Happiness
Man
zweifelt vielleicht, ob man dankbar sein soll für Filme, die einen von
der Schrecklichkeit der Welt, und zwar restlos, überzeugen. Da sie damit
ja aber nicht recht haben, so alles in allem, muß es sich um Meisterwerke
handeln, die recht haben in allem, was sie zeigen, unrecht nur in dem, was sie
verschweigen. Aber das Verschweigen ist eines der großen Vorrechte der
Kunst, insbesondere der Meisterwerke, die darum für Thesen so gar nicht
taugen - und da 'Happiness' ein Meisterwerk ist, ist soweit alles im Lot.
Nichts
im Lot ist nur im Film - und zwar so gründlich wie ausnahmslos. Der stellt,
in loser narrativer Verknüpfung eine Reihe von Figuren vor, deren Leben
als pursuit of happiness auf nichts anderes hinausläuft als auf, mal mehr,
mal weniger erbarmenswürdiges, Scheitern. Im Mittelpunkt drei Schwestern,
deren eine das geborene Opfer (auch dann noch, wenn sie, wie zu Beginn des Films,
zur Täterin wird), deren andere ein Monster zwanghafter Wahrung des Scheins
von Normalität ist, deren dritte vom eigenen Erfolg als Schriftstellerin
zur Heuchelung eines rundum glücklichen Lebens sich gezwungen sieht, deren
einziger, so gar nicht abgründiger, Abgrund in der Erkenntnis totaler Oberlächlichkeit
ihres Daseins, und in der Sehnsucht nach Authentizität, ausgerechnet qua
Beschmutzung, besteht. Dazu ein übergewichtiger perverser Anrufer, ein
Kinderschänder, ein Junge, der sein Glück in der Masturbation sucht
und in einem denkwürdigen Schlussbild
auch findet - das ganze als Porträt der gegenwärtigen amerikanischen
Gesellschaft.
Der
Film ist keine Satire. Es
ist ihm, in den absurdesten und mitunter in ihrer Absurdität auch sehr
komischen Szenen, bitter ernst. Die Nähe zu den Figuren, die Genauigkeit
der Beobachtung, verhindert, bei aller Gnadenlosigkeit des Blicks, daß
man sich über sie erhebt. Man kann, darf, muß sich identifizieren
mit ihnen noch in den grauenhaftesten ihrer Regungen, man wird, so man nicht
von vorneherein alles Sich-Einlassen verweigert, gezwungen, ihr Leid auf sich
zu nehmen. Auf wunderbare Weise sind alle Mechanismen der Verdrängung,
des Wegschauens ausgehebelt. Der Film wagt es, einen den Blick des Kinderschänders
blicken zu lassen, er macht seinen Zuschauer zum Kinderschänder, indem
er jene Empathie, die in Fiktionen stets lenkbar ist, niemandem verweigert.
Das Urteil ist suspendiert, wird an der Genauigkeit der Details sichtbar als
die Simplifzierung, die es ist.
Selbstverständlich
ist der Film dabei manipulativ, aber er nutzt seine Möglichkeiten zu einem
Hollywood ganz entgegengesetzten Effekt: wenn uns Hollywood zum Träumen
wider besseres Wissen verleitet, zwingt uns 'Happiness' zur genauen Wahrnehmung
wider besseres Wünschen, gegen alle moralischen Gewissheiten, zu denen
wir uns hinterher erst mühsam und nicht ohne Erschütterung wieder
aufrappeln. In diesem Sinne ist der Film von einer Wahrheit, die sich nicht
auf Thesen bringen läßt, ja, die als These sich ins Unrecht setzt.
Die Wahrheit dieses Films liegt in seinen momentanen Evidenzen, in jener Art
von Verhältnis zur Wirklichkeit also wie sie allem Philosophieren und Analysieren
und Kritisieren versagt bleiben muß. Ein Meisterwerk, wie gesagt
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Todd Solondz: Happiness (USA 1998)