas Thomas / 2 von 10 Punkten
Hamlet
USA 2000, Regie/ Drehbuch (nach William Shakespeares Hamlet): Michael
Almereyda, Kamera:John de Borman, Schnitt: Kristine Boden, Musik: Carter
Burwell,Produzenten:Jason Blum, John Sloss, Darsteller: Ethan Hawke (Hamlet),
Kyle MacLachlan(Claudius), Sam Shepard (Geist), Diane Venora (Gertrude), Bill
Murray (Polonius),Liev Schreiber (Laertes), Julia Stiles (Ophelia), Karl Geary
(Horatio),Steve Zahn (Rosencrantz), Dechen Thurman (Guildenstern), et al., Länge:
123 Min., Verleih: Arthaus, Kinostart Deutschland: 23.11.2000
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: filmrezension.de