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Happy
Family
Patchwork Global
“Krieg ist gut für meine Familie“ sagt Heesook
Sohn irgendwann fast nebenher in ihrem Dokumentarfilm; eine von vielen unangestrengten
Notizen, die die gebürtige Südkoreanerin auf ihrem Trip in ihren „Familienroman“
macht. Nach Los Angeles, New York, Seoul und Berlin hat es die Familie verschlagen
und wie ihre Wohnorte, so zerstoben und fremd sind sich mitunter auch die Familienmitglieder.
Sichtbarer Ausgangspunkt für die Rekonstruktion eines Familiengedächtnisses
ist ein altes Schwarzweißfoto von der koreanischen Familie kurz vor dem
Auseinanderbrechen, das Problem einer Fotoerneuerung nach über dreißig
Jahren ist eben das der Familie: Schon lange hat sie eine gemeinsame Geschichte,
eine Identität verloren. Was bleibt, sind Fragmente, Einzelschicksale und
Einzelgänger mit gemeinsamen Spuren, Fäden, die in die Vergangenheit
reichen, zurück zum koreanischen Patriarchat, zu dessen Erfolg und dessen
Versagen und dessen kindlichem Trotz.
Am bereitwilligsten stand der Regisseurin ihr Vater
vor der Kamera, beim Golfen im Wohnzimmer („das Parkett hat schlimme Akne“ von
des Vaters Golf-Übungen), beim Nickerchen direkt nach dem Frühstück,
beim Ignorieren der Diät (fetttriefendes Rindfleisch ist sein Leibgericht),
bei der Selbstinszenierung (ein riesiges Porträt des Vaters als der große
Boss ziert das väterliche Wohnzimmer, jovial lächelnd).
Der ältere Bruder in Korea sieht seinem Vater
wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Er schlingt das Essen genauso in sich hinein,
und der jüngere, smartere Bruder in den USA golft im Wohnzimmer, hat das
väterliche Geschäft, die Organisation der Verlegung von US-Truppenstützpunkten
(die Familie ist sichtbar wohlhabend dadurch geworden) übernommen, und
er nimmt seine kleine Tochter so lange in den Schwitzkasten, bis sie anfängt
zu weinen. „Das ist gemein, Vater hat das auch immer mit mir gemacht“, sagt
Heesook. Aber ihr Bruder meint sowieso, dass koreanische Männer Arschlöcher
sind! Übrigens sei es clever von ihr, eine Banane geworden zu sein. Außen
gelb und innen weiß. Korea, USA, Deutschland, Die Geschichte der Familie
Sohn ist auch eine Geschichte der Assimilationen, eine Frage nach Kontinenten
und Identitäten.
„I’ve got a
happy family“, sagt der Vater am Pool. „Meine
Söhne sind erfolgreiche Geschäftsmänner geworden, und meine Töchter
tüchtige Hausfrauen.“ Die unablässig die Böden polierende (der
Vater rutschte darauf unweigerlich aus, wenn er damals betrunken nach Hause
kam) Mutter in Seoul ist inzwischen an Krebs erkrankt, aber sie muss sich um
ihren Ältesten kümmern, der noch immer bei ihr lebt und der sich immer
noch Geld vom Vater leihen muss, diesmal für einen repräsentativen
Wagen. Er muss schließlich wohlhabend wirken, denn wie soll er sonst als
Geschäftsmann ernstgenommen werden? Der Vater ist den Tränen und dem
Infarkt nahe. Welche Frau will schon einen wie ihn? Die ältere Schwester,
eine fast Unbekannte für Heesok, wirkt bis heute von ihrer Kindheit traumatisiert.
Sie schildert, wie groß die Last der von den Eltern auferlegten Pflichten
war, dass sie sich damals in Korea jeden Abend in den Schlaf geweint hatte,
ob Heesook das nicht gewusst habe? Koreanisches Familienglück hat seine
zwei Seiten, so scheint es. Die Glücksformel des Vaters lautet: Glück
ist gleich Wohlstand, und der beruht auf Leistung und dem geduldigen Streben
nach Harmonie, genauer: männlichem Ehrgeiz, männlicher Selbstherrlichkeit
und weiblicher Pflichterfüllung und Entbehrung.
Heesook, das Nesthäkchen, die Filmmacherin,
wird von ihrem amerikanischen Bruder gefragt: „Und wann wirst du denn endlich
eine Familie gründen - oder wenigstens einen ordentlichen Beruf lernen?“
– „Vielleicht wollen diesen Film ja viele Leute sehen“, antwortet sie. - „Was
aber ist, wenn niemand merkt, dass du Talent hast?“ hakt er - sehr diplomatisch
und sehr ungläubig – nach.
Das wäre schade, antwortet der Filmkritiker,
denn ich hab’ was dazu gelernt. Über Ost und West, deren historische Annäherung
und über eine kriegerische - und für manch einen Gewinn bringende
- Gegenwart. Mit ihrer Abschlussarbeit bei der Deutschen Film- und Fernsehakademie
ist Heesok Sohn ein kurzweiliger, ironischer, amüsanter, intelligenter,
vielschichtiger, ein bisschen trauriger und stets aufmerksamer Film gelungen.
Ein Patchwork-Film über eine Patchworkfamilie, ein Familien-Bio-Pic, das
beweist, dass die pure Wirklichkeit dem Kino Settings und Geschichten bietet,
die viel spannender und vielsagender sein können als all deren inszenierter,
kalkulierter Abklatsch aus Hollywood. Vorausgesetzt man begibt sich mitten hinein,
so wie „Happy Family“ es tut.
Andreas Thomas
Happy
Family
Deutschland 2004 - Regie: Heesook Sohn - Dokumentarfilm - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 68 min. - Start: 6.4.2006
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