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Hautnah
Macht
alles anders
Damien
Rice hat etwas Unerhörtes getan. Der irische Musiker hat eine der herzzerreißendsten
Liebesballaden der letzten Jahre geschrieben, in der nicht müde wird zu
klagen, wie sehr er seine Geliebte vermißt und daß ihm diese Frau
nicht aus Herz und Hirn weichen will. Ein ehrliches, schwermütig, tief
ergreifendes Lied. So weit ist das ja noch nicht anstößig. Aber jetzt
kommt's: Ganz am Schluß, als der letzte, romantische Akkord gerade verklingt,
da flüstert er: "Naja, zumindest solange, bis ich jemand Neues gefunden
habe."
Mike
Nichols spielt dieses Lied durch die ersten Minuten seines Films. Genauer: Er
spielt den romantischen Teil des Liedes über die romantische Eröffnungspassage.
Nichts könnte passender sein, schließlich zeigt diese Exposition
in voller Ernsthaftigkeit die längst zum Mythos erklärte Liebe auf
den ersten Blick mit derselben Ernsthaftigkeit, mit der Rice im Hintergrund
beschwört, er werde seiner Geliebten immer treu bleiben. Wer das Lied kennt,
weiß, daß da noch ein Haken kommen wird, daß man dem ersten
Eindruck nicht trauen sollte und dem ersten Blick schon gar nicht.
Natürlich
weiß Nichols sehr genau, was er da tut. Er hat schließlich schon
Ehedramen mit Taylor und Burton gedreht, als unsereins noch nicht mal geboren
war. Erst letztes Jahr wurde er für seine stargespickte Adaption der Homosexualitäts-Tragödie
"Angels in America" mit Preisen geradezu beworfen, und "Hautnah"
ist dieses Jahr einer dieser Filme auf den Favoritenlisten, denen man den Oscar
tatsächlich wünschen würde.
Denn
"Hautnah" macht alles anders, als man das aus Liebesdramen gewohnt
ist. Diese Figuren sagen Dinge, die man sonst im Kino nie hört, sie streiten
sich über Dinge, die anderen Figuren viel zu delikat wären, und sie
vergeben sich Dinge, die in anderen Filmen unentschuldbar wären. Einige
Kritiker verwechselten daraufhin Konvention und Realität und nannten die
Charaktere lebensfremd und künstlich, dabei wirken sie eher filmfremd und
wahrhaftig, weil original. Das liegt vor allem am Drehbuch des Theaterautors
Patrick Marber, das skrupellos bis an die Grenze der Körperverletzung ist,
dabei blitzgescheit und von einer ätzend bitteren Komik.
Auch
sonst ist hier alles anders und neu. Der Schnitt macht Sprünge über
mehrere Jahre hinweg, ohne auf erklärende Ab- oder Aufblenden zurückzugreifen.
Die Londoner Szenerien bleiben grau-bedeckt, die Innenräume in Stripclubs
oder Galerien seltsam klaustrophobisch. Nebenfiguren zu den vier Protagonisten
werden gar nicht erst eingeführt. Sogar die berüchtigte Szene, die
eigentlich nur in einem Online-Chatroom stattfindet (was könnte weniger
cineastisch sein als eine Konversation übers Internet?), wird in Nichols
Händen zu einem humoristischen, elegant gelösten Kernstück des
Films.
Das
Casting pendelt zwischen Genie und Wahnsinn: Julia Roberts spielt die Ehebrecherin
beängstigend sympathisch, Jude Law brilliert als tragischer Herzensbrecher,
und Natalie Portman gibt in ihrer typischen Art die liebenswerte Stripperin,
die jüngste und zugleich erwachsenste Figur des Films. Ein besonderer Salut
muß allerdings an Clive Owen gehen, der in diesem makellosen Ensemble
die schwierigste Rolle abgekriegt hat - und sie meisterhaft veredelt. Daß
dieser Dermatologe mit der offenen Vorliebe für Pornographie, Kraftausdrücke
und andere Ehrlichkeiten nicht ins Klischee vom notgeilen Höhlenmann abrutscht
und sich nicht im Widerspruch zwischen reichem Akademiker und emotionalem Proleten
auflöst, ist allein Owens Verdienst, der dieser Figur Stärke, Würde
und einen unerbittlichen Willen gibt und so aus dem vermeintlichen Neandertaler
einen neuen Typus Mann im Film macht: zielstrebig, ebenso verletzlich wie verletzend,
prinzipientreu bis zur Grausamkeit. Wie der ganze Film eigentlich.
Daniel
Bickermann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Hautnah
Closer.
USA 2004. R: Mike Nichols. B:
Patrick Marber. K: Stephen Goldblatt. S: John Bloom, Antonia Van Drimmelen.
M: Damien Rice, Liam Howlett u.a.. P: Columbia, Scott Rudin Prods. D: Clive
Owen, Jude Law, Julia Roberts, Natalie Portman u.a. 104 Min. Sony Pictures ab
13.1.05
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