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Hana-Bi
Rache und Vergebung,
Krankheit und Schönheit, Gewalt und Liebe – das sind die Themen, die Takeshi
Kitano in „Hana-Bi“ darstellt. Ihre Inszenierung wird zu einem Drahtseilakt,
zu einer spannungsreichen Verbindung dieser Pole. Sie schließen sich dabei
jedoch nie aus, sind immer präsent und laufen letztendlich auf die absoluten
Extreme Leben und Tod hinaus. So kann Liebe manchmal Tod bedeuten und Tod Leben.
Diese zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind es, die Takeshi Kitano in
seinem explosiven Meisterwerk beschreibt.
Explosiv ist dabei
schon der Titel – „Hana-Bi“, die japanische Bezeichnung für die alljährlich
im Sommer stattfindenden Feuerwerke. Ein Kompositum, das sich aus den Worten
Blume („Hana“) und Feuer („Bi“) zusammensetzt und das eben diese Verbindung
zum Ausdruck bringt. „Feuerblume“ – das heißt Schönheit und Leben
auf der einen, aber auch Tod und Verzehrung auf der anderen Seite. Eine Metapher,
die sich durch Kitanos gesamten Film zieht, an dessen Ende diese beiden Stränge
zusammenlaufen und sprichwörtlich in einem (oder vielmehr zwei) Knall(s)
vereint werden.
Takeshi Kitano
spielt dabei, wie so häufig in seinen Filmen, die Hauptfigur. Er mimt den
Polizisten Nishi – einen Mann, der nach außen ein harter Knochen ist.
Hart zu sich selbst, wie zu anderen. Er wirkt oft ungerührt, fast gleichgültig,
gefühllos, brutal. Dennoch wird bald deutlich, dass er innerlich gebrochen
ist. Die Gewalt, die oft sein einziges Handlungsmittel darstellt, wird dabei
zu einem Schutzschild, das nicht nur für seinen Beruf überlebensnotwendig
ist, sondern in der sich vielmehr seine Unfähigkeit zur Aussöhnung
mit der Vergangenheit wie mit der Gegenwart artikuliert.
Seine Tochter verlor
er vor einigen Jahren, seine Frau Miyuki (Kayoko Kishimoto) ist unheilbar erkrankt.
Als die Ärzte nicht mehr weiterwissen, nimmt er sie mit nach Hause. Zwischen
ihnen, so meint man, besteht eine Kluft, eine emotionale Distanz – sie schenken
sich wenig Blicke, sprechen kaum oder gar nicht. Dennoch täuscht der Eindruck.
Es ist vielmehr ihre Art der Kommunikation, eine intime und zugleich zerbrechliche
Verständigung, auf der der Tod der geliebten Tochter wie ein dunkler Schatten
zu ruhen scheint.
Nishi selbst gibt
seinen Beruf bei der Polizei auf, nachdem die Festnahme eines Yakuzas in einem
Desaster endet. Ein Kollege, Tanaka (Makoto Ashikawa), wird erschossen, sein
enger Freund Horibe (Ren Osugi) landet im Rollstuhl. Diese Bilder sind ständig
präsent, durchziehen den ersten Teil des Films, in dem die Erzählstränge
ständig verwoben werden. Lange Momente der Stille und Ruhe sind dabei immer
wieder von der fehlgeschlagenen Festnahme durchbrochen. Diese kurzen, aber heftigen
Gewaltszenen explodieren dabei gewissermaßen wie Feuerwerkskörper
in einem dunklen Nachthimmel.
Um die Behandlung
seiner Frau bezahlen zu können, leiht sich Nishi selbst Geld von den Yakuzas,
die er früher aufs Härteste bekämpft hat und denen er noch immer
mit wenig Respekt entgegentritt. Als sein Freund Horibe von seiner Frau und
seiner Tochter verlassen wird und nur knapp einen Selbstmordversuch überlebt,
droht Nishis Welt endgültig auseinanderzubrechen. Dennoch bleibt er nach
außen hin unbewegt, „cool“. Dabei hat seine dunkle Sonnenbrille die Funktion
eines Filters, der ihm hilft, sein Seelenleben vor der Welt zu verbergen und
umgekehrt, so scheint es, die Dinge, die um ihn passieren, nicht in seine Seele
dringen zu lassen.
Schließlich
trifft Nishi eine Entscheidung. Um seine Schulden zu begleichen, überfällt
er eine Bank, wobei er sich als Polizist verkleidet, um unnötiges Aufsehen
zu vermeiden. Sein Plan geht auf. Die Beute dient dabei allerdings nicht allein
zur Schuldentilgung. Nishi unterstützt mit einem Teil Tanakas Witwe und
seinen Freund Horibe, der mittlerweile zu malen begonnen hat, um seinem Schmerz
Ausdruck zu verleihen. Nishi selbst macht sich auf eine Reise mit seiner Frau.
Eine letzte Reise.
Vor diesem Handlungsmuster
erscheint Nishis Bankraub nicht als die Verzweiflungstat eines Menschen, der
nicht mehr weiß, was er tut. Es ist vielmehr die Tat eines Mannes, der
beginnt, den Tatsachen des Lebens ins Auge zu sehen – es ist seine Art, Verantwortung
zu übernehmen. Dabei ist die „Schuldenbegleichung“ kein Mittel, um mit
der Vergangenheit ins Reine zu kommen – das kann er nicht, schon gar nicht mit
Geld. Aber die Reise mit seiner Frau ist zumindest der Versuch, Friede zu finden,
Aussöhnung. Bezeichnend dafür zieht es die beiden in die Natur. In
eine Welt zwischen Bergen und Strand, Schnee und Sand. In eine Welt der Weite
und der Schönheit.
Aber diese Schönheit
ist erneut durchzogen von Feuerzucken, von Gewalt. Yakuzas, die weitere Zinsen
eintreiben wollen, sind den beiden auf der Spur. Gegen Nishi, der die Reise
ganz sich und seiner Frau widmen will, haben sie jedoch keine Chance. Im weißen
Schnee der Berge Japans rechnet er blutig mit ihnen ab – erschießt einen
nach dem anderen kaltblütig. Ein letztes Mal wird sein Hass sichtbar, in
einem unnachgiebigen Ausbruch von Gewalt, der nur Rache und Vergeltung kennt.
Dieses verzehrende Feuer seines inneren Schmerzes, das er immer wieder nach
außen kehrt, macht es dem Zuschauer gleichzeitig schwer, Mitgefühl
zu entwickeln. Nishi ist kein Mann, der scheinbar grundlos vom Leben gestraft
ist – er tritt selbst als Richter und Rächer auf. Die Linie zwischen Polizist
und Verbrecher verwischen. Andererseits kann man ihn für sein Handeln nicht
verurteilen. Er erscheint tatsächlich als eine Figur, für die Gewalt
Ausdrucksmittel des Lebens ist.
Den Gegenpol dazu
bietet die Liebe zu seiner Frau. Sie wird nie offen gezeigt, manifestiert sich
nicht in großen Gesten oder Liebkosungen. Dennoch kann man bei dem Verhältnis
der beiden von einer tiefen Zärtlichkeit und Achtung sprechen. Man verbringt
die gemeinsamen Stunden beim Brettspiel, geht in einen botanischen Garten und
zum Angeln. Und schließlich zündet man nachts ein Feuerwerk, das
farbenprächtig die Dunkelheit durchzuckt. Hier erscheint das „Feuer“ als
eine Kraft, aus der Schönheit entspringt, so kurz und vergänglich
sie auch sein mag. Nishi selbst ist bei diesen privaten Momenten schüchtern,
vorsichtig, ein wenig tollpatschig. Es sind Momente der Liebe und des Lebens,
letzte Momente – dessen ist er sich bewusst.
„Hana-Bi“ ist ein
Film, der eine merkwürdige Zwischenwelt darstellt. Eine Welt zwischen Diesseits
und Jenseits, dem Frieden der Natur und der Gewalt des Menschen. Aber vor allem
ist es eine Welt, in der sich Assoziationen mit der tatsächlichen Handlung
verweben und eine Zwischenebene erschaffen, die dem Film seine einzigartige
Stimmung gibt. Die kleinsten Gesten tragen eine Bedeutung, die Stille erzählt
hier die Geschichte. Darin liegt auch Kitanos Stärke als Schauspieler.
Dieses oft ungerührte Gesicht – die rechte Gesichtshälfte ist seit
einem Motorradunfall, einem vermeintlichen Selbstmordversuch, gelähmt und
wird manchmal von einem fast beiläufigen Zucken durchfahren – unterstreicht
dabei die tiefe Trauer und Verlorenheit Nishis. Er trägt Gefühle in
sich, die man nicht in Worte fassen kann. Einzig sein Schweigen kann seinem
Schmerz Ausdruck verleihen.
Entsprechend sind
die Gemälde Horibes in den Handlungsstrang eingebettet. Es sind Bilder,
die das Multitalent Kitano nach dem angesprochenen Motorradunfall selbst malte,
um seine Erfahrungen verarbeiten zu können. Horibe malt Blumen, verbindet
ihre Blüten mit Körpern von Tieren und Menschen, gibt ihnen dadurch
eine tiefere Schönheit, aber auch Vergänglichkeit. Die Gemälde
sind seine Art des „Schweigens“, seine Art mit der Vergangenheit fertig zu werden
und seinen Seelenschmerz zu lindern. Je weiter er als Künstler reift, umso
bedeutungsvoller werden seine Bilder. In einem wunderschönen Herbstgemälde
sitzt ein Mann, neben ihm steckt ein Schwert im Boden. Ein anderes zeigt eine
Winternacht – das Schriftzeichen „Selbsthinrichtung“ durchbricht dabei in grellem
Rot das unschuldige Weiß des Schnees. Das Thema des Films visualisiert
sich in diesen bewegungslosen Bildern, in denen sich Schönheit und Frieden
mit einer Andeutung von Gewalt und Tod verbinden, und führt zur Ausbildung
einer merkwürdig harmonisch wirkenden Einheit und Gesamtheit, die auf die
letzte Szene des Films hinarbeitet.
Nishi und seine
Frau sind am Strand. Sein Ex-Kollege Nakamura (Susumu Terajima) hat die beiden
aufgespürt. Er kommt, um Nishi für den Bankraub und die Tötung
der Yakuzas festzunehmen. Doch Nishi bittet ihn zu warten. Zusammen mit seiner
Frau saugt er die letzten Eindrücke vom Strand auf. Vor ihnen versucht
ein kleines Mädchen, einen Drachen steigen zu lassen. Miukyi bedankt sich
bei ihrem Mann, bittet ihn um Verzeihung – das Schweigen, das sich wie ein roter
Faden durch den Film zog, kulminiert in diesen beiden letzten Worten. Mehr gibt
es nicht zu sagen. Die Kamera schwenkt auf die Weite des Meeres. Stille, die
Kamera ruht, nur Wellen brechen. Friede, Versöhnung, Schönheit. Ein
letztes Mal durchzucken zwei Schüsse die Ruhe.
„Hana-Bi“ ist ein
Film, der verstört, der verwirrt, der berührt. Er ist das (bisherige)
Meisterwerk eines großen Künstlers. Ein Werk, das zwei Geschichten erzählt, zwei Ebenen verbindet. Ein Werk voll Schmerz und Sehnsucht. Ein Werk für die Seele.
Die reinste Poesie.
Christopher
M. Schliephake
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: aus der tiefe des raums
Hana-Bi
HANA-BI
Hana Bi-Feuerblume
Hana-Bi
- Feuerblume
Hana-bi-Feuerwerk
Japan
- 1997 - 103 min. - Verleih: Pandora, Arthaus (Video) - Erstaufführung:
22.1.1998/14.8.1998 Video
Regie:
Takeshi Kitano
Buch:
Takeshi Kitano
Kamera:
Hideo Yamamoto
Musik:
Joe Hisaishi
Schnitt:
Takeshi Kitano, Yoshinori Ota
Darsteller:
Beat
Takeshi (Yoshitaka Nishi)
Kayoko
Kishimoto (Miyuki, Nishis Frau)
Ren
Osugi (Horibe)
Susumu
Terajima (Nakamura)
Tetsu
Watanabe (Tesuka, Schrottplatzbesitzer)
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