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Happiness
TRIEBTÄTER
IN NEW JERSEY
Mit
»Happiness« setzt Todd Solondz seine Untersuchungen über Familie,
Sexualität und Unglück in Suburbia fort
Es
gibt eine hübsche Geschichte von einer amerikanischen Kollegin: Weil ihre
Kinder ins Schulalter kamen, beschloß sie vom gefährlichen und schmutzigen
New York fort und in die sonnige und saubere Provinz zu ziehen. New Jersey,
zum Beispiel, könnte der richtige Platz für eine Familie sein. So
machte sie sich mit ein paar Makler-Adressen auf, dort ein passendes Haus zu
finden. Ein Zwischenhalt wurde, wie es bei Filmkritikern so üblich ist,
für einen Kinobesuch genutzt. Es gab „Happiness" von Todd Solondz.
Als der Film zu Ende war, packte die Kollegin ihre Familie ins Auto, kehrte
nach New York zurück und schwor, überall auf dieser Welt nach dem
Glück zu suchen. Nur nicht in New Jersey. „Manche Leute mögen es amüsant
finden, sich über New Jersey lustig zu machen -", sagt der Regisseur,
„ich nicht. Ich bin dort aufgewachsen".
Und
wie genau Solondz kennt, wovon er da erzählt, das weist sich in jeder Einstellung,
in jedem Ausstattungsdetail, in jeder Rolle seiner multi-character-Komödie
aus. „Happiness" führt in eine auf den ersten Blick typische Vorort-Familie,
gewiß mit den üblichen Macken und Versagungen, aber doch von unerschütterlichem
Optimismus und dem Glauben, in der besten aller möglichen Welten zu leben.
Nur ganz allmählich schleicht sich der Horror ein, der keine Stephen King-Monster
benötigt. Trish ist eine Mustergattin und perfekte Hausfrau, Tag für
Tag gleicht sich ihr Heim mehr dem Ideal von „Better Homes and Gardens"
an. Sorgen macht sie sich allenfalls über ihre Schwester Joy, eine verhuschte
Lehrerin, die mit dreißig noch nicht verheiratet ist und in provinziell
versandeten Hippie-Träumen lebt. Helen, die andere Schwester, ist das genaue
Gegenteil: eine erfolgreiche Schriftstellerin, selbst- und designbewußt,
in einer Krise zwar, aus der aber nur eine neue Beziehung führen kann:
etwas ganz ungewöhnliches soll es diesmal sein. Trishs Gatte Bill, ein
erfolgreicher Psychologe, wird unterdessen nicht nur von furchtbaren Gewaltphantasien
gepeinigt (er sieht sich mit der Pump-Gun ein Blutbad unter Park-Besuchern anrichten),
sondern auch von einem verzweifelten Verlangen nach Jungen im Alter seines elfjährigen
Sohnes. Der hat nur einen Gedanken im Kopf: Daß es ihm endlich kommt.
Joy gerät an einen brutalen russischen Taxifahrer, der sie nach dem Geschlechtsverkehr
ausraubt, Helen an einen übergewichtigen Büroangestellten, dessen
große Leidenschaft obszöne Telefonanrufe und Pornomagazine sind,
und der seinerseits von einer Nachbarin mit Mordobsessionen verfolgt wird. Außerdem
will sich gerade der Vater der drei Schwestern von ihrer Mutter scheiden lassen,
niemand versteht recht, warum. Trotz alledem versucht die Familie dem Chaos
der Gefühle und Beziehungen standzuhalten. Aber dann vergeht sich Bill
an einem Schulfreund seines Sohnes, nachdem er diesen und seine Familie mit
Schlaftabletten betäubt hat. Die Sache wird ruchbar, Bill verhaftet und
der Rest der Familie flieht vor den Anfeindungen der Nachbarn in eine andere
Gegend. Schon plant man neue Beziehungen, und auch dem Jungen ist es, beim Anblick
der schönen Nachbarin, endlich gekommen, was er der Familienrunde stolz
verkündet.
„Happiness"
treibt mit dem Schrecken seinen Spaß, ohne seine Figuren zu verraten.
Die kunstvoll miteinander verwobenen Episoden weisen stets über eine morbide
Sitcom hinaus, geben mehr noch als einen Einblick in die sexuelle Ökonomie
der Mittelklasse von New Jersey ein Bild vom Zustand des Begehrens und der Sehnsucht
in den neunziger Jahren. Es geht wirklich um das Glück, und darum, warum
es nicht zu haben ist. Sexualität ist nicht der Ausdruck der Liebe, sondern
der Störfall im perfekt durchorganisierten Alltag. Das Begehren richtet
sich nicht irrtümlich, sondern strukturell auf das falsche Objekt. Der
äußere Schein ist nicht nur Fassade, sondern die Ursache dafür,
daß sich die Sehnsucht nach dem Glück in Triebtäterschaft verwandelt.
Solondz führt Modelle und ihr Scheitern vor, er verdammt seine Figuren
in ihrer Suche nach dem Glück, das ihnen ihre gesellschaftliche Organisation
vorenthalten muß, und das sie selber tatkräftig in Unglück kehren,
aber zugleich liebt er seine Personen, gibt ihnen Raum, sich gegen die Verurteilung
zur Karikatur zu wehren. Bei all dem grotesken, monströsen und auch unapetittlichen,
was da geschieht, verweigert er ihnen nicht das Mitleiden. Und über all
dem klingt Joys Sehnsuchtslied von der „Happiness", unschuldig und obszön,
unerschütterlich unwissend. Das Lachen bleibt einem, wie man so sagt, im
Halse stecken. New
Jersey ist überall.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: strandgut.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
HAPPINESS
von
Todd Solondz, USA 1998, 139 Min.
mit
Jane Adams, Dylan Baker, Lara Flynn Boyle, Ben Gazzara, Jared Harris, Philip
Seymour Hoffman,
Schwarze
Komödie
Start:
18.03.99
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