HEAVEN
Himmlische Liebe, bodenlos
Warum Tykwer in seinem neuen Film HEAVEN aus dem Tritt gerät
Tom Tykwer ist bekannt für seine Traktate über die Liebe. Die
Liebe, die den Menschen stets aus seiner verzweifelten
Schicksals-ergebenheit befreien kann. Die Liebe, die den
Menschen stark macht für die großen Schritte in die Freiheit.
Die über den Tod hinwegführt, hinein in ein besseres Leben.
Der große Sekundant, der der Liebe beiseite steht und gegen
das Schicksal antritt, ist bei Tykwer das Zufällige, die
Verkettung von Ereignissen. Die Liebe wiederum ist in dem
Labyrinth der Zufallsbegegnungen der Ariadnefaden, der zum
großen Tor der Erlösung führt.
Der als Selbstmord gedachte Sprung aus dem Fenster wird für
die TÖDLICHE MARIA zum glücklichen Sturz in die Arme ihrer
neuen Liebe. Der KRIEGER rettet die KAISERIN aus der
kindheitstraumatisch besetzten Irrenanstalt, die KAISERIN holt
den KRIEGER aus dem Inferno, in dem ihn seine Erinnerung an
die getötete Liebe gefangen hält. LOLA rennt gegen ein
schicksalhaftes Ende der Liebe immer wieder aufs neue an. Die
Geschichte der Liebenden wird hier durchexerziert als nur eine
mögliche Variation von gegebenen Zufälligkeiten. Finale
Schicksalhaftigkeit scheidet aus.
Bei diesem Ausspielen des Schicksals gegen den Zufall setzt
Tykwer auf eine ausgeprägte Stilistik, die das Thema filmisch
spürbar macht. Die Offenheit von LOLA RENNT, in der drei
mögliche Schlüsse gegeneinander und miteinander bestehen,
bedeutet nicht nur die Absage an eine höhere Weltenordnung,
sondern macht aus dem Geschichtenerzählen selbst ein Spiel.
Schon der jeweilige Auftakt der Variationen um Lola, die als
Comicfigur die Treppe hinuntereilt, ist der unbedingte Verweis
darauf, daß sich der Film von Beginn an in einer Sphäre des
Spielerischen und Künstlichen befindet. Was den schonungslosen
Umgang mit der erzählten Geschichte in einer Versuchsanordnung
erlaubt, die immer wieder neu, in minutiöser Zeitverschiebung
angesetzt werden kann.
Das war Tykwer bislang. Auch sein neuer Film HEAVEN, der
erstmals nicht nach eigenem Drehbuch entstand, sondern einen
Nachlaß von Kieslowski verfilmt, knüpft an an die große
Thematik von der Liebe, die alles erlösen kann. Eine junge
Frau, Philippa, begeht ein Attentat auf einen Drogenboss, den
sie für den Tod ihres Mannes, der durch eine Überdosis starb,
verantwortlich macht. Das Attentat wird durch eine
zufallshafte Verkettung vereitelt: eine Putzfrau leert den
Papierkorb, in dem Philippa die Bombe versteckt hatte. Nimmt
den Sprengsatz in ihrem fahrbaren Vehikel mit. Auf dem Weg
detoniert die Bombe in einem Aufzug und tötet dabei die
Putzfrau und einen Vater mit seinen zwei Töchtern. Der Aufzug
ist bei Tykwer ein Außenaufzug, und die Detonation führt
geradezu in den freien Himmel. Ein Stück HEAVEN ist hier
passiert, und vielleicht hätte der Film an dieser Stelle
anhalten sollen. Denn vielversprechend wird bis dahin das von
Tykwer Bekannte mit einem neuen Vorzeichen versehen, was der
Rest des Films jedoch nicht einhalten kann.
Die neue, abwesende Rolle der Liebe: Sie scheidet als Motiv
der gerechten Absicht Philippas, den Drogenboss zu töten, aus.
Die Attentäterin befand sich, als ihr Mann starb, in Scheidung
von ihm. Folglich kann die Schuld, in die Philippa durch das
mißlingende Attentat gerät, nicht einem schicksalhaften
Liebestrauma zugesprochen werden, von dem sie erlöst werden
muß. Die Erlösung, die einsetzt, ist die Wiedergutmachung
eines dummen Zufalls, was die bekannte Bewertung des
Zufälligen bei Tykwer ganz und gar umkehrt. Hier führt der
Zufall der Ereignisse nicht zu Liebe und Erlösung der
Menschen, sondern zur tragischen Schuld der Attentäterin.
Daraus müßte dann, bei Verkehrung der Tykwerschen Philosophie,
das Schicksalhafte als Rettung aus der schuldhaften Not
erscheinen, als notwendige Wiedergutmachung der ‚bösen' Tat.
Die Liebe könnte so auch wieder den Part der Erlöserin
spielen, diesmal als schicksalhafte Liebe, gewissermaßen von
Gott gesandt, um wieder Gerechtigkeit herzustellen.
Gegen diese mögliche, Kieslowkische bzw. theologische
Erneuerung der Filme Tykwers, die bislang nur den Zufall als
metaphysische Größe anerkannten, stemmt sich jedoch die
Tykwersche Lesart Kieslowskis, der "in das Drehbuch
eintauchte, als sei es meins" (Zitat X-Filme). Das Spiel von
Liebe und Zufall, dem sich Tykwer in seinen früheren Filmen
gestellt hat, und das jetzt durch Kieslowski neu angeordnet
wird, reduziert sich im weiteren Verlauf des Films zu einer
bloßen Liebesbehauptung, die nicht nachvollzogen werden kann.
Denn wenn sonst die Antagonisten Zufall und Schicksal das
Spiel der Liebe in Gang bringen, so kann das Spiel in HEAVEN
nicht wirklich beginnen. Weder macht der Film glaubhaft, daß
der Polizist Filippo und die Attentäterin Philippa
schicksalhaft füreinander bestimmt sind (außer auf einer
konstruktiven Ebene: Asymmetrie, wenn der Outlaw Philippa bei
Filippo auf eine Instanz von Law-and-Order trifft; und Tykwer
klopft bei PAUL UND PAULA an), noch treibt sie der Zufall
einander in die Arme. Die Liebe des Polizisten zur
Attentäterin ist nur denkbar als moralisch motivierte Liebe,
weil sie durch den Mord am Drogenboss unschuldige Kinder vor
dem Drogentod bewahrt. Kann aber Leidenschaft sich moralisch
begründen? Mit der Liebe Philippas zu Filippo steht es nicht
besser: sie kann nicht aus dem kurzen Moment der Berührung
durch den Polizisten entstanden sein, als die Attentäterin im
Verhör ohnmächtig am Boden liegt. Zwar untermauert Tykwer mit
seinen Bildern suggestiv das Lieben, Filippo und Philippa
werden immer wieder aus Vogelperspektive gezeigt, Kopf an Kopf
zusammenliegend, eine fortwährende Wiederholung der bei Tykwer
bekannten Liebeseinstellungen. Die Bildzitate allein aber
können das Verliebtsein nicht glaubhaft machen. Als Philippa
gefragt wird, ob sie Filippo liebt und sich ein kurzer Moment
des Verneinens abzeichnet, erscheint das durchaus plausibel
und erhebt die Spannung, was werden könnte aus dem Liebespaar
ohne Liebe. Der Film aber läßt Philippa mit ‚Ja' antworten.
Und läßt sich damit die zentrale Wendung nicht nur des Plots,
sondern der gesamten Tykwerschen Liebesphilosophie entgehen.
Verabschiedet wird der Film mit quasi-biblischen Zitaten.
Filippo und Philippa scheren sich das Haupt und erscheinen wie
zwei Engel, die sich für das Gute, die Beseitigung des
Drogenbosses, außerhalb der menschlichen, aber nicht der
moralischen Gesetze gestellt haben. Sie handeln für eine
höhere Gerechtigkeit. Die Liebe von Filippo und Philippa wird
gezeigt in ihrer körperlichen Erfüllung, beide nackt unter
einem alleinstehenden Baum, gegen den Himmel gefilmt:
androgyne Silhouetten vor feurigem Sonnenuntergang. Die
erneute Verführung Adams durch Eva? Die jetzt aber nicht mehr
zur Vertreibung aus dem Paradies, sondern schlussendlich in
den HEAVEN führt.
Die anklingende Gratwanderung zwischen Anerkennung und
Verabschiedung einer christlichen Überhöhung der Figuren
bleibt bei Tykwer oberflächlich. Sie ergießt sich, allzu
malerisch photographiert, in einen leerbleibenden
Katholikenkitsch. Tykwer hätte sich mit HEAVEN aus dem
Immergleich seiner Thematik erlösen können, in der er gefangen
ist. Er hätte dem existentialistischen Zufall das göttlich
gewollte Schicksal beiseite stellen können. Hätte der
heilbringenden Liebe eine Absage erteilen, mit ihr ein Stück
Realismus in seine Filme einbringen können. Was Tykwer aber
verweigert. Das Drehbuch von Kieslowski zerfällt unter der
Tykwerschen Liebesphilosophie. Und sein Filmen unter dem
Kieslowskischen Drehbuch.
Dunja Bialas
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Heaven
D/GB 2002 - 93 Minuten
Regie: Tom Tykwer
Kamera: Frank Griebe
Drehbuch: Krzysztof Kieslowski
Besetzung: Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone,
Stefania Rocca u.a.