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Herzfeuer
Sexualität
ist, wie, sagen wir, der Tod, eigentlich nicht darstellbar, denn sie gehört
zu den Dingen, die zwar unentwegt gesellschaftlicher Bearbeitung ausgesetzt
sind, aber anders als die Arbeit, die Idee oder die Liebe auch außerhalb
von ihr existieren, ja von dort her ihre eigentliche Kraft beziehen. Je nach
Standort tendiert daher alles Sprechen, alles Abbilden von Sexualität dazu,
entweder skandalös, pornographisch (das heißt: als Verbindung von
Macht und Markt) oder komisch zu werden. Die Mittel der Kultur reichen nicht
aus (oder sind zu stark) um Sexualität abzubilden, jeder Film über
Sexualität ist eine prekäre Gratwanderung.
HERZFEUER,
gedreht von Mischka Popp und Thomas Bergmann, ein Jahr nach der Fernsehausstrahlung
nun in Programmkinos zu sehen, ist gewiß eines der besseren Exemplare
eines eigentlich „unmöglichen" Genres, des dokumentarischen Sprechfilms
über Sexualität. Autorin und Autor, wenn man das in diesem Zusammenhang
so nennen kann, lassen unterschiedlichste Menschen über ihren sexuellen
Lebensentwurf, ihr Triebschicksal, ihre Träume und ihr Scheitern sprechen,
nur wenig durch Zwischenfragen forciert, konzentriert auf die Person, hinter
der ein wenig von ihrem Ambiente, ihrer Lebenswirklichkeit sichtbar wird. Es
gibt ein Paar, das über seine Leidenschaft für Gummibekleidung Auskunft
gibt, einen Mann, der erzählt, wie er als Kind seine Beziehung zu dominanten
Frauen und seinen Fetischismus entwickelt hat, ein anderes Paar, das es immer
noch gerne miteinander treibt - sie indes vermag seinen Traum vom sexuellen
Dreieck nicht zu teilen. Da ist die Geschichte des Mannes, der sich hoffnungslos
in eine drogenabhängige Prostituierte verliebt, und der andere, der nur
in der fachkundigen Betreuung durch Huren sein Glück findet. Es gibt den
Mann, der nur Frauen mag, die sehr viel älter sind als er selbst, die Frau,
die sich von ihrer Abhängigkeit befreien mußte, den Mann, der in
der Spielsucht sein Leben vergeudete und nun in der oralen Befriedigung der
Frauen seine Meisterschaft entwickelt hat, und gegen Ende die Frau, die auf
der Suche nach der sexuellen Selbstbestimmung zu dem Zwischenergebnis kommt,
daß man eigentlich nicht wirklich über Sexualität sprechen könnte,
schon gar nicht so, wie sie es gerade vor der laufenden Kamera tut. Damit müßte
sich der Film eigentlich selber aufgefressen haben. So - zunächst - befremdlich
klar und direkt die Personen in HERZFEUER über ihre Sexualität Auskunft
gegeben haben, als Beschreibung von Wirklichkeit, also von Dingen, die der Fall
sind, so sehr entziehen sie sich doch in dieser Entäußerung den Boden,
kommen immer wieder an den Punkt einer Erfahrung, die der Film mit sparsamen
Mitteln betont, nämlich, daß der Mensch mit seiner Sexualität
verteufelt allein ist.
„Gut"
wird der Film, entfernt von wohlfeiler Spekulation so sehr wie vom Befreiungspathos
vergangener Zeiten, weil er die Absurdität dieser Kommunikation nicht leugnet.
Er läßt uns das Faktische der Sexualität, die seltsame Mischung
aus dem Ewiggleichen der „Natur" und der Unvergleichlichkeit des Individuellen,
beinahe schmerzhaft spüren und erkennen, daß es offensichtlich überhaupt
keine Form der Sexualität gibt, die sich nicht in Konflikt mit der Gesellschaft
realisieren muß. So scheint es gar kein Widerspruch, daß die seltsamen
und fremden Wege der Lust, das freudige Akzeptieren eines nicht unterdrückbaren
Potentials der Sinnlichkeit mit einer großen Traurigkeit einhergeht. „Es
ist, wie es ist", heißt es am Ende im Zitat aus Erich Frieds Gedicht,
„sagt die Liebe".
Der
Film von Mischka Popp und Thomas Bergman ist durchaus vergleichbar mit jenem,
den Pier Paolo Pasolini 1963 drehte, COMIZI D'AMORE. Auch dieser Film spricht
von der Zärtlichkeit des Autor für den Menschen, zeigt seine wahre
Sympathie mit dem Leben. Und auch er hat die Sexualität nicht in das Gefängnis
von Jugendlichkeit und Ideologie zu sperren versucht, war getragen von der Fähigkeit
des Dokumentaristen, sich zurückzunehmen und gleichzeitig „allgegenwärtig"
zu sein. Vieles aber hat sich auch geändert. Man mag freier sprechen, verschwunden
sind die Euphemismen, die Versuche, einen „Sinn" anders als in sich selbst
zu finden, verschwunden scheint die Hoffnung, Sexualität in einer neuen
Gesellschaft anders zu leben; wenn die Menschen in HERZFEUER von ihren Erfahrungen
mit den „anderen", den Nachbarn, den Mitmenschen sprechen, dann erscheinen
Gesten tiefer Resignation. Der Blick ist rückwärtsgewandt, die Hoffnung
der Sexualität besteht darin, daß sie nicht aufhört, daß
sie, entgegen der kulturellen Mythologie, kein„ Alter" hat.
HERZFEUER
ist meilenweit entfernt von der „Ich bekenne"-Geilheit, die das Fernsehen
jüngst so trefflich zum Genre formte, und doch verrät sich auch an
einem solchen Film das Medium; nur die Kamera läßt noch einen solchen
Moment der Wahrheit zu, und wie der Film geschnitten ist, das hebt unsere scheinbare
Macht über die Bilder nur ein wenig auf: Nicht so sehr wir sind die Adressaten
(die öffentlich-rechtlichen Beichtmütter und -väter), Mischka
Popp und Thomas Bergmann schneiden die Gespräche vielmehr ineinander, die
Monologe in ihrer Mischung zu so etwas wie imaginären Dialogen, als erzähle
da einer dem anderen von seiner mehr oder minder verborgenen Lust. Das ist die
einzige kleine Utopie, die uns der Film läßt: Wenn es schon keinen
Weg ihrer gesellschaftlichen Aufhebung, ihrer wahren Selbstverständlichkeit
gibt, so mag sie sich doch vernetzen, nicht für die Kamera (wie in der
Pornographie), sonden durch sie hindurch.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film12/94
HERZFEUER
BRD
1993. R und B: Thomas Bergmann, Mischka Popp. K: Jörg Jeshel, Rüdiger
Laske. Sch: Peter Przygodda. T: Michael Loeken. Pg: Pilotfilm/HR. V: Verleih
der Filmemacher. L: 104 Min. St: Herbst 1994. Sprecher: Peter Fitz.
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