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Happiness
Sex
is crime
Als
die Nouvelle Vague so ziemlich am Ende war, schenkte sie in Gestalt von Agnès
Varda dem Publikum als Akt der Versöhnung den Film „Le Bonheur“ (deutscher
Titel: „Glück aus dem Blickwinkel des Mannes“), das war 1964. Es ist ein
völlig unironischer Film (deshalb ist der deutsche Titel auch irreführend)
über das schwerste Thema überhaupt, Glück als positives Phänomen.
Natürlich ging auch das daneben, kein Wunder, in Zeiten, wo Glück
nicht nur mit Affirmation assoziiert, sondern von ihr ersetzt wurde. Der richtige
Gassenhauer ist aber selbstverständlich nach wie vor das Glück, nicht
die Affirmation. Manifeste gibt es trotzdem nur für letztere, sie ist leichter
zu haben, leichter beschreibbar, sie lässt sich sogar politisch instrumentalisieren,
muss sich aber deshalb den Schuh anziehen, doch nur ein Notbehelf zu sein.
In
der letzten Dekade haben wir uns nicht nur im Kino, aber vor allem da, angewöhnt,
Glück mit Sex gleichzusetzen. Das ist nicht ganz neu, aber die 90er Jahre
haben das nur ganz explizit gemacht. Ohne Sex kein Glück. Der sexologische
modus tollens könnte etwa so lauten: Wenn X Sex hat, ist er/sie glücklich.
X ist nicht glücklich. Also hat X keinen Sex (gehabt). Manche Gestalten
in Todd Solondz’ Film sind allerdings so stumpf, dass sie nichts merken, wenn
sie Sex haben. Die meisten hier haben zwar Sex, aber allein, oder sie versuchen
es alleine, sind aber noch nicht so weit – wie der elfjährige Bobby, der
so ehrlich und naiv ist, seinen Klassenkameraden gegenüber zuzugeben, dass
er noch nicht gekommen ist, und dann seinen Vater fragen muss, ob er nicht krank
sei. Das Wort krank schwirrt einem den ganzen Film lang im Kopf rum, aber wer
jetzt genau oder ausschließlich krank ist oder macht, weiß man auch
am Schluss nicht, obwohl böse Sachen passiert sind. Bobbys Vater, der auch
Bob heißt, ist Psychotherapeut, selbst in Behandlung und weniger in seine
Frau verliebt als in kleine Jungs. In seinen Träumen säubert er Parks,
allerdings mit einem Maschinengewehr, meist bringt er sich danach um, nicht
aber in seinem letzten Traum. Übersetzt in die Wirklichkeit heißt
das, dass er anfängt, sich zu outen, er kauft jetzt nicht nur Heftchen
mit kleinen Jungs, zu denen er sich in seinem Auto einen runterholt, er wird
aktiv und vergewaltigt zwei Klassenkameraden seines Sohns. Ob Bob junior sich
das so richtig vorstellen konnte, als ihm sein Vater erzählt, dass er kleine
Jungs gefickt hat? Oder ist er einfach nur verzweifelt, dass Daddy ihn ausgespart,
verschmäht und sich nur einen runtergeholt hätte?
Mit
purem Sex ist es nicht getan, das weiß auch Helen, eine Schwester von
Bobs Frau Trish. Sie ist als Schriftstellerin erfolgreich, kriegt jeden Mann
ins Bett, merkt aber, dass sie nicht „um ihrer selbst“ willen geliebt wird.
Joy, die andere Schwester, hat mit dem Verlierer-Syndrom zu kämpfen. Das
heißt, dass sie unglücklich ist, völlig unabhängig davon,
ob sie Sex hat oder nicht. Die sympathische, aber wohl völlig unrealistische
Position, glücklich zu sein, unabhängig davon, ob man Sex hat oder
nicht, kommt in diesem Film nicht vor. Aber vielleicht ist Bob junior ein Kandidat
dieses Utopischen, denn am Ende „kommt“ er, aber man sieht es ihm nicht an,
und wenn der Hund alles aufgeleckt hat, ist eigentlich gar nichts passiert,
eine Art unbefleckter Ausstoß, und wenn dann auch noch Frauchen nichts
riecht, wenn sie ihrem Liebsten, also dem leckermäuligen Hund, die Lippen
reicht, dann ist eigentlich das Urteil über den Sex gesprochen, und wir
dürfen gespannt sein auf die nächsten logisch-sexologischen Übungen,
die uns noch beschert werden.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
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diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
HAPPINESS
von
Todd Solondz, USA 1998, 139 Min.
mit
Jane Adams, Dylan Baker, Lara Flynn Boyle, Ben Gazzara, Jared Harris, Philip
Seymour Hoffman
Start:
18.03.99
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