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Heaven’s
Gate
Heaven`s
Gate –
Wiedergesehen
1. Über diesen Film ist bereits
fast alles geschrieben. Trotzdem muss man ihn sehen, von Zeit zu Zeit – und
darüber schreiben. Es ist der Mythos des Films, der immer wieder beschworen,
aber selten analysiert wird.
2. Man kann allerdings von einem
ganz spezifischen Heaven`s
Gate-Mythos
sprechen, einem Mythos des Scheiterns und der Hybris – kaum eine Entstehung-
und Rezeptionsgeschichte eines Films ist mit so viel Halbwahrheiten, gefühltem
Wissen und schlichten historischen Fehlinformationen behaftet. In Stephen Bachs
wunderbarem Buch Final Cut über die Produktionsgeschichte des Films, aus
der Sicht des verantwortlichen Produzenten geschrieben, bleibt keine Halbwahrheit
unkorrigiert: Die anfängliche Zügellosigkeit des oscarprämierten
Regisseurs Michael Cimino, der nach fünf Drehtagen schon sechs Tage hinter
dem Zeitplan lag; der Druck und der Wille, der auf dem Management von United
Artists lastete, etwas Außergewöhnliches zu riskieren, und das genau
aus dieser Motivation heraus Cimino freie Hand gewährte; die Versuche desselben
Managements, wieder die Kontrolle über die Produktion zu gewinnen. Cimino,
im Schneideraum, mit einer bewaffneten Wache davor, um die Schnittkopie vor
dem Studio zu schützen. Das dramatisch und vollkommen überzogene Budget,
von ursprünglich geplanten 7,5 Mio. Dollar. Als der Film in den Kinos anlief,
waren die Kosten auf mehr als 40 Mio. Dollar angestiegen. Die vernichtende,
geradezu böswillige Reaktion der US-amerikanischen Kritik. Der an das Kassendebakel
anschließende, von diesem allerdings eindeutig nicht verursachte Verkauf
von United Artists – an MGM. Der Mythos des Films ist solide – der historischen
Faktenlage zum Trotz: Print the Legend!
3. Heaven`s Gate definiert einen Scheidepunkt der Filmgeschichte, weil: Sein Scheitern
ist gleichbedeutend mit dem Ende des Western, dem Ende des amerikanischen Autorenfilms,
dem Ende von New Hollywood, dem Ende der Karriere von Michael Cimino, dem Ende
von United Artists.
4. In gewissem Sinne entkräftet
Bach den Mythos von Heaven`s
Gate, und
manifestiert ihn doch zugleich: Die Korrektur des Gewesenen verblasst gegen
die mythologische Kraft der Fabel von Hybris, Wahn und Scheitern einer megalomanischen
Filmproduktion. Dieser Widerspruch des Mythos der Werksentstehung blockiert
nach wie vor eine unvoreingenommene Rezeption des Films, besonders in den USA.
Dort ist Ciminos Epos weiterhin der Paria der Filmkritik. Ungeachtet seiner
zweifelsfrei vorhandenen filmischen Stärken bleibt das Bonmot des Rezensenten
Vincent Canby in den Köpfen: Der Film sei so interessant „wie ein vierstündiger
Spaziergang durch das eigene Wohnzimmer.“
5. Der Mythos der Filmentstehung
bleibt nach wie vor im Wesentlichen unangetastet, weil die eigentliche Schlüsselfigur
der historischen Geschehnisse, Michael Cimino, beharrlich schweigt. Kein Interview,
keine Stellungnahme. Kein Buch. Keine Richtigstellung. Eigentlich logisch, für
Cimino ist dieser Mythos des Scheiterns, nach all den Jahren, sicherlich auch
Geschäftsmodell.
6. Heaven´s Gate ist, wie seine Entstehungsgeschichte, ein Film, der Mythen bestätigt
und sie gleichzeitig zerstört. Cimino ist Ikonoklast und Ikonograph zugleich.
Am Ende seines Filmes The Deer Hunter singen die Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg „America the Beautiful“.
7. Heaven`s Gate sieht man sein Geld an. Aber auch die Leidenschaft und den Stilwillen
seiner Erschaffer, mit der er inszeniert und fotografiert wurde. Authentisch
wirkende Kulissen vor einer majestätisch-großartigen, landschaftlichen
Szenerie. Vor Statisten, Farben, Tönen und Details überbordende Plansequenzen:
Die Szenen der Stadt, als Jim Averill (Kris Kristofferson) mit dem Zug einfährt,
sind schlichtweg atemberaubend. Das Kaufhaus, in dem er Patronen kauft, voll
mit Männern in langen Lodenmänteln. Die Straße, die er dorthin
überquert, eine Autobahn aus Kutschen und Pferden und Wagen, ein Menschenstrom
sondergleichen, der sich aneinander vorbeiquält.
8. Die Kulisse der Stadt ist enorm
detailreich, und es ist eine Stadt im Werden und Vergehen – mehr Zelte als Häuser,
mehr Durchreisende als
Bewohner, mehr fremdsprachige Einwanderer als
englischstämmige US-Amerikaner. Und die Straße, Mainstreet America,
ist ein einziges Schlammloch, mehr Treibsand als Verkehrsweg. Mit dieser Kulisse
erinnert Heaven`s Gate
an ein kongeniales Werk - McCabe
and Mrs. Miller von Robert Altman – ein sogenannter
Spätwestern und ebenfalls ein großartiges Beispiel, wie Mitte bis
Ende der 1970er Jahre die urtümlichsten Mythen der US-amerikanischen Nation,
im Angesicht des Vietnamkrieges, neu definiert, neu interpretiert, und neu verortet
werden.
9. Die Tonspur ist eine Revolution
– eine vielschichtige Komposition aus Wortfetzen diverser europäischer
Sprachen, Hintergrundgeräuschen, Musik. Die große Schlacht am Ende
des Films ist sensationell, die diversen Töne der Kugeln, einschlagenden
Geschosse und abprallender Querschläger eine Symphonie des Todes, und in
ihrer brutalen Konsequenz erst von Spielbergs Landungssequenz in Saving
Private Ryan
erreicht.
10. Die Musik, insbesondere das
folkloristisch anmutende, sehr eingängige Leitmotiv, ist wunderschön.
In einigen Szenen wird dieses Leitmotiv nicht nur per Tonspur über die
Handlung gelegt, sondern erklingt in der Handlung: Der Violinist ist ein Teil
der Inszenierung, und taucht unvermutet wie ein shakespearischer Faun, in einem
Stall auf, im düsteren Hintergrund sitzend, und lässt auf seiner Fidel
die zauberhafte Melodie ertönen. Oder erscheint, eine weitere glänzende
Idee des Drehbuchs, zum Tanze aufspielend, auf Rollschuhen dahergleitend, in
einer bretterbodigen Zeltkonstruktion auf. Oder ist Teil einer Kapelle, die
poetisch-liebevoll den einsamen Tanz von Averill und seiner Geliebten Ella Watson
begleitet.
11. Anekdote am Rande: Der Komponist
des Soundtracks von Heaven`s Gate ist zugleich Darsteller des Violinespielers.
Sein Name ist David Mansfield. Er verkaufte die Melodie des Leitmotivs an die
Producerin des Films, Joanne Carelli. Diese wiederum veräußerte die
Rechte anschließend für das Zehnfache an United Artists. Später
heirateten Carelli und Mansfield. Mansfield ist weiterhin ein vielbeschäftigter
Komponist und war ein Gründungsmitglied von „Bruce Hornsby and the Range.“
12. Heaven`s Gate ist ein fotografisches Meisterwerk. Die Außenaufnahmen
in der freien Landschaft beeindrucken durch ihre satten, dunklen Farben. Himmel
und Berge wirken klar in ihrer Farbigkeit, und doch seltsam düster. Die
Innenaufnahmen sind schlichtweg genial und definierten die Grenzen des damals
technisch Machbaren neu. Nicht nur bestechen diese Aufnahmen durch ihre erstaunliche
Tiefenschärfe. Gerade die Düsternis dieser Räume ist es, die
die Tiefenschärfe der Bildkomposition umso staunenswerter macht. Kameraguru
Vilmos Zsigmond bekam die Zeit, das Budget, als auch den klaren Auftrag von
Cimino, ein einzigartiges Bildkonzept umzusetzen. Im Gegensatz zu den klaren,
kalten Bildern der Landschaftstotalen stehen die düster-warmen, in Chiriascuro
und einem orangefarbenem, oft ins sepiahafte abdriftendem Farbspektrum fotografierten
Innenräume. Das Bild wirkt immer ein wenig verschleiert und unscharf, die
Lichtakzente sind jedoch klar gesetzt, um den detailreichen Hintergrund auszuleuchten.
Der Übergang dieser Szenen, insbesondere die in der Rollschuhbahn, ins
bräunlich-sepiahafte, historisierende, ist konsequent und kompromisslos
gehandhabt. Unter dem Zeltdach der Rollschuhbahn ist das Licht gleichmäßig
sanft verteilt, nicht akzentuiert, eher diffus, und wirkt dadurch wiederum poetisch
und melancholisch. Die Bilder erhalten, mit ihrem Anklang an Fotografien des
19. Jahrhunderts, einen starken dokumentarischen Duktus.
13. Die Szenen zwischen Averill
und Ella sind mit extremen Weichzeichnerfiltern gefilmt, ein für die damalige
Zeit übliches Stilmittel, welches den heutigen Betrachter allerdings eher
an Softpornos oder unerträgliche Tränenzieher der 1970er wie Love Story erinnert, und der klare Schwachpunkt
der ansonsten einzigartigen Kameraarbeit.
14. Michael Cimino – Ikonoklast.
Die Story des Films beruht auf einer wahren historischen Begebenheit, dem sogenannten
„Johnson County War“. Ein Großteil der Aufnahmen sieht aus wie Fotografien
von Matthew Bradley. Und in der visuellen und narrativ-inhaltlichen Konzeption
wirkt der Film dokumentarisch, und hält sich ausgesprochen eng an historische
Details. Und verursacht dadurch ein Missverständnis, welchem die US-amerikanische
Filmkritik bis heute aufsitzt – dass diesem dokumentarischen Duktus zum Trotze
Michael Cimino gar nicht an einer historischen Akkuratesse - und somit der damit
einhergehenden genreüblichen Bestätigung der nationalen Mythen - interessiert
ist. Im Gegenteil. Aber dass Cimino diesen Widerspruch und das damit verbundene
Missverständnis nicht einmal versucht aufzulösen, haben sie ihm nie
verziehen.
15. Michael Cimino, Ikonograph.
Heaven´s
Gate und
der amerikanische Traum. Das Land ist verteilt, jedoch in der Hand des Großkapitals.
Die Einwanderer suchen nicht die western frontier, um dort persönliche Freiheit und das Recht auf Glück
einzufordern. Diese Einwanderer wollen nur fressen. Sie schlachten Rinder, die
ihnen nicht gehören. Das Großkapital schlägt zurück – und
hat die Staatsgewalt auf seiner Seite. Judikative, Legislative sind außer
Kraft gesetzt, die Exekutive wird von den Rinderbaronen übernommen. Auf
den ersten Blick erscheint dieser absolutistisch wirkende Staatsstreich als
das genaue Gegenteil amerikanischer, also demokratischer Werte. Dennoch: Um
einen Mythos zu zerstören, muss man ihn zuvor errichten, zumindest in Ansätzen.
Das tut Cimino, bedingt: Der Mythos der Landnahme; der Mythos der Selbstbestimmung;
der Mythos des kämpferischen Individuums, das sein Schicksal in die eigenen
Hände nimmt; der Mythos des Westens, der von den Fesseln des alten Europas
befreit: Anstelle des Walzers der Harvardabsolventen tritt für die Immigranten
der klassenlos-schwebende Tanz auf Rollschuhen. Europa vs. Amerika, und Amerika
ist klassenlos, modern und zielstrebig. Jeder darf Rollschuh fahren. Solange
er den Eintritt bezahlen kann. Heaven`s Gate ist der Name des Rollschuhpalastes. Ihr Besitzer, ein echter
Yankee und doch ein Mittler zwischen Alteingesessenen und Neubürgern. Sein
Name: Bridges – Brücken.
16. Der größte Irrtum:
Dass Heaven`s
Gate ein
Western ist. Die Essenzen des Genres sind vorhanden, siehe Punkte 14 und 15.
Doch ich erkenne genauso viele Muster des Gangsterfilms: Die Rinderbarone agieren
wie die Mafia. Sie leben nach ihren eigenen Gesetzen und ihrem eigenen Kodex.
Sie stehen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Ihr Motiv und
ihr Antrieb ist allein der wirtschaftliche Profit. Als ihre Gier und ihre Hybris
zu groß wird, ergreift die Gesellschaft endlich Gegenmaßnahmen. Zum
Schluss stirbt der Mob-Boss durch die Kugel des Helden: Crime Does Not Pay.
17. Martin Scorseses Gangs
of New York
verfolgte
sehr ähnliche Intentionen und ist ein spiritueller Nachfolger von Heaven`s Gate. Ähnlich wie der spätere
Film schildert Ciminos Epos das Werden einer Nation, jedoch weit ab vom akzeptierten
Konsens. Die Interpretation des Nation Building durch Michael Cimino war in
ihrer widersprüchlichen Radikalität und filmischer Virtuosität
ihrer Zeit weit voraus. Erst Martin Scorsese konnte Ciminos schmucklose Interpretation
des Gründungsmythos der Vereinigten Staaten bestätigen, weil laut
aussprechen: America was born on the streets.
Dirk C. Loew
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Heaven's
Gate
HEAVEN'S
GATE
Heaven's
Gate - Das Tor zum Himmel
Das
Tor zum Himmel (1980)
USA
- 1980 - 219 (149 TV) min. - Erstaufführung: 1.3.1985/21.6.1987 ZDF - Produktionsfirma:
Partisan (für United Artists)
Produktion:
Joann Carelli
Regie:
Michael Cimino
Buch:
Michael Cimino
Kamera:
Vilmos Zsigmond, Jan Kiesser
Musik:
David Mansfield
Schnitt:
Tom Rolf, William Reynolds, Lisa Fruchtman, Gerald Greenberg
Darsteller:
Kris
Kristofferson (Marshal James Averal)
Christopher
Walken (Nathan D. Champion)
John
Hurt (Billy Irvine)
Sam
Waterston (Frank Canton)
Isabelle
Huppert (Ella Watson)
Joseph
Cotten (Reverend Sutton)
Robin
Bartlett (Mrs. Lezak)
Richard
Masur (Cully)
Jeff
Bridges (John H. Bridges)
Roseanne
Vela
Ronnie
Hawkins (Wolcott)
Mary
C. Wright (Nell)
Mickey
Rourke
Nicholas
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