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Das
Haus der schlafenden Schönen
Als eine Art Meditation charakterisiert Kogi, ein
älterer, distinguierter Herr, seinem besten Freund Edmond das titelgebende
Etablissement. Edmond hat bei einem Unfall, der auch ein Selbstmord gewesen
sein könnte, seine Frau und sein Kind verloren. Dies hat den älteren
Mann derart aus der Bahn geworfen, dass er nachts nicht mehr schlafen kann und
er sein Zuhause flieht. Sein Lebensmut hat ihn, den Einsamen, verlassen, es
ist höchste Zeit, über den Tod nachzudenken: „Ein alter Mann ist der
Nachbar des Todes“, heißt es einmal. Wo könnte ein alter Mann besser
über den Tod, das Sterben und die Vergänglichkeit nachdenken als in
der Gegenwart junger Mädchen, die mit einem Medikament in eine Art Dauerschlaf
versetzt worden sind. Sie wurden zu Objekten gemacht, die nichts erinnern. Das
merkwürdige Haus der schlafenden Schönen wird von einer geheimnisvollen
Madame geführt, die die Verabredungen organisiert und die Mädchen
präpariert. Sechs Nächte wird Edmond in diesem Haus verbringen, das
seinen Gästen die Einhaltung fester Regeln abverlangt. Zunächst noch
durch die Situation gehemmt („Mir kommt es eine Ewigkeit vor, dass ich Frauen
als Frauen aufgegeben habe“), hält sich Edmond daran, sich nicht an den
Schlafenden zu vergehen. Später wird sich dies ändern, doch selbst
dann spielen Sexualität und Begehren nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr
fungieren die „leblosen“ Körper der jungen Frauen als Spiegel von Edmonds
Seele, der sich nun, während er den Schlafenden ihr Geheimnis zu entreißen
versucht, der Frauen seines Lebens zu erinnern beginnt: die Mutter, die erste
Geliebte, die geliebte Ehefrau. Eines Nachts beobachtet Edmond, wie die Leiche
eines anderen Gastes abtransportiert wird. Mit wachsender Neugier versucht er,
seinen Status im Haus zu verändern, mit der geheimnisvollen Madame ins
Gespräch zu kommen. Doch auch die wiederholten Regelverletzungen werden
ihm verziehen, vielleicht, weil man Mitleid mit dem verzweifelt Einsamen hat,
vielleicht, weil es sich ohnehin nur um eine „rite de passage“ handelt.
14 Jahre nach „Der Brocken“ (fd 29 453) hat der Schauspieler
Vadim Glowna wieder selbst einen Kinofilm inszeniert. Bei der Verfilmung von
„Die schlafenden Schönen“, einem Spätwerk des japanischen Literatur-Nobelpreisträgers
Yasunari Kawabata, fungiert er als Regisseur, Drehbuchautor, Hauptdarsteller
und Co-Produzent in Personalunion. Die Handlung wurde aus einem zeitlosen Japan
ins aktuelle Berlin verlegt, wobei der Film nie ganz klar macht, worin der Reiz
bestanden haben mag, dies zu tun. Ferner hat Glowna den matriarchalen Subtext
der Vorlage durch Thriller-Elemente in eine andere Richtung gelenkt, was sich
allerdings erst in der Schlusspointe zeigt. Die schwerblütig-philosophischen
Reflexionen über Tod und Vergänglichkeit, über Erinnerung und
Erotik werden immer wieder in den Off-Ton verlegt, weshalb das theaterhafte
Agieren der Figuren häufig kontingent erscheint. Vom ersten Moment, vom
ersten Ton der getragenen, jazzigen Filmmusik an senkt sich ein bleischwerer
Vorhang aus Trauer, Einsamkeit und permanenter Reflexion auf die mitunter traumhaften
Bilder, die letztlich in Gustave Courbets „Die Mitte der Welt“ ihren symbolhaften
Fluchtpunkt finden. Das Szenario, das der Film entwirft, ist morbid, nicht frivol.
Letztlich sind die schlafenden Schönen nur Stationen auf dem Weg zur Erlösung
– und das Etablissement ist ein moderner Dienstleister, in dem man Unterstützung
findet, will man einem guten Freund etwas Gutes tun.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Das
Haus der schlafenden Schönen
Deutschland
2006 - Regie: Vadim Glowna - Darsteller: Angela Winkler, Vadim Glowna, Maximilian
Schell, Birol Ünel, Mona Glass, Marina Weis, Benjamin Cabuk, Peter Luppa
- FSK: ab 16 - Länge: 99 min. - Start: 2.11.2006
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