Hannibal
Es gibt sie, die vielbeschworenen Wendepunkte im Leben eines
Menschen. Für die FBI-Agentin Clarice Starling (Julianne Moore)
kam dieser Moment vor rund 10 Jahren auf der Jagd nach einem
psychopathischen Serienmörder, der Frauen die Haut abzog, um
sich daraus ein Kleid zu fertigen. Als das FBI feststellt, dass
es einfach nicht von der Stelle kommt, greift es verzweifelt
nach einem Strohhalm. Clarice Starling soll den Mörder mit Hilfe
des brillanten, aber ungeheuer gefährlichen Serienmörders Dr.
Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) fangen, der nach 14 Morden,
bei denen er seine Opfer teilweise verspeist hat, in einem
Hochsicherheitsgefängnis sein Dasein fristet.
Mit seiner Hilfe gelingt es der jungen FBI-Agentin, den Killer
zu fangen, doch zahlt sie einen hohen Preis: Dr. Hannibal Lecter
seziert ihre eigene Psyche derart messerscharf, dass er sich
auch Jahre später noch tief in ihrem Unterbewusstsein
festgesetzt hat. Zu allem Überfluß kann Lecter am Ende auch noch
aus seinem Gefängnis fliehen, und ist seitdem wie vom Erdboden
verschluckt.
Die Handlung von "Hannibal" setzt nun rund 10 Jahre später ein.
Aus verschiedenen Richtungen wird das Thema Hannibal Lecter
wieder auf die Agenda gesetzt, nachdem sich das FBI lange Zeit
scheinbar damit abgefunden hatte, dass der Massenmörder
unfassbar sein würde. Zum einen meldet sich Mason Verger (Gary
Oldman) beim FBI. Verger war das vierte Opfer von Lecter - und
das einzige, das überlebte. Verger ist ein körperliches Wrack,
nachdem der Massenmörder den reichen Schönling unter
Drogeneinfluss erst dazu brachte, sich selber die Gesichtshaut
abzuziehen und ihm dann das Genick brach. Verger überlebte
dennoch, war aber von da an furchtbar entstellt und an den
Rollstuhl gefesselt. Von Hass zerfressen plant Verger seit
Jahren seine grausame Rache an Lecter, wobei er das FBI benutzen
will, um seiner habhaft zu werden.
Doch auch Dr. Hannibal Lecter "zieht es wieder in die
Öffentlichkeit", wie er selber sagt. Der charismatische Serienmörder hat die meiste Zeit der letzten
10 Jahre recht zurückgezogen in Florenz gelebt. Doch mit einem
Brief an Clarice Starling bringt er sie wieder auf seine Fährte
- aber auch der florentinische Polizist Rinaldo Pazzi (Giancarlo
Giannini) heftet sich an seine Fersen, er will nämlich die von
Mason Verger ausgesetzte Belohnung von 3 Millionen Dollar
einstreichen.
Schon lange vor Erscheinen geriet "Hannibal", der Nachfolger
von "Das Schweigen der Lämmer", dem wohl bedeutendsten
Psychothriller der 90er Jahre, immer wieder in die Schlagzeilen.
Das lag hauptsächlich an der Schwierigkeit, die Romanvorlage von
Thomas Harris in ein handhabbares Drehbuch zu verwandeln. Ted
Tally, der das Drehbuch zum ersten Teil verfasst hatte lehnte es
ab, die Romanvorlage zu bearbeiten, und auch der Entwurf von
David Mamet (Drehbuch zu "Die Unbestechlichen" und "Wag the
dog") scheiterte: Sowohl Jodie Foster als auch Anthony Hopkins
missfiel das Script so sehr, dass sie nicht mitspielen wollten.
Doch nach einem neuen Drehbuch von Steven Zaillian (Drehbuch zu
"Schindlers Liste") und der Nachricht, dass Ridley Scott
("Alien", "Blade Runner", "Gladiator") den Regiestuhl beziehen
würde, konnte zumindest Anthony Hopkins überzeugt werden, den
Part des Hannibal Lecter erneut zu übernehmen. Jodie Foster
sagte jedoch endgültig ab, allerdings mit der Begründung, sie
sei zu sehr mit eigenen Filmprojekten beschäftigt. So wurde
Julianne Moore ("Magnolia" , "Das Ende einer Affäre")
verpflichtet, in ihre Fußstapfen zu treten. Sie bemüht sich auch
redlich, der gealterten Clarice Starling eigene Facetten zu
verleihen. Nach der Begegnung mit Lecter ist Starling tougher,
aber auch sehr verbittert geworden. Trotz der überzeugenden
Performance kann sie sich jedoch letztlich nicht aus dem
übermächtigen Schatten von Jodie Foster lösen.
Anthony Hopkins überzeugt einmal mehr als charmanter
Massenmörder, seine Figur bleibt jedoch gegenüber dem Vorgänger
seltsam blass. Das liegt allerdings vor allem an der
Romanvorlage und ihrer Drehbuchumsetzung. Denn "Hannibal" lässt
genau das Kernstück vermissen, das den Vorgänger so groß gemacht
hatte: Die brillanten, aber auch überaus nervenzehrenden
Psychospielchen zwischen Lecter und Starling. Nur in ein paar
Dialogen zwischen dem kannibalistischen Massenmörder und dem
gierigen Polizisten Rinaldo Pazzi blitzen diese Qualitäten kurz
wieder auf. Dies ist eigentlich wesentlich problematischer als
die in den Medien so intensiv geführte Diskussion über die
brutalen Gewaltdarstellungen, die dem Film in Deutschland eine
FSK 18 Freigabe bescherten.
Sicherlich, hier werden die Grenzen des Mainstreamkinos in
Sachen Ekelgrad einmal mehr stark angespannt, doch wenn diese
Szenen im Dienste einer großen Story stünden, hätte sich wohl
niemand aufgeregt. Dennoch ist gerade die vieldiskutierte
"Hirnszene" in ihrer perversen Konsequenz, die wirklich an die
Substanz des Zuschauers geht, eines der wenigen Highlights
dieses Streifen, der mit 131 Minuten auch viel zu lang geraten
ist. Gerade im Mittelteil stellt sich der Zuschauer oft die
Frage, wieso man hier nicht einfach 30-40 Minuten weggelassen
hätte, denn letztlich führt der Handlungsstrang um Rinaldo Pazzi
zu nichts.
Die Ironie an "Hannibal" ist, dass man den Filmemachern
eigentlich keinen Vorwurf machen kann, ausser dieses Buch
überhaupt zu verfilmen. Ridley Scott liefert zwar keine herausragende, aber dennoch eine
handwerklich überzeugende Arbeit ab, und auch die Schauspieler
bemühen sich redlich. Doch die ohnehin problematische
Romanvorlage bleibt halt eigentlich unverfilmbar, daran konnten
auch zwei prominente Drehbuchautoren nichts ändern. Was bleibt,
ist ein extrem harter Psychothriller, der durchaus seine starken
Momente hat, der aber erstens viel zu lang und zweitens
meilenweit von seinem prominenten Vorgänger entfernt ist.
Daniel Möltner
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
filmrezension.de
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
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Filmdaten
Hannibal (Hannibal)
USA 2001; Regie: Ridley Scott; Drehbuch: David Mamet, Steven
Zaillian; Darsteller: Anthony Hopkins (Dr. Hannibal Lecter),
Julianne Moore (Clarice Starling), Giancarlo Giannini (Rinaldo
Pazzi), Francesca Neri (Laura Pazzi), Alex Corrado (Piero
Falcione), Frankie Faison (Barney), Zeljko Ivanek (Dr. Cordell
Doemling), Boyd Kestner (Agent Méndez), Ray Liotta (Paul
Krendler), Ivano Marescotti (Carlo Deogracias), Gary Oldman
(Mason Verger); Produzent: Dino De Laurentiis, Martha Schumacher
(in den Credits als Martha De Laurentiis); Originalmusik: Klaus
Badelt, Hans Zimmer; Kamera: John Mathieson; Schnitt: Pietro
Scalia; Casting: Stephanie Corsalini; Länge: 131 Minuten; FSK:
nicht unter 18 Jahren