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Die
Herzogin von Langeais
Drapierte
Flammen
Zum
dritten Mal hat sich Jacques Rivette an einem Balzac-Stoff versucht – und ist
bei einer ziemlich eigensinnigen Form von Werktreue angelangt.
Eine
Viertelstunde
vor
dem Ende macht der Film noch einmal kurz Tabula rasa: Auf ein weißes Blatt
skizziert eine flinke Hand mit wenigen Kohlestiftstrichen die Umrisse eines
Klosters. Dann, zum Vergleich, das echte Kloster auf einem Felsen über
dem Meer. Dieser Moment weckt nicht nur Erinnerungen an die ausführlichen
Zeichen-Sessions im Zentrum von Jacques Rivettes letzter Balzac-Verfilmung „Die
schöne Querulantin“ (1991), sondern verdichtet auch ästhetische Haltung
und ökonomische Wirklichkeit seiner neuesten Arbeit: „Die Herzogin von
Langeais“ ist ein Kostümfilm im Zeichen der Sparsamkeit.
Für
ein ambitioniertes Wunschprojekt, angesiedelt in der Gegenwart, konnte Rivette
nicht genügend Mittel lukrieren, also hat er einen preisgünstigeren
Stoff für die bereits verpflichteten Stars Jeanne Balibar und Guillaume
Depardieu gesucht und in Honoré de Balzacs Erzählung einer verhinderten
Affäre gefunden. Dementsprechend ist „Ne touchez pas la hache“ (so der
nachgerade reißerische Originaltitel des Films und ursprüngliche
Titel der Novelle: „Berühren Sie nicht das Beil“) kein klotzig ausgepolstertes
Zeitreisekino geworden, sondern ein Film der Worte und Blicke, der Vor- und
Hinterzimmer und schütter bevölkerten Salons. Und, was Charakterzeichnung
und Rauminszenierung angeht, ein Werk der sicher gesetzten, klaren Linien: nicht
plump, aber auch nie um Deutlichkeit verlegen.
Es
reicht zum Beispiel, General de Montriveau einmal übers Parkett stapfen
zu hören, um sich ein gültiges Bild von diesem hitzköpfigen Kriegshelden
zu machen. Den Abenteurer von Napoleons Gnaden erwählt sich die Herzogin
von Langeais, Luxusgeschöpf aus dem Faubourg Saint-Germain, zum Spielzeug.
Der hält ihre Koketterien für Liebesbezeugungen. Was mit dem Vortrag
kolonialer Reisegeschichten am herzöglichen Kaminfeuer behaglich beginnt,
schaukelt sich aufgrund verletzter Eitelkeiten schnell zu einem Wechselspiel
aus Anziehung und Abstoßung mit immer höheren Einsätzen auf.
Treffsicher
kehrt Depardieu mit kantigen Gesten und brütender Miene das Lädierte,
Hampelmannhafte an seinem General hervor. Balibars Herzogin ist dagegen noch
in romantischer Verzückung Meisterin der wohlfeilen Selbstinszenierung.
„Ich will lodernde Flammen“, weist sie den Diener am Kamin an, während
sie sich in Erwartung des Generals auf der Chaiselongue
in
edles Tuch drapiert: ein schöner Witz auch über Rivettes eigenen Modus
erlesen theatraler mise-en-scène.
Das Theater als Kunst- und Lebensform – ein Schlüsselthema Rivettes und
noch im Zentrum seiner ersten losen Annäherung an Balzac, des Post-'68-Stimmungsfreskos
„Out 1“ (1971) – ist in dieser konventionelleren Adaption nicht so sehr verschwunden
als verinnerlicht: in die strenge Eleganz, mit der Menschen hier Räume
durchmessen und ihre Positionen wechseln, umkreist von den präzisen Kameramanövern
William Lubtchanskys.
Der
Kontrast zwischen dem Groben und dem Sophistizierten bestimmt nicht nur Darstellerchemie
und Melodramatik, sondern auch den obstinaten Schmäh dieses Films: Das
hyperrealistische sound
design
knarrender Dielen und knackender Feuer, die umständliche Informationspolitik
der literarischen Zwischentitel und das süffisante Spiel von Michel Piccoli
als nettem Onkel untergraben die Schicksalsschwere des Aneinander-Vorbei-Liebens,
machen den Film als tragikomische Kulturgeschichte der Liebe lesbar: wie die
Koketterie des alten Adels und die verinnerlichte Romantik des Bürgertums
einfach keine gemeinsame Sprache finden. Traurig anzuschauen ist das trotzdem.
Joachim
Schätz
Dieser Text
ist zuerst erschienen im: www.falter.at
Die Herzogin von Langeais
(Ne touchez pas la hache)
Frankreich/Italien 2007, Regie: Jacques Rivette, Buch: Pascal Bonitzer, Christine Laurent und Jacques Rivette, Kamera: William Lubtchansky. Autor: Honoré de Balzac. Musik: Pierre Allio. Mit: Jeanne Balibar, Guillaume Depardieu, Michel Piccoli, Bulle Ogier, Barbet Schroeder.
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