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Haus
der Spiele
Jubelkritiken sind bekanntlich am schwersten zu schreiben.
Spitze, dieser Film! Regie toll, Kamera toll, Buch toll, Musik toll, Darsteller
sowieso toll. Da solch Gehudel dem Leser den Film nicht näherbringt, müßte
jetzt der Plot dieses grandiosen Psychothrillers erzählt werden. Aber eben
das geht nicht. Nie und nimmer werde ich die Geheimnisse dieser originellen,
spannenden und gut funktionierenden Geschichte verraten. Nur so viel sei gesagt,
daß Dr. Margaret Ford, Psychiaterin, Erfolgsautorin (Buchtitel: „Driven
/ Obsession in every day life", was sehr hübsch übersetzt ist
mit „Der Trieb, ein Leitfaden für zwanghaftes Benehmen"), auch keine
Antwort auf die Frage der psychisch schwer erkrankten sowie an allen Gliedmaßen
gefesselten Mörderin weiß: „Frau Doktor, ich weiß nicht, was
Normale tun". Frau Doktor hat nämlich, ohne daß sie es jetzt
schon ahnt, die Gegenfrage im Sinn, nämlich: wie lebt man alle Seiten aus?
Wie verletzt man Regeln, um sich selbst zu verwirklichen? Was ist das Anormale?
Wir hören einigen Psycho-Slang, und der Film
selbst macht sich darüber lustig. Umso ernster und nachdenklicher wird
der Frau Ford zumute, als ein sehr attraktiver und sehr junger Mann in ihrer
Sprechstunde erscheint und sich als Spieler aus dem House of Games, 211 Beaumont
St, Seattle, vorstellt. Eine Mischung von Spielcasino und Billardsalon, wie
sich herausstellt.
Wer von den Zuschauern möchte nicht bei Budweiser
und Hamburger einen sympathischen Profi-Kriminellen kennenlernen, natürlich
völlig unverbindlich und nur spaßeshalber? Nicht wahr, alle wollen
das, ganz besonders die Studenten von Frau Professor Litauer, die im Seminarraum
ziemlich lustlos Theorie lernen: Inversion - Projektion - Kompression - Transformation.
Aber auf dem Kiez, Freunde, gibt es praktische Übungen, am besten nach
Mike fragen, bei Charlies. Zum erstenmal im geklauten Auto, denn für das
Leben lernen wir. Aber das ist nur der Anfang von einem Ende, an dem eine subjektive
Kamera auf dem Airport nach einem Mafiakoffer sucht, ziemlich obsessiv, würde
ich meinen.
Der Film ist selbst / macht süchtig, so genau
bezieht er alles, was er zeigt, auf den / die Triebtäterin. Bei aller action
und bei allem fake bleibt er daher seinem Psycho-Thema treu, und da
spielt es schon eine Rolle, wenn die kläglichen Triumphe der Schul-Psychiatrie
gefeiert werden. Liebste mütterliche Freundin, liebste Frau Doktor Litauer,
„Oge" nannte meine Patientin das Tier, das sie verfolgt. Was das bedeutet?
Sie verfolgt sich selbst, rückwärts gewendet, und Oge ist ihr Ego!
- Dies formuliert, wird es höchste Zeit, daß uns Süchtige und
Triebtäter in weißen Kitteln vorgeführt werden. Das Drehbuch
ist da ziemlich genau bis unverschämt und voller sorgfältig kalkulierter
großer Überraschungen. Drehbuchautor David Mamet ist ein Profi (zuletzt
mit dem Buch zu Brian De Palmas THE
UNTOUCHABLES - DIE UNBESTECHLICHEN).
Was einem aber nicht in den Kopf will, das ist, daß er mit dem HAUS DER
SPIELE zum erstenmal selbst Regie geführt hat und daß dieser Debutfilm
gleich zum Spitzenfilm des Genres wurde. Kein Gramm Fett zuviel am Film! Keine
Spur von den sonst üblichen Kompromissen an Stoff und Stil. Keine bekannten
Gesichter, die doch nur wieder auf bekannte, längst gesehene Filme verwiesen
hätten.
Dem HAUS DER SPIELE ist anzumerken, daß keiner
dreingeredet hat. In jeder Szene ist dieses subversive Vergnügen am bösen
Spiel mit der psychoanalytischen Schulweisheit zu spüren - und am Spiel
mit der praktizierenden Zocker-Bande auf dem Seattle-Kiez. Der Einstieg ist
gar nicht schwer. Klau doch mal was, irgendwas Klitzekleines! Der Witz, mit
dem der Film dies vorführt, ist ein einziges Plädoyer für die
Obsessionen im Alltag und damit für die Praxis zum Ford-Buch: Der Trieb,
ein Leitfaden für zwanghaftes Benehmen.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 4/88
Haus
der Spiele
HOUSE
OF GAMES
USA
1987. R: David Mamet. B: Jonathan Katz, David Mamet. K:
Juan Ruiz Anchia. M: Alaric Jans. T: Anthony John Ciccolini. A: Michael Merritt.
Kn: Nan Cibula. Sp: Robert
Willard. Pg: Orion. P: Michael Hausman. V: Fox. L: 101 Min. FSK: 16, ffr. FBW
Besonders wertvoll. St: 24.3.1988. D: Lindsay Crouse (Margaret Ford), Joe Mantegna
(Mike), Mike Nussbaum (Joey), Lilia Skala (Dr. Littauer). J.T. Walsh (Geschäftsmann).
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