zur startseite
zum archiv
zu den essays
Heaven
Marsmännchens
Apotheose
Am
Anfang war ein Helikopter, nein, ein Flugsimulator, virtuelle Landschaften in
eckigem Grün, und der Wunsch, immer höher zu fliegen. Am Ende verschluckt
ein perfekter Wolkenhimmel einen schwarzen Punkt - das war ein Helikopter, unerreichbar
jetzt für das menschliche Auge. Über den Wolken, so läßt
sich nur mutmaßen, liegt die unendliche Freiheit und zugleich der Tod.
Zwischen
Anfang und Ende liegt die Geschichte zweier Menschen, deren Bestimmung es ist,
einander zu finden. Ein Mann und eine Frau, Filippo und Philippa. An dem Tag
als Filippo geboren wurde, feierte Philippa gerade ihren 8. Geburtstag und außerdem
ihre Kommunion. Ein Zufall? Wohl kaum, schließlich wird den beiden das
gerade in dem Augenblick bewußt, als sie mit dem Zug durch einen langen,
dunklen Tunnel sausen, an dessen Ende gleißend helles Licht und dann eine
elegisch verklärte, toskanische Landschaft auf sie wartet.
Klingt
diese schicksalhafte Verbindung nicht irgendwie bekannt? Klar, da gab es doch
mal die beiden Mädchen Veronika und Véronique, die eine lebte in
Polen, die andere in Frankreich. Obwohl keine von der anderen wußte, schien
die eine ganz intuitiv aus den Fehlern der anderen zu lernen. "La double Vie de Véronique" hieß das, Autor
und Regisseur: Kieslowski. Der
Film ist ein Hohelied verschachtelter Metaphysik, eine Erzählung, die immer
nur schwermütig andeutet, verrätselt und verwirrt und sich davor hütet,
eindeutige Antworten zu liefern. Ein schönes Beispiel für solche Schachtelungen
ist der plötzlich auftretende Puppenspieler, der die Schicksalsfäden
der beiden Frauen im vergessenen Spiel plötzlich zusammenfügt - zumindest
scheint es für einen Moment so.
Solche
in Gelbfiltern wummernde Artistenmetaphorik wird man bei Tom Tykwer nicht finden,
wiewohl seine Filme dieselben Fragen berühren. Sowohl die "Winterschläfer"
als auch die Kaiserin haben mit dem Fatum als Naturgesetz zu kämpfen. Der
Kitt, der alles zusammenhält, ist auch hier die spirituelle Allmacht der
Liebe. Aber, und das macht Tykwer stilistisch so spannend, das heikle Thema
wird nicht in subtile Märchenmystik, sondern völlig scharfgestochen
und straight verpackt: Sezierend genaue Schnitte, drastisch direkte Bilder,
die kühl rationale Bildästhetik kann dabei leicht am eigentlichen
Thema vorbeiführen. Was passiert nun, wenn Tykwer ein liegengebliebenes
Drehbuch von Melancholiker Kieslowski verfilmt?
In
"Heaven" beginnt ja zunächst alles ganz real und bodenhaftig.
Die Lehrerin Philippa (Cate Blanchett) will in Turin einem miesen Drogendealer
das Handwerk legen, zündet eine Bombe und trifft - reiner Zufall? - gleich
vier unschuldige Menschen. Sie kommt in U-Haft. Wir folgen ihr durch anonym
hallende Flure in sinnlose Verhöre und treffen dort auf einen unscheinbaren
Hilfs-Carabiniere, der Philippa offensichtlich helfen will. Es ist Filippo (Giovanni Ribisi). Er
agiert wie eine Schildkröte, die durch die Begegnung mit Philippa zum ersten
Mal den Kopf neugierig in die Welt herausstreckt - und plötzlich recht
erfinderisch Philippas' Flucht in die Wege leitet. Er liebt sie, und auch hier
ist die Liebe der Beweggrund alles Seins, die Kraft, die alle Hindernisse überwindet.
Dennoch: Die Mixtur aus Schuld, Verzweiflung, Einsamkeit und bedingungsloser
Liebe läßt einen ziemlich unberührt. Warum?
Weil
uns da eine Liebe vorgestellt wird, die wir dem Filmemacher nicht abnehmen?
Filippos traurig-ernste Blicke auf seine Auserwählte scheinen eher juvenilem
Eigensinn und großem Projektionsbedarf zu entspringen, als irgendwelcher
unschuldigen Liebe. Philippa hingegen ist in ihrem starren Zustand permanenter
Entrücktheit wohl alles andere als liebesfähig. Da hilft es auch nicht,
daß Tykwer die zweite Hälfte seines Films mit Adams-und-Eva-Motiven
und anderem katholizistischem Unschulds-Kult beschwert, eher im Gegenteil. Die
dick aufgetragene Symbolik lässt die Figuren in abstrakte Allegorien erstarren
- das 'Über'-Menschliche wird schnell zum Un-Menschlichen und der zwanghafte
Einheitslook Filippos und Philippas erinnert mehr an gefühlslose Wesen
vom anderen Stern, als an irgendeine verzweifelte Condition humaine. Kein Wunder,
dass es einem am Ende dann auch herzlich egal ist, ob die beiden nun im Hubschrauber
über den Wolken verglühen oder etwa auf dem Mars andocken. So fremd
und abstrakt sind sie uns geblieben, dass wir sie am Ausgang des Kinos garantiert
vergessen haben.
Anke
Eickhoff
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Heaven
D/USA/Frankreich
2001. R: Tom Tykwer, B: Krzysztof Kieslowski, Krzysztof Piesiewicz, K: Frank
Griebe, P: X-Verleih, Mirage Enterprises, Star Edizioni Cinematografiche, Miramax
Films, D: Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone, Stefania Rocca, Alessandro
Sperduti u. a.
X-Verleih,
21. Februar 2002
zur startseite
zum archiv
zu den essays