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Harold
und Maude
„I
should like to be a sunflower most of all”
„Well,
if you want to sing out, sing out
And
if you want to be free, be free
'Cause
there's a million things to be
You
know that there are
And
if you want to live high, live high
And
if you want to live low, live low
'Cause
there's a million ways to go
You
know that there are.” (1)
Todessehnsucht
scheint diese Geschichte zu leiten, eine merkwürdige, skurrile Sehnsucht
nach dem Morbiden, wenn der gerade mal 18jährige Harold (Bud Cort) seinen
eigenen Tod inszeniert, nicht nur für seine Mutter, Mrs. Chasen (Vivian
Pickles), sondern auch für sich selbst. Wenn er zeigt, demonstriert, wie
es ist, am Strick zu enden, im Pool zu ertrinken, im Gemetzel zu sterben, zu
explodieren und so weiter. Seine Mutter ist nicht nur das, was man dominant
nennen könnte, obwohl dieser Begriff ihre Persönlichkeit nicht gänzlich
erfasst, sondern auch reich und eingespielt. Eingespielt auf das Leben, wie
es zu laufen hat, wie es sein muss, und sie tut alles, um es so werden zu lassen,
wie es sein soll, und nicht so, wie es nicht sein darf, natürlich vor allem
auch für ihren Sohn Harold. Ein Vater fehlt. Der Film tut so, als habe
es in diesem Haus von Harold und seiner Mutter nie einen Vater gegeben. Harold
scheint das Kind unbefleckter Empfängnis zu sein. Und tatsächlich
wirkt Mrs. Chasen so unnahbar, so rein, so unbefleckt, dass für einen Mann
und Sex in diesem Haus bei dieser Frau gar kein Platz wäre.
Das
Haus der Mrs. Chasen ist ein totes Haus. Mrs. Chasen, die die geschickten, aber
ungefährlichen Selbstmord-Inszenierungen ihres Sohnes, der keine Freunde
hat und mit sich nichts anzufangen weiß, längst als Dumme-Jungs-Streiche
abgetan hat und entsprechend kommentiert, ist eine dieser lebenden Toten, die
wir sonst (fast) nur aus Horrorfilmen kennen. Mrs. Chasen ist eine reale lebende
Tote, wie wir sie, wenn wir uns umschauen und genau hinsehen, an allen Ecken
und Enden finden könnten. Eine, für die das Leben zu Ende war, bevor
es so richtig begann, weil ihre festen Vorstellungen vom Leben sie beherrschen.
Harold tut im Grunde nichts anderes, als dies durch seine Selbstmord-Inszenierungen
zu kommentieren.
„Harold
und Maude” ist in gewisser Weise ein einziger großer Kommentar über
das Leben und den Tod als den unzertrennlichen Zwillingen menschlichen Daseins
– aber auf eine skurrile, traurige und vor allem äußerst komische
Art. „Was gibt dir eine besondere Befriedigung?” fragt der Psychiater (G. Wood),
zu dem Harold regelmäßig zur Therapie geht, den jungen Mann „Ich
gehe zu Beerdigungen”, antwortet Harold. Dieser Psychiater gehört zu jenem
Schlag Menschen, die glauben, in schlauen Büchern stehe, wie das Leben
zu meistern sei. Frohgesinnt, von sich selbst bis in die letzten Winkel seines
Daseins überzeugt, geht er ans Werk. Harold antwortet brav oder gar nicht,
oder er schläft einfach ein, als der Mann vor der Couch zum „Wesen der
Dinge” vorgestoßen zu sein glaubt.
„You
can do what you want
The
opportunity's on
And
if you can find a new way
You
can do it today
You
can make it all true
And
you can make it undo
you
see ah ah ah
ist
easy ah ah ah
You
only need to know
Well
if you want to say yes, say yes
And
if you want to say no, say no
'Cause
there's a million ways to go
You
know that there are.” (1)
Und
dann? Dann taucht Maude (Ruth Gordon) auf. Maude ist fast 80, aber sie benimmt
sich, als wäre sie so alt wie Harold – allerdings mit all der Erfahrung
im Hintergrund, die ihr das Leben mitgab. Maude stiehlt Autos, Maude rast wie
eine Irre durch Stadt und Land, und vor allem Maude scheint das Leben selbst
zu sein. Maude sammelt, hat gesammelt, alle möglichen Dinge – zum Riechen
zum Beispiel. Und sie lässt Harold riechen, die Welt schnuppern lernen,
fühlen lernen und vor allem zeigt sie ihm, worauf es ankommt und worauf
nicht. Aber Maude ist nicht eine jener Pädagogen – man könnte auch
sagen: Menschenschnitzer –, die wiederum nur ihre vorgefassten Lehrbuchmeinungen
preisgeben. Nein. Maude erzählt und Maude lebt, wie sie schon immer gelebt
hat – und das begeistert diesen jungen todessehnsüchtigen Mann Harold,
der plötzlich merkt, dass es noch etwas anderes gibt als Friedhöfe.
Und
der auch merkt, wie einfach es ist, seiner Mutter und ihren Plänen den
Garaus zu machen. Drei designierten Bräuten (Judy Engles, Shari Summers,
Ellen Geer) zeigt er, was eine Harke ist – selbstredend durch Selbstmord-Inszenierungen
bzw. eine abgehackte Hand. Und seinem Onkel Victor (Charles Tyner), der nicht
nur Soldat, sondern auch Militarist ist und der auf Wunsch von Mrs. Chasen Harold
in den Militärdienst einführen soll, hauen die beiden gründlich
übers Ohr, indem sie ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
Wie
viel schöner ist es doch, bei Maude Ingwerpastetchen zu essen und Hafergrastee
zu trinken, mit ihr den Sonnenuntergang zu genießen oder einem Polizisten
(Tom Skerritt) das Motorrad zu klauen, um ihn los zu werden, ihre skurrilen
Bilder zu betrachten oder gemeinsam ein in der Stadt in einem dieser großen
Töpfe vor sich dahinsiechendes Bäumchen zu retten, indem man es irgendwo
im Wald anpflanzt. Maude hat eine Lebensphilosophie entwickelt, die dem carpe
diem sehr nahe ist, sich in ihm aber nicht erschöpft. Die eingravierten
Zeichen auf ihrem Arm lassen ahnen, wann Maude nach Amerika gekommen ist und
was sie erlebt hat – auch wenn Harold dies vielleicht nicht ahnt.
„And
if you want to be me, be me
And
if you want to be you, be you
'Cause
there's a million things to do
You
know that there are
Well,
if you want to sing out, sing out
And
if you want to be free, be free
'Cause
there's a million things to be
You
know that there are
You
know that there are
You
know that there are
You
know that there are
You
know that there are.”
Man
könnte „Harold und Maude” mit den üblichen Kategorien interpretieren
und einordnen: Maude, die Ersatzmutter und zugleich die erste Frau in Harolds
Leben, bei der er spürt, was Liebe ist – und alles andere in diese Richtung.
Aber der Film ist mehr. Vor allem kann man, auch in Anbetracht all seiner Skurrilität,
Exzentrizität und Komik, kaum beschreiben, was hier vor sich geht – aber
man kann es vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen erfühlen. Von der
Begegnung der beiden so scheinbar ungleichen Hauptpersonen des Films geht eine
unglaubliche Lebenskraft aus, unterstützt durch die längst allen bekannte
Musik Cat Stevens und die wunderschönen und wunderbaren Bilder John A.
Alonzos von Mori Point, Santa Cruz Beach usw.
Ruth
Gordon (1896-1985), bekannt u.a. aus Polanskis „Rosemary’s
Baby”
(1968), spielt eine Rebellin, eine, die man nur gern haben kann, eine Rebellin
des Lebens, das sie liebt und von dem sie sich zugleich nicht unterkriegen lässt.
Ruth Gordons Maude gehört zu jenen Menschen, die Hass, Neid, Boshaftigkeit
und ein Leben des Auf-der-Stelle-Tretens längst hinter sich gelassen haben,
die jeden Moment ihres Lebens, sei er auch noch so unscheinbar, genießen
können, und zugleich doch mit dem Tod eine Vereinbarung getroffen haben.
Maude hat auch ihre Prinzipien, aber keine dogmatischen, keine, die in Lehrbüchern
zu finden sind, sondern Ergebnis der Summe ihrer Erfahrungen ist. „Wie sehr
die Welt doch ihren Käfig liebt”, sagt sie an einer Stelle, und was sie
meint, dürfte spätestens dann jedem klar sein. So traurig der Film
endet, so glücklich endet er gleichzeitig, nicht nur für Harold.
Bud
Cort, zuletzt als Erwachsener zu sehen etwa in Ed Harris „Pollock”
(2000), spielt einen teils gelangweilten, teils lebensmüden, aber eigentlich
lebenshungrigen jungen Mann, der nicht weiß, wie er es anstellen soll,
mit seinem Leben etwas anzufangen. Manchmal etwas schüchtern wirkend, dann
wieder wild entschlossen und überlegen, überzeugt Corts schauspielerische
Leistung vollauf. Zu den schönsten Szenen mit ihm gehört für
mich jene, als er eine von seiner Mutter ausgesuchte Braut durch eine weitere
Selbstmord-Inszenierung vertrieben hat und überlegen lächelnd in die
Kamera schaut, während ihn seine Mutter empört anblickt.
Und
auch Vivian Pickles leistet als Mutter Harolds grandios erschreckende und komische
Arbeit.
„Harold
und Maude” entstand in einer Zeit rebellischen Aufbegehrens, und in der Person
der Maude scheint diese Rebellion an vielen Stellen durch. Doch zugleich gelang
Hal Ashby (1929-1988; „The Landlord”, 1970; „Das letzte Kommando”, 1973; „Shampoo”,
1975; „Willkommen, Mr. Chance”, 1979) ein Film, in dem das Innehalten, das Nachdenkliche,
das Zurückschauen und das Vorwärtsblicken einen enormen Raum einnimmt.
Ein Film eigentlich, den jeder einmal gesehen haben muss.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
(1)
Cat Stevens: „If You Want to Sing Out, Sing Out”
Harold
und Maude
(Harold
and Maude)
USA
1971, 91 Minuten
Regie:
Hal Ashby
Drehbuch:
Colin Higgins
Musik:
Cat Stevens
Director
of Photography: John A. Alonzo
Schnitt:
William A. Sawyer, Edward A. Warschilka
Produktionsdesign:
Michael D. Haller
Darsteller:
Ruth Gordon (Maude), Bud Cort (Harold), Vivian Pickles (Mrs. Chasen), Cyril
Cusack (Glaucus), Charles Tyner (Onkel Victor), Ellen Geer (Sunshine Doré),
G. Wood (Psychiater), Judy Engles (Candy Gulf), Shari Summers (Edith Phern),
Tom Skerritt (Polizist auf Motorrad), Eric Christmas (Priester)
Internet
Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0067185
©
Ulrich Behrens 2004
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