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Henker
Rache
ohne Gefühl
Jens
Beckers Dokumentarfilm über die letzten Henker Europas
Seit
1990 haben in Europa über 20 Staaten die Todesstrafe aus dem Gesetz gestrichen,
zuletzt Ende Februar auch das serbische Parlament. Damit wird bald ein weiterer
traditionsreicher Berufsstand arbeitslos, der der Henker. Besonders hoch angesehen
bei ihren Mitbürgern waren die "Nachrichter" noch nie. Umschulungsfähig
wären sie wohl auch nicht mehr, nicht nur aus Altersgründen. Sechs
letzte Vertreter der aussterbenden Zunft haben Regisseur Jens Becker und sein
Produzent Gunnar Dedio für die Dokumentation "Henker - Der Tod hat
ein Gesicht" quer durch Europa aufgesucht. Bei einem Verstorbenen mussten
sie sich mit Archivmaterial begnügen.
Alte
Männer, von der Provence bis Budapest, von Berlin bis Sarajevo. Ja, auch
in der DDR wurde bis 1981 - allerdings in eher geheimdienstlichem Rahmen - noch
hingerichtet. In Avignon hat sich ein im algerischen Anti-FNL-Kampf tätiger
Ex-Scharfrichter ein heimeliges Hinrichtungsmuseum gebaut. Der rumänische
Soldat Boeru wurde für einen historischen Augenblick zum Henker an seinem
Herrn - vielleicht auch zum Helden? Schon jetzt dankt man es ihm nicht mehr.
Tragisch hat die Geschichte Paul Sakowski mitgespielt, einem deutschen Kommunisten,
der auf dem Weg in den Spanischen Bürgerkrieg von den Nazis aufgegriffen
und nach Sachsenhausen verbracht wurde, wo man ihn wegen seiner Aufsässigkeit
Mithäftlinge richten ließ. Nach dem Krieg landete er in einem sibirischen
Lager.
In
der Person des Henkers bündeln sich wie sonst nur im Krieg die unauflöslichen
Widersprüche der Staatsräson: Moralbruch im Offizialauftrag, Racheaktion
mit Gefühlsverbot. Am verstörendsten zeigt das in diesem Film der
amerikanische Militär-Henker Joseph Malte, der 1946 in Nürnberg die
Urteile an einigen NS-Kriegsverbrechern vollstreckte: die Hinrichtungen, die
vermutlich den meisten Gegnern der Todesstrafe noch am ehesten nachvollziehbar
erscheinen. Doch ausgerechnet dieser Malte war offensichtlich ein menschenverachtender
Sadist, der mit seinen Nazi-Opfern mehr gemein hatte, als man sich wünschen
kann.
Leider
ist Joseph Malte schon tot, so dass man den Befund nicht mehr überprüfen
kann. Bei anderen wäre das möglich, aber kaum nötig gewesen.
100 einstündige Kassetten hat Becker aufgenommen. Neun Monate saß
man daran, die Gespräche auf Stakkato-Rhythmus zusammenzuschneiden. Informationen
gibt es jetzt satt. Dabei kann eine Pause mitunter mehr sagen als hundert Worte.
Hinzu kommt, dass durch das durchgängige und massive Voice-Over sich die
Protagonisten nicht einmal mehr im Sprachklang individualisieren. Problematisch
auch, dass die Filmemacher gern grauslich Anekdotisches in den Vordergrund stellen,
ohne die Historizität dieser "Produktionsweise" zu reflektieren.
Denn auch als Handarbeiter sind die letzten Henker Europas Überlebende
einer vergangenen Zeit, ihre weltweiten Nachfolger müssen sich die Finger
nicht mehr mit Blut beflecken.
So
funktioniert der Film manchmal wie ein Coffee-Table-Book des Hinrichtungswesens,
in dem man zwischen den Bildern nur wiederfindet, was man schon vorher wusste:
dass das Töten eine schaurige Profession ist, die auf ihre Betreiber abfärbt.
Eine gewisse Feinsinnigkeit schließt das bekanntlich nicht aus. "Der
Tod hat ein Gesicht" heißt es im Untertitel. Der Film zeigt allenfalls
die Maske.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Tagesspiegel
Henker
Deutschland
2001 - Regie: Jens Becker - Darsteller: Ionel Boeru, György Pradlik, Fernand
Meyssonnier, Joseph Malta, Hermann Lorenz, Reuf Ibrisagic, Paul Sakowski - Prädikat:
wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 84 min. - Start: 7.3.2002
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